Tourismusbranche erlebt dramatische Einbrüche im April
Die Rekordjahre sind vorbei - Jetzt hoffen auf Inlands- und Übernachtungsgäste

Das Heidelberger Schloss. Archiv-Foto: dpa
Von Marco Partner
Heidelberg. Auf einer Skala von Eins bis Zehn wählt Jasmin Thiemann vorsichtig optimistisch eine Fünf. "Mittelmäßig, aber besser als nichts, besser als zuvor", sagt die Inhaberin der Schnitzelbank in der Bauamtsgasse. Die Lockerungen bringen zumindest wieder ein paar hungrige Besucher in die Gaststätte am Rande der Fußgängerzone. Draußen, auf der Straße, will sie bald mehrere Tische aufstellen. Dabei lebt das Lokal vor allem von seinem inneren Charme, dem dichten Gedränge. Einfach jeden zweiten Tisch freilassen, das ist in der ehemaligen Küferei kaum möglich. "Man sitzt bei uns eigentlich eng auf eng zusammen auf langen Bänken, kommt so mit wildfremden Menschen ins Gespräch", so Thiemann.
Und die Gaststätte lebt noch von etwas anderem: den Touristen. "Amerikaner, Chinesen, Japaner, aber auch Franzosen, Schweizer oder Spanier sitzen oftmals bis 23 Uhr bei uns. Touristen aus dem Ausland machen sicherlich fast 50 Prozent unseres Geschäfts aus", sagt Thiemann, die während des Lockdowns den Laden komplett dichtmachte.
Auf den stetigen Aufstieg beim Heidelberg-Tourismus folgte der freie Fall. "Im Januar und Februar waren die Besucherzahlen im Vergleich zum Vorjahr um 14 Prozent gestiegen", verrät Mathias Schiemer, Geschäftsführer der Heidelberg Marketing GmbH. Von 2009 bis 2019 folgte ein Rekordjahr auf das nächste. Im Jahr 2019 wurden über 1,6 Millionen Übernachtungen gezählt. "Während es in der Gastronomie wieder aufwärts geht, leiden vor allem die Hotels unter den Auflagen. Die Saison ist nicht mehr zu retten", befürchtet Schiemer. Im "Lockdown-Monat" April gab es im Vergleich zum Vorjahr 93 Prozent weniger Übernachtungen.
Schiemer zeigt aber auch auf, dass die Tourismusbranche nicht so abhängig von den weit gereisten Gästen ist, wie gemeinhin angenommen. Denn schon im Vorjahr zeichnete sich ab: Die Übernachtungen aus dem Ausland sind rückläufig (-1,3 Prozent), der Anteil deutscher Hotel-Gäste nimmt zu (+10,6 Prozent). Insgesamt mache der Anteil der Inlands-Übernachtungen über zwei Drittel aus. Im Jahr 2010 lag das Verhältnis noch bei 60 zu 40. Und eine weitere Überraschung: Auf den Spitzenreiter USA (mit fast 85.000 Übernachtungen) folgen bereits die Niederlande, die weiteren vorderen Plätze belegen Großbritannien, die Schweiz und China.
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"Für diese Erkenntnis brauchen wir Corona nicht", betont Schiemer. Er hat schon länger ein Konzept in der Tasche. Drei Säulen sind für den Tourismusexperten von Bedeutung: die ökonomische, die ökologische und die soziale Komponente. Er fordert eine Entzerrung der Touristenströme aus der Altstadt heraus – und hinein in die erholsame Umgebung mit ihren Attraktionen.
Fluch und Segen zugleich stellen für Schiemer die Tagestouristen da. Dadurch kommen zwar viele Gäste, die aber vor allem die Infrastruktur belasten und für ein hohes Verkehrsaufkommen sorgen. Die Touristen sollten im Idealfall in Heidelberg übernachten. Unterdessen bleibt man in diesem Jahr wohl deutlich hinter den Rekordjahren zurück. Jasmin Thiemann hätte nichts dagegen, bald auch mehr Inlands-Gäste bei sich sitzen zu haben. Und gerne auch aus Holland oder Belgien – sobald es die Verordnung zulässt, auch wieder eng aneinander gekuschelt.



