Fürniß-Prozess: "In Wiesloch sind Sie nun ein für allemal gebrandmarkt"
Der Richter findet klare Worte für den verurteilten Ex-Politiker. Die Zuschauer diskutieren kontrovers über das Urteil. Es könnte zu weiteren Ermittlungen gegen Familienmitgliederkommen

Nach der Urteilsverkündung verlässt Wolfgang Fürniß den Gerichtssaal, während Wieslocher im Foyer über die Strafe diskutieren. Foto: Alex
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Drei Jahre Haft - so lautet das Urteil des Heidelberger Landgerichts gegen den ehemaligen Oberbürgermeister von Wiesloch, Wolfgang Fürniß. Der 70-Jährige, der von 1999 bis 2002 auch Wirtschaftsminister von Brandenburg war und 1998 für die CDU gegen Beate Weber als Oberbürgermeister von Heidelberg kandidierte, hat 20 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs gestanden.
Fürniß hatte Freunde und Bekannte dazu gebracht, ihm für abenteuerliche Unternehmungen wie die Auslösung von Kupferschiffen in Afrika oder geheime Erdwärmeprojekte, Darlehen zu gewähren. Teilweise hatte er auch behauptet, an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden und das Geld dringend für Medikamente aus dem Ausland zu benötigen, ohne die er das nächste Weihnachten nicht mehr erleben werde.
In Wahrheit benutzte Fürniß aber das Geld, um seine finanziellen Löcher zu stopfen. Bereits Ende 2008 hatte Fürniß bei verschiedenen Banken Schulden von insgesamt rund einer Million Euro. Die Anklage beziffert den Betrugsschaden auf knapp 500.000 Euro, tatsächlich dürfte er aber noch deutlich höher liegen. Einige Taten sind bereits verjährt. Und manche Opfer erstatteten erst gar keine Strafanzeige gegen Fürniß - teilweise aus Scham, aber auch weil sie wussten, dass ihr Geld sowieso verloren ist.
Als die Sparkasse Heidelberg Ende 2009 Kredite in Höhe von 580.000 Euro fällig stellte, hätte Fürniß Privatinsolvenz anmelden müssen. Das machte Richter Christian Mühlhoff bei seiner Urteilsbegründung deutlich. Stattdessen habe er sich aber schon zuvor für den Weg in die Kriminalität entschieden. Der ehemalige OB habe seine Stellung als "herausragende Persönlichkeit" missbraucht und das ihm entgegengebrachte Vertrauen "bedenkenlos und geschickt" ausgenutzt. Vor allem seinem hohen Alter und seinen gesundheitlichen Problemen hat Fürniß es zu verdanken, dass das Urteil nicht härter ausfiel. Staatsanwalt Markus Schmitt hatte eine vierjährige Haftstrafe gefordert.
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Aufgeregt diskutieren die Zuschauer nach dem Urteil über die Strafe für Wolfgang Fürniß. Viele Wieslocher sind gestern ins Heidelberger Landgericht gekommen, darunter auch Betrugsopfer oder alte Bekannte, die der ehemalige OB der Großen Kreisstadt in den Jahren zwischen 2008 und 2013 um Geld angepumpt hatte. Das Urteil - drei Jahre Haft für 20 Betrugstaten - sei "viel zu milde", finden sie.
Fürniß sei ein "notorischer Lügner" und einer, der schon immer Leute manipuliert habe. "Ich Trottel habe bis zuletzt gehofft, dass ich das Geld wiederbekomme", regt sich ein Geschädigter auf, der Fürniß mehrere Darlehen über insgesamt 110.000 Euro zugestanden hatte. Ein ehemaliger Wieslocher Stadtrat wiederum berichtet, dass der Verurteilte auch ihn um 60.000 Euro gebeten habe. "Nachdem ich ihn 15 Jahre nicht mehr gesprochen hatte, saß er bei mir auf der Couch und verlangte 20.000 Euro für Medikamente, ohne die er das nächste Weihnachten nicht mehr erleben werde", erzählt ein anderer, der Fürniß 1984 beim Oberbürgermeister-Wahlkampf unterstützt hatte. Zusammen mit seiner Frau habe er schlaflose Nächte gehabt, weil sie überlegt hätten, wie sie Fürniß nur helfen könnten. Nur weil Bekannte dann vor dem Ex-OB gewarnt hätten, seien sie dann doch nicht auf ihn hereingefallen.
Bei der Urteilsbegründung zeigt Richter Christian Mühlhoff ein gewisses Verständnis für den Angeklagten, "mit dem es das Leben noch vor zehn Jahren außerordentlich gut" gemeint habe. Der psychiatrische Gutachter und viele Zeugen hatten Fürniß zuvor einen ungewöhnlichen Ideenreichtum, Durchsetzungsvermögen und Energie bescheinigt.
Vor diesem Hintergrund sei es dem Ex-Wirtschaftsminister von Brandenburg sicherlich schwergefallen, den Weg in die Privatinsolvenz zu gehen. Allerdings, auch das macht der Richter unmissverständlich klar, sei der Angeklagte selbst verantwortlich für seine Finanzmisere und habe über seine Verhältnisse gelebt.
Noch viel schwerer wiegt für Mühlhoff aber der "ungewöhnlich große Vertrauensmissbrauch", dessen sich Fürniß schuldig gemacht habe. "In Wiesloch sind Sie nun ein für allemal gebrandmarkt", sagt er zu ihm: "Wenn der Name Fürniß genannt wird, denken nun alle in erster Linie an Betrug. Alles andere tritt angesichts dessen in den Hintergrund."
Der "Weg in den Abgrund" begann laut Mühlhoff im Jahr 2008, als Fürniß einen Freund wegen einer hohen Steuernachzahlung um ein Darlehen von 95.000 Euro bat - und es auch erhielt. Diese Tat ist bereits verjährt, doch in den folgenden fünf Jahren sollten sich die Fälle wie "Perlen auf einer Kette" (Mühlhoff) aneinanderreihen. Ein Großteil des Geldes, das Fürniß bekommen habe, sei "in windigen Kanälen versackt". Dass selbst eine Steuerrückzahlung in Höhe von 183.000 Euro im November 2010 von dem Angeklagten nicht genutzt worden sei, um wenigstens einen Teil seiner Schulden zu begleichen, lasse die Kammer "fragend und fassungslos" zurück.
Stattdessen habe Fürniß immer verzweifelter Geld eingeworben. Dabei behauptete er sogar, an Krebs erkrankt zu sein, und wandte sich gezielt an Menschen, denen er früher selbst schon einmal geholfen hatte. Ein Handwerker verschuldete sich sogar, um Fürniß Geld geben zu können.
Fürniß, der den Urteilsspruch bleich und regungslos über sich ergehen lässt, ist nach der Verhandlung zu keinem Kommentar bereit. Seine Verteidigerin Andrea Combé will ihm raten, die Strafe zu akzeptieren und keine Revision einzulegen. Damit ist die Akte aber noch nicht geschlossen. Die Staatsanwaltschaft wird überprüfen, ob die Ehefrau des Verurteilten und sein ältester Sohn an den Taten beteiligt waren.



