Chronologie: Der Aufstieg und der Fall des Wolfgang Fürniß

Die finanzielle Misere für den Ex-Politiker begann schon im Jahre 2002

15.04.2015 UPDATE: 16.04.2015 06:00 Uhr 1 Minute, 19 Sekunden

Wolfgang Fürniß. Foto: Archiv

hob. Nach dem Karrieregipfel als Wirtschaftsminister in Brandenburg folgte für Wolfgang Fürniß (70) ab 2002 der Absturz auf Raten. Die Stationen seines Aufstiegs und seines Scheiterns:

> Nach dem Studium der Politischen Wissenschaft, Anglistik und Geschichte an der Uni Heidelberg (1966 bis 1971) beginnt Wolfgang Fürniß sein Referendariat. Nach seinem zweiten Staatsexamen geht er aber nach Stuttgart, wo er unter anderem für den späteren Ministerpräsidenten Lothar Späth und den späteren Bundespräsidenten Roman Herzog arbeitet. Mit diesen Stationen seiner Karriere schmückt sich Fürniß später gerne.

> Oberbürgermeister von Wiesloch: Seit 1975 saß Fürniß bereits für die CDU im Gemeinderat, 1984 wird er dann zum Stadtoberhaupt gewählt. In seine Amtszeit fällt auch der Bau des Kultur- und Kongresszentrums "Palatin". Trotzdem hat er schon nach acht Jahren genug und wechselt lieber in die freie Wirtschaft. Fürniß geht zur SAP AG und wird deren Generalbevollmächtigter für den weltweiten Ausbau des Unternehmens.

> Scheitern in Heidelberg: 1998 kandidiert Fürniß gegen Beate Weber als Oberbürgermeister. Er unterliegt bereits im ersten Wahlgang der Amtsinhaberin und dem Fraktionsvorsitzenden der "Heidelberger" Wolfgang Lachenauer.

> Als Wirtschaftsminister wird Fürniß 1999 in das Kabinett des brandenburgischen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe berufen. Doch schon 2002 tritt er wieder zurück - nachdem er einen umstrittenen Privatkredit von einem Scheich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in Höhe von einer Million Dollar angenommen hatte. Nach mehrjährigen Ermittlungen stellt die Staatsanwaltschaft fest, dass das Darlehen nicht zu beanstanden war.

> Zwei Jahre lang bekommt Fürniß nach seinem Ausscheiden als Minister noch ein Übergangsgeld in Höhe von 10 000 Euro monatlich, danach steigt er als Berater in der Firma seines ältesten Sohnes ein. Spätestens ab 2008 kommen die Geschäfte zum Erliegen.

> Mit einer Rente von 1500 Euro monatlich kann Fürniß seine Bankforderungen und Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Bereits 2008 kommt es zu ersten Betrügereien.

> Am 17. Oktober 2014 wird Fürniß festgenommen und kommt wegen Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft. Obwohl bereits Ermittlungen gegen ihn liefen, hatte er versucht, einen Parkinsonpatienten zu betrügen. Kurz vor Weihnachten kommt er wieder auf freien Fuß. Wegen der vielen Medienberichte - so das Argument - bestehe keine Wiederholungsgefahr mehr.

Hintergrund

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Drei Jahre Haft - so lautet das Urteil des Heidelberger Landgerichts gegen den ehemaligen Oberbürgermeister von Wiesloch, Wolfgang Fürniß. Der 70-Jährige, der von 1999 bis 2002 auch Wirtschaftsminister von Brandenburg war und 1998 für

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Von Holger Buchwald

Heidelberg. Drei Jahre Haft - so lautet das Urteil des Heidelberger Landgerichts gegen den ehemaligen Oberbürgermeister von Wiesloch, Wolfgang Fürniß. Der 70-Jährige, der von 1999 bis 2002 auch Wirtschaftsminister von Brandenburg war und 1998 für die CDU gegen Beate Weber als Oberbürgermeister von Heidelberg kandidierte, hat 20 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs gestanden.

Fürniß hatte Freunde und Bekannte dazu gebracht, ihm für abenteuerliche Unternehmungen wie die Auslösung von Kupferschiffen in Afrika oder geheime Erdwärmeprojekte, Darlehen zu gewähren. Teilweise hatte er auch behauptet, an einer lebensbedrohlichen Krankheit zu leiden und das Geld dringend für Medikamente aus dem Ausland zu benötigen, ohne die er das nächste Weihnachten nicht mehr erleben werde.

In Wahrheit benutzte Fürniß aber das Geld, um seine finanziellen Löcher zu stopfen. Bereits Ende 2008 hatte Fürniß bei verschiedenen Banken Schulden von insgesamt rund einer Million Euro. Die Anklage beziffert den Betrugsschaden auf knapp 500.000 Euro, tatsächlich dürfte er aber noch deutlich höher liegen. Einige Taten sind bereits verjährt. Und manche Opfer erstatteten erst gar keine Strafanzeige gegen Fürniß - teilweise aus Scham, aber auch weil sie wussten, dass ihr Geld sowieso verloren ist.

Als die Sparkasse Heidelberg Ende 2009 Kredite in Höhe von 580.000 Euro fällig stellte, hätte Fürniß Privatinsolvenz anmelden müssen. Das machte Richter Christian Mühlhoff bei seiner Urteilsbegründung deutlich. Stattdessen habe er sich aber schon zuvor für den Weg in die Kriminalität entschieden. Der ehemalige OB habe seine Stellung als "herausragende Persönlichkeit" missbraucht und das ihm entgegengebrachte Vertrauen "bedenkenlos und geschickt" ausgenutzt. Vor allem seinem hohen Alter und seinen gesundheitlichen Problemen hat Fürniß es zu verdanken, dass das Urteil nicht härter ausfiel. Staatsanwalt Markus Schmitt hatte eine vierjährige Haftstrafe gefordert.

Aufgeregt diskutieren die Zuschauer nach dem Urteil über die Strafe für Wolfgang Fürniß. Viele Wieslocher sind gestern ins Heidelberger Landgericht gekommen, darunter auch Betrugsopfer oder alte Bekannte, die der ehemalige OB der Großen Kreisstadt in den Jahren zwischen 2008 und 2013 um Geld angepumpt hatte. Das Urteil - drei Jahre Haft für 20 Betrugstaten - sei "viel zu milde", finden sie.

Fürniß sei ein "notorischer Lügner" und einer, der schon immer Leute manipuliert habe. "Ich Trottel habe bis zuletzt gehofft, dass ich das Geld wiederbekomme", regt sich ein Geschädigter auf, der Fürniß mehrere Darlehen über insgesamt 110.000 Euro zugestanden hatte. Ein ehemaliger Wieslocher Stadtrat wiederum berichtet, dass der Verurteilte auch ihn um 60.000 Euro gebeten habe. "Nachdem ich ihn 15 Jahre nicht mehr gesprochen hatte, saß er bei mir auf der Couch und verlangte 20.000 Euro für Medikamente, ohne die er das nächste Weihnachten nicht mehr erleben werde", erzählt ein anderer, der Fürniß 1984 beim Oberbürgermeister-Wahlkampf unterstützt hatte. Zusammen mit seiner Frau habe er schlaflose Nächte gehabt, weil sie überlegt hätten, wie sie Fürniß nur helfen könnten. Nur weil Bekannte dann vor dem Ex-OB gewarnt hätten, seien sie dann doch nicht auf ihn hereingefallen.

Bei der Urteilsbegründung zeigt Richter Christian Mühlhoff ein gewisses Verständnis für den Angeklagten, "mit dem es das Leben noch vor zehn Jahren außerordentlich gut" gemeint habe. Der psychiatrische Gutachter und viele Zeugen hatten Fürniß zuvor einen ungewöhnlichen Ideenreichtum, Durchsetzungsvermögen und Energie bescheinigt.

Vor diesem Hintergrund sei es dem Ex-Wirtschaftsminister von Brandenburg sicherlich schwergefallen, den Weg in die Privatinsolvenz zu gehen. Allerdings, auch das macht der Richter unmissverständlich klar, sei der Angeklagte selbst verantwortlich für seine Finanzmisere und habe über seine Verhältnisse gelebt.

Noch viel schwerer wiegt für Mühlhoff aber der "ungewöhnlich große Vertrauensmissbrauch", dessen sich Fürniß schuldig gemacht habe. "In Wiesloch sind Sie nun ein für allemal gebrandmarkt", sagt er zu ihm: "Wenn der Name Fürniß genannt wird, denken nun alle in erster Linie an Betrug. Alles andere tritt angesichts dessen in den Hintergrund."

Der "Weg in den Abgrund" begann laut Mühlhoff im Jahr 2008, als Fürniß einen Freund wegen einer hohen Steuernachzahlung um ein Darlehen von 95.000 Euro bat - und es auch erhielt. Diese Tat ist bereits verjährt, doch in den folgenden fünf Jahren sollten sich die Fälle wie "Perlen auf einer Kette" (Mühlhoff) aneinanderreihen. Ein Großteil des Geldes, das Fürniß bekommen habe, sei "in windigen Kanälen versackt". Dass selbst eine Steuerrückzahlung in Höhe von 183.000 Euro im November 2010 von dem Angeklagten nicht genutzt worden sei, um wenigstens einen Teil seiner Schulden zu begleichen, lasse die Kammer "fragend und fassungslos" zurück.

Stattdessen habe Fürniß immer verzweifelter Geld eingeworben. Dabei behauptete er sogar, an Krebs erkrankt zu sein, und wandte sich gezielt an Menschen, denen er früher selbst schon einmal geholfen hatte. Ein Handwerker verschuldete sich sogar, um Fürniß Geld geben zu können.

Fürniß, der den Urteilsspruch bleich und regungslos über sich ergehen lässt, ist nach der Verhandlung zu keinem Kommentar bereit. Seine Verteidigerin Andrea Combé will ihm raten, die Strafe zu akzeptieren und keine Revision einzulegen. Damit ist die Akte aber noch nicht geschlossen. Die Staatsanwaltschaft wird überprüfen, ob die Ehefrau des Verurteilten und sein ältester Sohn an den Taten beteiligt waren.

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Hintergrund

Von Holger Buchwald

Im Prozess gegen Wolfgang Fürniß forderte Staatsanwalt Markus Schmitt am Montag eine vierjährige Haftstrafe für den ehemaligen Wirtschaftsminister von Brandenburg und Ex-Oberbürgermeister von Wiesloch. 20 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs zwischen

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Von Holger Buchwald

Im Prozess gegen Wolfgang Fürniß forderte Staatsanwalt Markus Schmitt am Montag eine vierjährige Haftstrafe für den ehemaligen Wirtschaftsminister von Brandenburg und Ex-Oberbürgermeister von Wiesloch. 20 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs zwischen 2009 und 2014 hat der 70-Jährige gestanden. Die Anklage geht von einem Schaden von knapp 500.000 Euro aus.

Tatsächlich habe Fürniß seine Opfer wohl sogar um 750.000 Euro betrogen, schätzt Schmitt. Eine Tat über 95.000 Euro ist aber bereits verjährt, einige anderen wurden von den Geschädigten gar nicht erst angezeigt, deshalb flossen sie nicht in die Anklage ein. Spätestens seit Ende 2013 war es in Wiesloch ein offenes Geheimnis, dass Fürniß zahllose Geschäftsleute um Geld gebeten und dies niemals zurückgezahlt hatte.

"Der Angeklagte wusste genau, bei welchem Geschäftspartner er welches Knöpfchen drücken musste", betonte Schmitt. Einem ehemaligen Mitarbeiter des Energieunternehmens EnBW bot Fürniß so die Beteiligung an einem Erdwärmeprojekt an, einen Geologen von Heidelberg Cement lockte er mit der Gewinnung von seltenen Bodenschätzen, wieder anderen sagte er, er bräuchte dringend ein Darlehen für eine Heilbehandlung im Ausland oder für Medikamente, ohne die er das nächste Weihnachten nicht erleben würde.

Tatsächlich existierten aber weder die angeblich gewinnbringenden Projekte, noch gab Fürniß das Geld für seine Gesundheit aus. Er benötigte es nur, um seine finanziellen Löcher zu stopfen. Dabei, so der Staatsanwalt, habe der Angeklagte das besondere Vertrauensverhältnis zu seinen Geschäftspartnern und Freunden ausgenutzt. Und das wiege in den meisten Fällen noch viel schwerer als der finanzielle Schaden.

Ihr Mandant habe eine schwere Zeit durchlebt, entgegnete Verteidigerin Andrea Combé. Die Taten seien auch durch ein "Konglomerat aus wirtschaftlichem Druck, körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen", unter denen ihr Mandant gelitten habe, zu erklären. In der Tat hatte die Sparkasse Heidelberg im Jahr 2009 Kredite in Höhe von 580.000 Euro fällig gestellt, hinzu kam eine Steuernachzahlung über 98.000 Euro.

Und das, obwohl Fürniß seit 2008 nur noch über eine monatliche Rente in Höhe von 1500 Euro verfügte. Das Übergangsgeld aus seiner Ministertätigkeit war bereits 2004 ausgelaufen. Und auch für die Firma seines ältesten Sohnes, in der er als Unternehmensberater gearbeitet hatte, liefen die Geschäfte schlecht. Zudem litt Fürniß in dieser Zeit auch unter massiven Schlafstörungen. Ärzte vermuteten zunächst eine Borreliose, dann eine Parkinsonerkrankung, was sich später wieder als Fehldiagnose herausstellte. "Dr. Fürniß sah für sich keine Handlungsalternative mehr, als andere um Geld zu bitten. Er glaubte aber fest daran, dass er wieder alles zum Guten wenden könne", beteuerte Combé. Die Anwältin stellte keinen konkreten Antrag, bat jedoch für den "Ersttäter im fortgeschrittenen Alter" um eine Strafe, die ihm noch eine Lebensperspektive lasse.

Fürniß war sicher ein durch seinen sozialen Abstieg getriebener Mann und stand vor den Scherben seines Lebens, davon ist auch der psychiatrische Sachverständige Hartmut Pleines überzeugt. Allerdings sei der Angeklagte voll schuldfähig und leide unter keiner seelischen Erkrankung. Vielmehr sei Fürniß eine "markante Persönlichkeit" mit "manipulativen Fähigkeiten. Als er als Wirtschaftsminister in Brandenburg seinen Hut nehmen musste, sah er sich laut Pleines vom Thron gestoßen und seines Ruhmes und Ansehens beraubt.

Die Anzeige, das Ermittlungsverfahren, die Untersuchungshaft, aber auch die mediale Begleitung des Prozesses habe ihm sein Fehlverhalten auf "sehr schmerzhafte Weise" vor Augen geführt, sagte Fürniß in seinem "letzten Wort". Er sei froh, dass gegen ihn Strafanzeige gestellt wurde und so der Teufelskreis seiner Taten durchbrochen worden sei. "Es tut mir leid, was ich alles getan habe. Und ich hoffe, dass mir noch etwas Zeit bleibt, um wenigstens etwas davon wieder gutzumachen und Vertrauen zurückzugewinnen." Besonders seiner Familie habe er viel angetan, doch diese halte immer noch zu ihm. "Schuld ist nicht das letzte Wort, sondern Liebe."

Das Urteil wird am morgigen Mittwoch um 11 Uhr im Saal 1 des Heidelberger Landgerichts verkündet.

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Von Holger Buchwald

Wolfgang Fürniß kannte keine Grenzen, um seine Geldprobleme zu lösen. Der ehemalige Oberbürgermeister von Wiesloch und Wirtschaftsminister von Brandenburg hat selbst Jugendfreunde und langjährige Weggefährten belogen und betrogen. Laut Staatsanwalt

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Wolfgang Fürniß kannte keine Grenzen, um seine Geldprobleme zu lösen. Der ehemalige Oberbürgermeister von Wiesloch und Wirtschaftsminister von Brandenburg hat selbst Jugendfreunde und langjährige Weggefährten belogen und betrogen. Laut Staatsanwalt Markus Schmitt hat der Angeklagte einen Schaden von knapp 500.000 Euro angerichtet. Tatsächlich wurden aber einige weitere Taten nicht angezeigt oder sind bereits verjährt. Schmitt wirft dem 70-Jährigen 20 Fälle des gewerbsmäßigen Betrugs vor. Bei großem Publikumsandrang - einige Zuhörer mussten im kleinen Saal 6 des Heidelberger Landgerichts sogar stehen - sagten gestern einige der Geschädigten aus. 

Gleich der erste Zeuge ist ein Prominenter. Der MLP-Aufsichtsratsvorsitzende Manfred Lautenschläger berichtet, dass er Fürniß schon seit gut 20 Jahren kenne. Als dieser 1998 als Oberbürgermeisterkandidat der CDU in Heidelberg zur Wahl angetreten sei, habe er ihn sogar finanziell unterstützt. "Ich dachte, er wäre geeignet, weil er etwas von Wirtschaft versteht", erinnert sich der Multimillionär. Danach sei aber der Kontakt abgebrochen - bis Fürniß Ende August 2013 auf ihn zugekommen sei und um ein Darlehen gebeten habe. Lautenschläger: "Er erzählte mir, dass er schwer krank sei und sich in den USA dringend einer Behandlung unterziehen müsse." 90.000 Euro sollte die lebensrettende Therapie kosten, ihm fehlten jedoch noch 25.000 Euro.

Normalerweise lehne er solche Anfragen ab, da sie nicht dem Zweck der Manfred-Lautenschläger-Stiftung entsprechen, sagt der MLP-Gründer. Weil er Fürniß persönlich gekannt habe, und weil er eine angesehene Persönlichkeit gewesen sei, habe er in diesem Fall aber eine Ausnahme gemacht. Zwar sei ihm der Zeitdruck, unter dem das Geld ausgezahlt werden sollte, um noch einen Platz in der Klinik zu bekommen, schon damals seltsam vorgekommen. Wenn er ihm das Geld aber verweigert hätte und Fürniß gestorben wäre, wäre das für ihn eine schwere Bürde gewesen. Lautenschläger selbst überstand vor 30 Jahren eine Bauchspeicheldrüsenkrebserkrankung.

Das Darlehen sollte kurzfristig sein und nur den finanziellen Engpass überbrücken, bis die Krankenversicherung einspringt. Doch Fürniß versuchte Lautenschläger hinzuhalten. "Das nahm groteske Züge an", erinnert sich der Unternehmer: "Ich schwankte zwischen Lachen und Zorn." Lautenschläger blieb nichts anderes übrig, als zur Polizei zu gehen. Der Kripobeamte berichtete ihm, dass er schon der Siebte sei, der Strafanzeige stellte.

Spätestens im Sommer 2013 wurde auch im Wieslocher Lions Club vor Fürniß gewarnt. "Gib acht!", hätten ihn die anderen damals ermahnt, wie sich ein Zeuge erinnert. Die Geldsorgen und die Betrügereien des ehemaligen OBs waren längst Stadtgespräch. Doch für einige Lions-Freunde war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät. Einer gewährte ihm ein Darlehen von 25.000 Euro, um es in ein Geschäft mit Bodenschätzen zu investieren. Ein anderer, der ihm 170.000 Euro gegeben haben soll, ist inzwischen verstorben.

Hart traf es auch einen langjährigen Freund, der Fürniß schon seit den 1960er-Jahren aus der gemeinsamen Zeit bei der Jungen Union kennt. 180.000 Euro gab er dem heute 70-Jährigen. Wenigstens er wird sein Geld wiederbekommen, denn das Haus des Ex-OB in Wiesloch wird derzeit verkauft. Ein Industriemechaniker hingegen wird noch lange an den Angeklagten denken. Er musste selbst einen Kredit aufnehmen, um Fürniß ein Darlehen von 40.000 Euro zu gewähren - und muss heute noch 375 Euro im Monat abzahlen.

Fürniß hat alle Taten gestanden und begründet sie mit gesundheitlichen Problemen. Er leide unter einer manischen Depression. Der Prozess wird am Montag, 13. April, um 8.30 Uhr fortgesetzt.

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Von Holger Buchwald

Es ist der wohl letzte große Auftritt des Wolfgang Fürniß. Noch einmal richten sich alle Kameras auf den Ex-Wirtschaftsminister von Brandenburg, ehemaligen SAP-Generalbevollmächtigten und Ex-OB von Wiesloch, als er gestern Morgen um 8.20 Uhr in

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Von Holger Buchwald

Es ist der wohl letzte große Auftritt des Wolfgang Fürniß. Noch einmal richten sich alle Kameras auf den Ex-Wirtschaftsminister von Brandenburg, ehemaligen SAP-Generalbevollmächtigten und Ex-OB von Wiesloch, als er gestern Morgen um 8.20 Uhr in Begleitung seiner Verteidigerin Andrea Combé den Saal 1 im Heidelberger Landgericht betritt. Für ihn steht einiges auf dem Spiel. Staatsanwalt Markus Schmitt rechnet angesichts des angerichteten Schadens von knapp einer halben Million Euro und 20 Fällen des gewerbsmäßigen Betrugs (siehe Hintergrund) mit einer empfindlichen Haftstrafe für den ehemaligen CDU-Politiker. Doch ganz der alte Politprofi versucht Fürniß, sich nichts anmerken zu lassen, als er alle Taten zugibt.

"Ich bin über mich selbst erschrocken", sagt der Angeklagte bei seinem Geständnis. Er muss Reue zeigen, wenn er weiter auf ein mildes Urteil hoffen will. Doch im Publikum, in dem auch viele Wieslocher sitzen, regt sich Unmut. Für die dreisten Lügen, die Fürniß seinen Geschäftspartnern in den Jahren 2008 bis 2013 auftischte, haben sie nur ein verächtliches Lachen übrig. Gegenüber einem Sparkassenmitarbeiter behauptete er damals sogar, dass er an einem Film von Bernd Eichinger beteiligt sei - mit Jackie Chan in der Hauptrolle, nur um noch einmal einen Zahlungsaufschub zu bekommen. Ein anderes Mal gab er vor, Geld in einer Goldmine in Tansania des kongolesischen Präsidenten angelegt zu haben. Die Banker glaubten ihm zwar diese Geschichten nicht. Doch was sollten sie tun, angesichts des Schuldenbergs von 580 000 Euro, den Fürniß zu diesem Zeitpunkt bereits angehäuft hatte? "Eine Zwangsversteigerung hätte auch Zeit gedauert", sagt ein Sparkassenmitarbeiter während seiner Zeugenvernehmung: "Daher haben wir ihm noch einmal Aufschub gewährt." Schließlich sei Fürniß bis dato ja immer seinen Zahlungsverpflichtungen nachgekommen. Am 15. Dezember 2009 riss aber der Geduldsfaden der Sparkasse. Und alle seine Kredite wurden gekündigt.

"Ich war damals in einer außergewöhnlich schwierigen finanziellen und gesundheitlichen Situation", begründet Fürniß selbst seine Taten und bittet die Richter, dies zu berücksichtigen. Der Grund für seine finanzielle Misere sei vor allem eine Steuernachzahlung in Höhe von 98 000 Euro gewesen. Auf der anderen Seite fehlte das Einkommen. Nachdem er nach seinem Rücktritt als Wirtschaftsminister im Jahr 2002 noch zwei Jahre lang ein Übergangsgeld in Höhe von 10 000 Euro monatlich bekam, arbeitete er zunächst als Unternehmensberater in der Firma seines Sohnes. Doch als die Auftragslage immer schlechter wurde, brachen auch diese Einnahmen weg. Am Ende erhielt Fürniß noch eine monatliche Rente von 1500 Euro. Die beiden Wohnungen in Berlin, das Häuschen in Andalusien und das Luxusapartment in Florida mussten nacheinander verkauft werden. Im Rahmen der Umschuldung wurde auch das Haus in Wiesloch auf den ältesten Sohn übertragen.

Als er seine Freunde betrogen habe, sei er nicht mehr er selbst gewesen, beteuert Fürniß. Seine Ehefrau Gerda bestätigt dies als Zeugin. Ab 2008 habe ihr Mann unter großen Schlafproblemen gelitten, habe bei Gesprächen abrupt die Themen gewechselt und auch Erinnerungslücken gezeigt. Es folgten Aufenthalte in der Uniklinik Erlangen und eine Behandlung bei einem Heilpraktiker, die aber alles nur noch schlimmer machte. Besonders schlimm sei das Jahr 2012 gewesen. Weil er tagsüber immer wieder plötzlich einschlief, sei ihr Mann häufig gestürzt und dabei auch immer wieder auf den Kopf gefallen. Im Juni habe sie ihn nachts bewusstlos in einer Blutlache entdeckt. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte daraufhin ein Schädel-Hirn-Trauma - und die Nervenkrankheit Parkinson. Die Medikamente, die er daraufhin verabreicht bekam, hätten wegen der Nebenwirkungen jedoch alles nur noch viel schlimmer gemacht. "Die Krankheit hat seinen Alltag bestimmt. Ich kam an meinen Mann nicht mehr heran", berichtet Gerda Fürniß sichtlich bewegt. In dieser Zeit sei ihr Ehemann unberechenbar geworden und habe auch Nachbarn wie aus heiterem Himmel um Geld angebettelt.

Inzwischen gehen die Ärzte von einer Fehldiagnose aus. Fürniß leide nicht unter Parkinson, sondern an einer manischen Depression. Seitdem er die Medikamente abgesetzt habe, gehe es ihm viel besser. Verteidigerin Combé weist überdies darauf hin, dass ihr Mandant selbst um 200 000 bis 250 000 Euro betrogen worden sei, weil er in Luftnummern investiert habe. Die Wieslocher im Publikum wollen dies jedoch nicht so richtig glauben. Nach dem Prozess erzählen sie, wie Fürniß ständig Leute in der Stadt um Geld angebettelt habe. Mal habe er behauptet, seine Kreditkarte sei defekt, mal brauchte er Bares für seine lebenswichtigen Medikamente. Diese Taten wurden jedoch nie angezeigt. Der Psychiater Hartmut Pleines soll nun klären, ob die Taten von Fürniß zum Teil mit einer manischen Depression zu erklären sind.

Die Verhandlung wird am Donnerstag, 26. März, um 8.30 Uhr im Saal 1 des Landgerichts fortgesetzt.

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