Eskalation in Nahost dominierte Gedenkabend zur Reichspogromnacht
"Schutzschild gegen Hass und Spaltung". "Gegen Gleichgültigkeit kann jeder etwas tun".

Von Alexander Wenisch
Heidelberg. Seit vielen Jahren gedenkt die Stadtgesellschaft am Abend des 9. Novembers der von Nationalsozialisten ermordeten und vertriebenen jüdischen Mitbürger. Doch die Veranstaltung am Donnerstagabend stand wie selten unter aktuellen politischen Eindrücken. "Wir trauern auch um die Ermordeten des brutalen Angriffs der Hamas" vom 7. Oktober, so Janusz Pawelczyk-Kissin, Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg. "Und wir beten für die Befreiung der 240 Geiseln." Die "furchtbaren Nachrichten und Bilder vom Angriff der terroristischen Hamas in Israel haben uns zutiefst schockiert", fasste Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen die Gefühlslage der 200 Anwesenden in Worte, die ihr sichtlich nicht leicht fielen.
Sie hatten sich am Platz der ehemaligen Synagoge in der Altstadt versammelt. Vor genau 85 Jahren, in der Nacht zum 10. November 1938, wurde diese – wie viele andere jüdische Einrichtungen in Deutschland – von Nationalsozialisten in Schutt und Asche gelegt. Zahlreiche Häuser und Geschäfte von Heidelbergerinnen und Heidelbergern jüdischen Glaubens wurden geplündert und zerstört. Die Reichspogromnacht war der "düstere Vorbote", so Jansen, jener Gräueltaten der Nazis, die im Zweiten Weltkrieg noch folgen sollten.
Es sei "bedrückend", wie viele Bürger Heidelbergs sich an den Verwüstungen, an den Diskriminierungen und an den anschließenden Deportationen beteiligt haben. Auch 300 Heidelberger und Heidelbergerinnen wurden zwischen 1938 und 1945 von den Nazis ermordet – ihre Namen wurden während der würdevollen Gedenkveranstaltung auch in diesem Jahr wieder verlesen.
Das gemeinsame Erinnern sei wichtig, "damit unsere Kinder und Kindeskinder nicht vergessen, was es bedeutet, wenn die Menschlichkeit verraten und mit Füßen getreten wird", so SPD-Bürgermeisterin Jansen. "Wir wünschen uns für alle ein Leben in Frieden und Freiheit, ganz gleich ob jemand Kippa oder Kopftuch trägt." Das gegenseitige Verständnis sei "ein Schutzschild gegen Hass und die Spaltung unserer Demokratie".
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In Heidelberg leben Menschen aus 160 Nationen zusammen – friedlich, wie Jansen betonte. "Dieses gute Miteinander verdanken wir auch dem Zusammenwirken unserer Religionsgemeinschaften." Der interreligiöse Dialog sei ein "großer Schatz". Sie sei "sehr glücklich darüber, wie vielfältig jüdisches Leben im Heidelberg des 21. Jahrhunderts" sei.
Dieses friedliche Miteinander müsse geschützt werden, appellierte Jansen. "Der grenzenlose Hass, den wir in diesen Wochen erleben, zeigt, was wir zu verlieren haben." So gehe es an diesem Abend auch um das Bekenntnis zu einem "Nie wieder". Es gehe darum, achtsam zu sein.
Gerade auch mit Blick auf "eine weltweite Welle des Judenhasses", die sich in den vergangenen Wochen zeigte, sei dies wichtig, so Rabbiner Pawelczyk-Kissin. Er stellte klar: "Judenfeindschaft ist keine Meinung, sondern Menschenverachtung und Volksverhetzung – unabhängig von der Verpackung, in der sie präsentiert wird." Darum liege es in der politischen Verantwortung, den Schutz der Bürger vor Vorurteil, Hass und Gewalt zu gewährleisten, forderte er und appellierte eindringlich: "Gegen Gleichgültigkeit etwas zu tun, das liegt in der Hand eines jeden Einzelnen."