Torarolle ist 83 Jahren am richtigen Ort angekommen
Schwetzingen übergab das Fragment einer Torarolle an die Jüdische Kultusgemeinde Heidelberg. Diese war in der Pogromnacht 1938 zerstört worden.

Von Sebastian Riemer
Heidelberg. Die Torarolle ist das Herzstück jeder Synagoge. Sie ist für Juden der heiligste aller Gegenstände, darf mit den bloßen Händen nicht berührt werden. Der Barbarei der Nationalsozialisten fielen vor 83 Jahren allerdings die meisten Torarollen in Deutschland zum Opfer. Auch diejenige der jüdischen Gemeinde in Schwetzingen warfen SA-Leute bei den Pogromen am 9. November 1938 auf die Straße und zündeten sie an.
Doch zog jemand die brennende Rolle aus dem Feuer. Retten konnte dieser bis heute unbekannte Mensch lediglich den linken Holzstab, mit nur noch wenig Pergament daran. Dieses stark zerstörte Fragment der Schwetzinger Tora ist nun, über acht Jahrzehnte nach der Pogromnacht, wieder in einer Synagoge zu Hause. Da es in Schwetzingen seit der Nazizeit keine Gemeinde mehr gibt, wurde sie der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg übergeben.
"Die heutige Rückgabe erfolgt objektiv und unstrittig viel zu spät", sagte Schwetzingens Oberbürgermeister René Pöltl am Montag beim Festakt in der Heidelberger Synagoge in der Weststadt. In seiner emotionalen Rede legte Pöltl auch seinen persönlichen Erkenntnisprozess dar. Denn er selbst war es, der vor drei Jahren die Initiative ergriff – als ihm klar geworden war, dass diese Torarolle "keinesfalls in ein weltliches Museum oder in den Besitz einer Stadt gehört". Das Tora-Fragment war nach der Pogromnacht ins Schwetzinger Rathaus gelangt und dort auch nach 1945 geblieben. In den vergangenen 25 Jahren wurde sie im Karl-Wörn-Haus, dem städtischen Museum, aufbewahrt.
"Mir ist erst in den vergangenen Jahren bewusst geworden, dass der Besitz der Torarolle durch die Stadt Schwetzingen Unrecht bedeutete", sagte Pöltl. Es habe "Zeit, Lernen und Erkenntnis" erfordert, dies zu begreifen. Noch als Mitarbeiter der Stadt Heidelberg hatte er ein Zeitzeugengespräch mit einer Holocaust-Überlebenden geführt. Später setzte er sich mit der Geschichte des jüdischen Lebens in Schwetzingen auseinander. Doch "der Schlüssel der Erkenntnis und des Verstehens" seien dann zwei Reisen nach Israel gewesen: "Nur wer Israel besucht hat, kann einen Eindruck gewinnen, wie wunderbar, wie vielfältig, wie emotional, wie herzlich, wie komplex und herausfordernd das jüdische Leben ist." Erst dort habe er begreifen können, welch "tiefe Lücke das Fehlen des jüdischen Lebens in unserer Stadt gerissen hat". Seit der Nazi-Herrschaft gibt es keine jüdische Gemeinde mehr in Schwetzingen. Dabei waren Jüdinnen und Juden zuvor fester Bestandteil der Stadtgesellschaft gewesen, hatten sogar einen Gebetsraum im Schloss, dem wichtigsten Gebäude der Stadt.
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Weil das jüdische Leben nie nach Schwetzingen zurückgekehrt ist, wandte sich Pöltl mit seinem Rückgabewunsch an die Heidelberger jüdische Gemeinde. Diese zeigte sich sofort offen für die Idee. Rabbiner Jona Pawelczyk-Kissin dankte nun beim Festakt "allen Schwetzingern" und insbesondere Pöltl für dessen "bewegende Worte". Für die Gemeinde sei diese Rückgabe ein ganz besonderes Ereignis. Und er erklärte den geladenen Gästen das Tora-Fragment genauer: "Es ist ja nur sehr wenig Pergament übrig. Aber darauf zu lesen ist noch die Geschichte von Jakob, der sich als sein Bruder Esau verkleidet, um so seinen Vater Isaak zu täuschen und dessen Segen zu empfangen." Für Pawelczyk-Kissin hat die Rolle eine erschütternde Symbolkraft: "Die Brandspuren erinnern an die Zerstörung nicht nur im November 1938, sondern auch an das Feuer, mit dem das jüdische Leben in Europa vernichtet wurde."
Die Rückgabe der Torarolle hat aber nicht nur für Schwetzingen und die Jüdische Kultusgemeinde große Bedeutung – sondern auch für die Stadt Heidelberg als Ganzes. Neben Oberbürgermeister Eckart Würzner waren mit Jürgen Odszuck (CDU), Wolfgang Erichson (Grüne) und Stefanie Jansen (SPD) gleich drei Bürgermeister zum Festakt gekommen. Würzner sprach in seiner kurzen Rede über die Freude über das jüdische Leben in Heidelberg. An die Gemeinde gerichtet, sagte er: "Sie bereichern unser Leben für alle Menschen in dieser Stadt." Würzner fand aber auch deutliche Worte gegen den Judenhass: "Wir müssen leider feststellen, dass Antisemitismus in Deutschland heute noch immer Alltag ist. Aber wir werden nicht müde, dagegen vorzugehen. In unserer weltoffenen, toleranten Stadt und Region dulden wir keinerlei Hetze oder gar Gewalt gegen Jüdinnen und Juden."