Heidelberg

Diese Stadträte gehen freiwillig

Irmtraud Spinnler und Peter Holschuh lassen politisches Engagement Revue passieren - Ein Mal hätten sich die Freunde beinahe entzweit

19.07.2019 UPDATE: 21.07.2019 06:00 Uhr 4 Minuten

Nach Jahrzehnten im Gemeinderat haben Irmtraud Spinnler (SPD) und Peter Holschuh (Grüne) am Dienstag ihre letzte Sitzung. Foto: Rothe

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Sie gehen freiwillig. Sowohl Irmtraud Spinnler als auch Peter Holschuh wollten nicht mehr ihren Urlaub und ihre Freizeit nur nach den Gemeinderatssitzungen richten und haben daher nicht mehr kandidiert. Endlose Debatten im Stadtentwicklungs- und Verkehrsausschuss haben die beiden wahrlich mehr als genug erlebt.

Doch als sie nun freundschaftlich verbunden im Café Rossi bei einem Frappé und einer Fanta ihr kommunalpolitisches Engagement Revue passieren lassen, muss Holschuh zugeben: "Es tut schon etwas weh. Als die Ausschussposten vergeben wurden und ich nicht mehr dabei war, hat es mir einen Stich versetzt."

Dieses Mal könnte es klappen, die CDU als stärkste Fraktion vom Sockel zu stoßen. Mit diesem Gefühl hat sich der 65-jährige Holschuh noch einmal im Kommunalwahlkampf engagiert. Dass seine Grünen aber mit 16 Stadträten in den Gemeinderat einziehen würden und damit mehr als doppelt so stark sind wie die Christdemokraten, hätte er nicht zu träumen gewagt.

Wenn am kommenden Dienstag der alte Gemeinderat im Großen Rathaussaal verabschiedet wird, saß Holschuh 20 Jahre in dem Gremium. Er ist stolz, dass er in vier Legislaturperioden keine einzige Sitzung versäumt hat. Irmtraud Spinnler (74) ist sogar noch länger dabei: 1980 kandidierte sie das erste Mal und wurde prompt Stadträtin für die Grüne Liste, neben Hermann Funke, der kurz darauf aus der Wählerinitiative austrat und später sogar im Landesvorstand der rechtsextremen Republikaner war. Als dienstälteste Stadträtin darf Spinnler am Dienstag die Abschiedsrede halten.

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Spinnlers politisches Engagement begann in der SPD, in die sie Anfang der 1970er Jahre eintrat. Es war die Zeit von Oberbürgermeister Reinhold Zundel, dessen Politik Spinnler in vielen Punkten ablehnte. "Er ließ Obdachlose aus der Stadt bringen. Das Straßenbahnnetz wurde immer mehr abgebaut." Die vielen Demos gegen die damaligen Fahrpreiserhöhungen haben sie zudem politisiert.

Peter Holschuh hingegen wurde 1997 von dem späteren Grünen-Bundesvorsitzenden Reinhard Bütikofer angesprochen, ob er sich nicht kommunalpolitisch engagieren wolle. "1999 habe ich das erste Mal kandidiert. Es hat auch gleich geklappt." Holschuh vermutet, dass er einen Heimvorteil hatte. Er ist in Heidelberg geboren und in der Altstadt aufgewachsen, engagierte sich ab 1998 im grünen Arbeitskreis Verkehr.

Die Verkehrspolitik und das Interesse am Ausbau des Straßenbahnnetzes waren immer ein gemeinsames Ziel der beiden Stadträte. Spinnler, die als Programmiererin am Institut für Hochenergiephysik, dem heutigen Kirchhoff-Institut, arbeitete, wurde von der Universität Anfang der 90er Jahre ins Verkehrsforum entsandt. Es ging um nichts Geringeres, als den Verkehrsentwicklungsplan mit auszuarbeiten.

Das später eingeführte Jobticket und das Semesterticket führt Spinnler als ihre Erfolge an. Seit diesen Jahren ließ sie das Interesse für den Nahverkehr nicht mehr los. Die Stadträtin fuhr häufig zu Recherchezwecken mit Bus und Bahn durch Heidelberg, unterhielt sich mit den Fahrern der RNV, um herauszufinden, wo der Schuh drückt. Die so gewonnenen Erkenntnisse ließ sie gerne in ihre Wortbeiträge im Verkehrsausschuss einfließen.

Mit dem Bau der Straßenbahnlinie nach Kirchheim feierten Spinnler und Holschuh ihren größten gemeinsamen Erfolg. In der Verkehrspolitik fuhren sie aber auch beide niederschmetternde Niederlagen ein: Für Spinnler war die erfolgreiche Klage der Universität gegen die Straßenbahn ins Neuenheimer Feld ein "Schock". Für Holschuh war es die Erkenntnis, dass die Bahnlinie in die Altstadt durch die Friedrich-Ebert-Anlage wohl nie gebaut wird.

Holschuh und Spinnler scherzen miteinander, er nennt sie vertrauensvoll "Irmi", und wenn ihr eine seiner Äußerungen zum möglichen Betriebshofstandort am Recyclinghof nicht passt, sagt sie: "Ach, Peter!" Trotz dieses heute sehr freundschaftlichen Umgangs hatten sich die beiden aber auch kurzzeitig entzweit. Und zwar als Spinnler, immerhin ehemalige Vorsitzende der GAL und die ausgewiesene HSB-Expertin der Wählerinitiative, mit einem großen Paukenschlag im Jahr 2005 die Fraktion verließ und zur SPD wechselte.

Holschuh war damals GAL-Fraktionsvorsitzender: "Es hat mich schon getroffen, dass ich von diesem Schritt erst aus der Zeitung erfahren habe." Spinnler hingegen steht noch heute hinter dieser Entscheidung. "Die Konfrontation der GAL mit Beate Weber hat mir damals gar nicht gefallen", sagt Spinnler. Wie die Oberbürgermeisterin habe sie in der Vogt-Affäre die Fähigkeiten des damaligen HSB-Vorstands Manfred Vogt stark bezweifelt. Weber hatte ihn unter vollen Bezügen freigestellt.

Die Fraktion wechselte Jahre später auch Holschuh. Als die Grünen bei der Kommunalwahl 2009 erstmals mit einer eigenen Liste antraten, blieb Holschuh noch bei der GAL. Drei Jahre später ging er von der kommunalpolitischen Initiative zur Bundespartei. "Ich war schon immer dafür, dass GAL und Grüne zusammen gehen."

Viele in ihrer Fraktion hätten fest damit gerechnet, dass sie bei diesen Wahlen noch einmal antrete, sagt Spinnler. Doch sie wollte den vielen Jungen in der SPD eine Chance geben, deshalb habe sie jetzt einen Schlussstrich gezogen. "Außerdem kann ich jetzt auch einfach mal mein Enkelkind in Berlin besuchen. Das zweite kommt noch", sagt die Noch-Stadträtin. In letzter Zeit habe sie nach den Ferien immer länger gebraucht, um sich für die Stadtpolitik zu motivieren. Auch aus diesem Grund habe sie gar nicht mehr am Kommunalwahlprogramm mitgeschrieben.

Trotzdem gibt sie zu, dass es sie bei bestimmten Themen immer noch juckt, mitzureden: Beim Masterplan Neuenheimer Feld oder der Frage, ob die Straßenbahn von Kirchheim wirklich über die Bahnstadt fahren muss. Holschuh wollte sich schon vor fünf Jahren aus der Kommunalpolitik zurückziehen. Doch als Haushaltsexperte in der Fraktion wurde er, der damals noch als Verwaltungsbeamter beim Regierungspräsidium arbeitete, noch gebraucht. Inzwischen habe sich Felix Grädler aber super in die Materie eingearbeitet.

Die Haushaltspolitik hatte für Holschuh, der sich nicht als links, sondern als fortschrittlich bezeichnet, immer auch etwas mit Sozialpolitik zu tun. Er selbst wuchs mit zehn Geschwistern auf. "Wir hatten nicht viel Geld." Daher schmerzt es ihn, dass in Heidelberg noch immer mehr als 9000 Menschen armutsgefährdet seien. "Wir dürfen die nicht vergessen." Wegen dieser Einstellung ist Holschuh auch stolz darauf, dass er das geförderte Sozialticket für den Nahverkehr und die beitragsfreie Kindertagesstätte für sozial Schwache mit initiiert habe.

Trotz dieser positiven Erfahrungen freut sich Holschuh jetzt, wo er auch Pensionär ist, auf seine Freizeit. Mit seinem Lebenspartner Norman hat er sich auf Gran Canaria einen Bungalow gekauft, wo die beiden die kalten Wintermonate verbringen wollen. Spinnler kann bestätigen, dass das Privatleben unter den unzähligen Stunden, die Stadträte für die ehrenamtliche Arbeit im Gemeinderat aufbringen müssen, leidet. "Als ich in den Ruhestand ging, dachte mein Partner, wir hätten jetzt mehr Zeit füreinander", lacht Spinnler: "Doch jetzt, da alles vorbei ist, befürchtet er, dass ich etwas vermissen werde."

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