Heidelberg

Der neue Stadtteil wird "wechselwarm"

In Neubauten in Patrick-Henry-Village gibt es nicht nur Fernwärme, sondern auch Fernkälte. Es ist ein bislang weltweit einzigartiges Konzept.

16.08.2022 UPDATE: 16.08.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 33 Sekunden
Noch steht Patrick-Henry-Village weitgehend leer. Doch wer dort in den nächsten Jahren in einen Neubau zieht, kann sich im Sommer auf Kälte aus der Leitung freuen. Foto: Kay Sommer

Von Denis Schnur

Heidelberg. Wer nicht gerade in einer sehr gut gedämmten Wohnung lebt oder eine Klimaanlage besitzt, hat in den letzten Wochen viel geschwitzt. Gleichzeitig sorgen sich so viele Menschen bereits im Sommer über das Heizen im Winter wie seit Jahrzehnten nicht. Wenn nun der neue Stadtteil in Patrick-Henry-Village (PHV) entsteht, will man dort gleich eine Lösung für beide Probleme mitliefern: ein System, durch das nicht nur Wärme, sondern auch Kälte in alle Neubauten fließt – und das klimaneutral. "Wechselwarmes Netz" nennen die Stadtwerke das Konzept, das in dieser Form weltweit einzigartig ist. Es soll einer der Bausteine sein, der PHV tatsächlich zum "Stadtteil der Zukunft" macht.

Denn den Planern um Michael Teigeler, Geschäftsführer Energie der Stadtwerke und einer der Köpfe hinter der Idee, war von Beginn an klar: In PHV wird nicht nur Wärme wichtig, sondern vor allem auch Kälte. "Ich sage immer: Kühlen ist das neue Heizen", so Teigeler. Wegen der vielen Klimaanlagen werde schon jetzt im August der meiste Strom verbraucht. Und mit fortschreitendem Klimawandel wachse das Bedürfnis nach Kälte weiter. Aber erstens sind Klimaanlagen extrem uneffizient und fressen viel Strom. Und zweitens lässt sich die Wärme, die in der Wohnung oder in einem Rechenzentrum nicht gewollt ist, woanders nutzen, um etwa warm zu duschen.

Und das ist die grundlegende Neuerung an dem System. Denn die Stadtwerke betreiben bereits ein großes Fernwärmenetz in Heidelberg, an das auch PHV angeschlossen ist, sowie kleinere Kältenetze. Die sind jedoch klar getrennt, brauchen jeweils ein Rohr als Zu- und eines als Ableitung. Bei dem Netz für die Neubauten in PHV soll das anders werden. Es wird aus einer Wärme- und einer Kälteleitung bestehen, die alle Neubauten miteinander verbinden. Braucht eine Wohnung im Winter Wärme, kommt sie aus dem Warmleiter, die Kälte im Sommer entsprechend aus dem Kaltleiter. "Unser Logo ist eine Mauereidechse. Die weiß auch, wann Sommer und wann Winter ist, und kann beides", erklärt Teigeler.

Doch mit zwei Rohren ist es nicht getan. Denn das Wasser fließt darin mit zehn bis 20 Grad (Warmleiter) oder vier bis 14 Grad (Kaltleiter). Damit man damit heizen oder warm duschen kann, muss es im Haus nochmal mit einer dezentralen Wärmepumpe erhitzt werden. Die kühlt dabei wiederum einen Teil des Wassers so weit runter, dass er in den Kaltleiter eingespeist und woanders zum Kühlen genutzt werden kann. Dort läuft derselbe Prozess dann genau andersrum ab.

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Durch eine ausgeklügelte Steuerung und kleine Speicher in allen Gebäuden entsteht so ein System, das laut Teigeler im Vergleich zur herkömmlichen Fernwärme zunächst aufwendiger ist. Er rechnet mit Investitionskosten von 40 bis 70 Millionen Euro. Doch das bringe zwei riesige Vorteile: Zum einen ist das System für die Nutzer einfach. Komplexe Wärmerückgewinnungsanlagen wie sie in den Passivhäusern der Bahnstadt verbaut sind, braucht man nicht. Das spart Geld und Platz. Und zweitens ist das Netz viel effizienter.

Viele Faktoren seien noch unklar, daher sei es schwer, Kosten vorherzusagen. Aber Teigeler geht davon aus, dass ein Bewohner für Wärme und Kälte insgesamt nicht mehr zahlt als jemand, der bisher an das reguläre Fernwärmenetz angeschlossen ist – nur für Wärme. Doch hänge das einerseits natürlich vom individuellen Verbrauch ab, andererseits aber auch davon, dass im Stadtteil tatsächlich eine gute Mischung aus Gewerbe und Wohnen entsteht, wie es der Dynamische Masterplan vorsieht. Denn wirklich effizient ist das System nur, wenn man möglichst unterschiedliche Wärme- und Kältebedarfe hat.

Nach den aktuellen Plänen wird der Großteil der benötigten Wärme vor Ort mithilfe von Geothermie erzeugt, der Rest kommt aus dem städtischen Fernwärmenetz. Und auch die Kälte entsteht in einer großen Kälteanlage im Stadtteil. Die dürfe man sich jedoch nicht vorstellen, wie eine Klimaanlage. "Wir kühlen, wir klimatisieren nicht", betont Teigeler. In der Regel reiche die Leistung, um ein Gebäude im Vergleich zur Außentemperatur um sechs Grad runterzukühlen – mit klugem Lüften etwas mehr. "Aber auch diese sechs Grad machen an einem heißen Tag einen riesigen Unterschied."

Hintergrund

> Patrick-Henry-Village ist eine ehemalige Siedlung der US-Army im Südwesten Heidelbergs an der A 5. Zu Hochzeiten lebten dort 8000 Menschen – Soldaten und ihre Familien. Das 97 Hektar große Areal, das seit 2013 weitgehend leer steht, soll Stück für Stück zu Heidelbergs

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> Patrick-Henry-Village ist eine ehemalige Siedlung der US-Army im Südwesten Heidelbergs an der A 5. Zu Hochzeiten lebten dort 8000 Menschen – Soldaten und ihre Familien. Das 97 Hektar große Areal, das seit 2013 weitgehend leer steht, soll Stück für Stück zu Heidelbergs 16. Stadtteil entwickelt werden. Nach dem von der Internationalen Bauausstellung (IBA) entwickelten Dynamischen Masterplan sollen am Ende 10.000 Menschen in einem "Stadtteil der Zukunft" leben und etwa 5000 arbeiten.

> Geheizt wurde die US-Siedlung über das Fernwärmenetz der Stadtwerke. Das soll bei den Bestandsgebäuden, die nur saniert oder erweitert werden, auch so bleiben, weil die Infrastruktur noch gut nutzbar ist. An das "Wechselwarme Netz" werden dagegen nur Neubauten angeschlossen.

> Gas spielt bei der Fernwärme auch deshalb keine große Rolle, weil sich die US-Army sonst geweigert hätte, damit zu heizen. Denn schon in den 70er-Jahren wollten die US-Amerikaner eine Abhängigkeit von Russland um jeden Preis vermeiden. Die Fernwärme-Zusage kam erst, als klar war, dass diese vor allem aus dem Kohlekraftwerk Mannheim kommt. dns

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