Heidelberg

Das Hakenkreuz an der Wohnungstür machte Ramona Ambs Angst

Die Schriftstellerin sprach auf der Rohrbacher Pogrom-Gedenkfeier über ihre Erfahrungen als Jüdin in Deutschland. Sie wünscht sich mehr Solidarität.

10.11.2021 UPDATE: 11.11.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 18 Sekunden
Um jüdisches Leben auch in der Gegenwart ging es auf der Gedenkveranstaltung in Rohrbach. Etwa 120 Teilnehmer waren gekommen. Foto: Alex

Von Manfred Bechtel

Heidelberg. "Als Kind war Nazi für mich einfach nur ein anderes Wort für ein irgendwie gefährliches Monster, wegen dem ich im Schrank sitzen musste. Bis heute rieche ich Mottenkugeln, wenn ich das Wort höre." Diese Kindheitserinnerung hörten die Teilnehmer, die sich am 9. November, dem Jahrestag der Pogrome, zu einer Gedenkveranstaltung in Rohrbach versammelt hatten. Ramona Ambs, Schriftstellerin und Poesietherapeutin, erzählte sie. Ihre Großtante Godi war es, die sie als Vierjährige in den Schrank sperrte, damit die Nationalsozialisten sie nicht finden würden. Die Tante hatte das Konzentrationslager Ravensbrück überlebt. Sie war schwer traumatisiert und fühlte sich zwischendurch in das KZ zurückversetzt.

"Was die Nazis eigentlich genau waren, hab’ ich allerdings auch erst später gelernt", sagte die heute 47-Jährige. Sie war eingeladen, über heutiges jüdisches Leben in Deutschland zu sprechen und davon, wie es aktuell bedroht ist. Dazu bemühte sie nicht Statistiken oder Studien, sondern erzählte von sich und ihrer Familie und wie sie als Jüdin in Deutschland aufwuchs. In der Schule begegnete ihr erstmals Antisemitismus von anderen. Selten von Kindern erinnert sie sich. "Das war durchaus verletzend. Aber bedrohlich oder zumindest unheimlich war der Antisemitismus, der mir von Lehrerseite begegnet ist." Im Erwachsenenleben traf sie auf Nachbarn, die interessiert Fragen stellten, aber auch auf andere, "die haben die Gelegenheit genutzt, mir all das mitzuteilen, was sie schon immer mal sagen wollten – und was man ja vermeintlich nicht sagen darf". Ein Hakenkreuz an der Wohnungstür macht ihr zum ersten Mal im Leben ernsthaft Angst. "Weniger meinetwegen als wegen der Kinder." Die Polizei, berichtet sie, sei nicht sehr hilfreich gewesen. Kurz danach sind sie umgezogen.

Als Ramona Ambs begann, als Journalistin und Autorin zu arbeiten und noch mehr in der Öffentlichkeit stand, geriet sie in den Fokus nicht nur von Rechten, sondern auch von Islamisten und von "Bürgern der Mitte". Eine Auswahl der an sie gerichteten Schreiben liest sie vor: Sie sind verstörend, bedrohlich. Schließlich berichtet sie auch von körperlichen Übergriffen, so in der Straßenbahn von einem jungen Mann, der ihren Davidstern gesehen hatte, sie auf Arabisch beleidigte und schließlich anspuckte. Das Schlimmste an den Erfahrungen: Niemand habe eingegriffen, niemand habe sie angesprochen. Die Umstehenden hätten peinlich berührt weggeguckt. Was sie sich wünscht: Solidarität.

Mit dem Lied von Hannes Wader "Gut wieder hier zu sein, gut euch zu seh’n" hatten Martina Baumann (Akkordeon) und Anne Kloos (Gesang) die Gedenkstunde eingeleitet. Rund 120 Teilnehmer waren auf den kleinen Platz neben dem alten Rohrbacher Rathaus gekommen. Im Namen des Rohrbacher Punkers und des Stadtteilvereins begrüßte Claudia Rink und erinnerte an die Pogromnacht vor 83 Jahren, als in Deutschland Synagogen angezündet und jüdische Wohnungen und Geschäfte zerstört wurden. In Rohrbach verwüsteten Angehörige des SA-Studentensturms und Mitglieder des Pioniersturms der SA das Gebetshaus und steckten es in Brand. Die Rohrbacher Feuerwehr wurde am Löschen gehindert und durfte erst eingreifen, als die Flammen drohten, auf Nachbarhäuser überzugreifen. Ebenfalls verwüstet wurde die Bäckerei der jüdischen Familie Beer ein paar Meter oberhalb in der Rathausstraße.

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Für den Stadtteilverein sprach Hans-Jürgen Fuchs: Er forderte auf, die Augen nicht zu verschließen, sondern Stellung zu beziehen. Es sei gegenwärtig notwendig, Antisemitismus zu geißeln, gleichgültig, von wem er ausgehe. Zwei Jugendliche verlasen die Namen der vielen Rohrbacher Juden, "die uns bis heute fehlen", wie Ramona Ambs formulierte. "Behüten und gedenken" war das Leitmotiv des besinnlichen Abends. "Schamor ve sachor" heißt das auf Hebräisch. Dafür stehen die beiden Kerzen, die am Schabbat in den jüdischen Familien entzündet werden. In Rohrbach waren es viele Kerzen, die in der Dunkelheit neben dem Rathaus leuchteten.

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