Gegen Antisemitismus und Verschwörungsmythen
Mosbach gedachte der Pogromnacht von 1938. Dabei trug sich der Antisemitismus-Beauftragte des Landes ins goldene Buch der Stadt ein.

Von Gabriele Eisner-Just
Mosbach. Die Reichspogromnacht am 9. November 1938 hat eine besondere Bedeutung für Mosbach: Am Morgen danach brannten auf dem Mosbacher Marktplatz jüdische Kultgegenstände, darunter die Thorarolle, Möbelstücke, Bücher und Einrichtungsgegenstände jüdischer Mitbürger. Während die Jugend und Schaulustige nationalsozialistisches Liedgut schmetterten, wurde die geplünderte Synagoge in der Frohndbrunnengasse in Brand gesetzt. In den Tagen danach wurden acht jüdische Männer aus Mosbach ins KZ Dachau gebracht, darunter der Rabbiner Julius Greilsheimer.
Gegen das Vergessen organisiert die Stadtverwaltung alle fünf Jahre eine Gedenkveranstaltung, die wegen der Corona-Pandemie vom vergangenen Herbst auf dieses Jahr verschoben wurde. Mehr als 100 Mitbürgerinnen und Mitbürger versammelten sich auf dem Marktplatz unter dem Foto der Verbrennungsaktion von 1938. Besonders gespannt wurde die Rede von Dr. Michael Blume, Antisemitismus-Beauftragter des Landes Baden-Württemberg, erwartet. Die Veranstaltung wurde vom Querflötisten Martin Schmidt musikalisch umrahmt.
"Weil Antisemitismus und Verschwörungsmythen inzwischen wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind und rechtsradikale Parteien zum Teil sehr hohe Wahlergebnisse erzielen, fühlen sich jüdische Bürger und Bürgerinnen in Deutschland oft nicht mehr sicher", sagte Oberbürgermeister Michael Jann. "Übergriffe, Anschläge und Beleidigungen nehmen zu. Wie ein Katalysator hat das Coronavirus antisemitische Tendenzen bloßgelegt. Besonders in den sozialen Medien grassieren Hass und verbale Entgleisungen." Jann führte weiter aus, dass Agitationen dieser Art gefährlich sind. "Wir nehmen dies zum Anlass, neuen und alten Antisemitismus in der Gesellschaft zu thematisieren und uns öffentlich gegen Verschwörungsmythen zu positionieren." Er rief die Zuhörer auf, sich ebenfalls zu engagieren.
Markus Wieland, Vorsitzender des Geschichts- und Museumsvereins Mosbach, führte als Beispiel für Verschwörungsmythen die "Protokolle der Weisen von Zion" auf. Das antisemitische Pamphlet, eine Fälschung aus dem Jahr 1903, gibt sich als Geheimdokument eines angeblichen Treffens von jüdischen Weltverschwörern aus. "Dieses lächerliche Machwerk war auch bei Nationalsozialisten in Mosbach und in der Region sehr populär", sagte Wieland. In den letzten vier bis fünf Jahren habe der Glaube an Verschwörungstheorien leider wieder zugenommen. Diesmal beklagten Rechtsextreme und Populisten etwa eine "Impfzwangelite".
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"Im öffentlichen Antisemitismus kommt Geschichte plötzlich ganz nah", erklärte Dr. Michael Blume. "Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir in Baden-Württemberg einen Antisemitismus-Beauftragten brauchen und noch viel weniger, dass ich einmal derjenige sein würde." Antisemitismus gebe es in der ganzen Welt, doch dass im Januar 2016 ein baden-württembergischer Landtagsabgeordneter geäußert habe, die "Protokolle der Weisen von Zion" seien echt, sei unfassbar. In diesen Kreisen werde behauptet, eine böse Macht aus Juden und Freimaurern bzw. Zionisten und Illuminaten manipuliere alles: das Wetter, die Corona-Pandemie, die Politik.
Einige Verschwörungsmythen hätten mit Bildungseifer zu tun, denn mancher glaube, nur Juden seien schlau genug, alle anderen zu kontrollieren. Gleichzeitig steige der Antisemitismus immer dann an, wenn neue Medien für eine leichte Meinungsverbreitung sorgten. So sei mit dem Buchdruck die Hexen- und Judenverfolgung angestiegen, die Nationalsozialisten hätten Menschen über Foto und Film radikalisiert und heute helfe das Internet im Zusammenspiel mit den sozialen Medien dabei, abstruse Ideen in die Welt zu tragen. Diese Aufheizung der Meinungen habe aber indirekt zu Anschlägen auf Synagogen geführt und werde auch in den nächsten Jahren Hass produzieren.
Blume wollte seine Rede nicht ohne Worte der Hoffnung beenden: "Sie und viele Zehn- oder gar Hunderttausende wollen diesen Hass nicht mehr", sagte er. "Da ist es wichtig, Aufklärungsarbeit zu leisten und zur Vorsicht in den digitalen Medien aufzurufen. Sie haben außerdem eine KZ-Gedenkstätte – nicht, weil wir schuldig sind, sondern weil wir Verantwortung haben, dass solches nie wieder geschieht." Nach Handlungsmöglichkeiten gegen Hass und Hetze gefragt, beendete er seine Rede mit den Worten: "Mosbach macht vieles richtig. Stehen Sie weiter auf gegen Antisemitismus und Rassismus. Bleiben Sie Mosbach!"
Dr. Katrin Sawatzki, Leiterin der Volkshochschule Mosbach und Mitorganisatorin der Gedenkfeier, dankte Blume für die "bewegenden, aufrüttelnden Worte". Sie bat um Verständnis, dass die Kranzniederlegung am Synagogenplatz coronabedingt im kleinen Kreis stattfinden müsse. Dorothee Roos, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Neckarelz e. V., hob zum Abschluss der Gedenkfeier die zum Nachdenken anregenden Worte von Blume hervor, dankte dem Flötisten für seine musikalische Gestaltung der Feier und der Stadtverwaltung Mosbach für die umfangreiche Organisationsarbeit der großen Veranstaltung. Sie gab auch der Hoffnung Ausdruck, in den kommenden Wochen und Monaten zu einem guten Austausch zu kommen. Schließlich trug sich Blume noch ins goldene Buch der Stadt Mosbach ein.



