Bewohner finden nächtliche Zustände in der Altstadt "katastrophal"
Die Initiative "Linda" reagiert auf das RNZ-Interview mit Jimmy Kneipp. Die Situation habe sich nicht verbessert. Heidelberg habe ein "Vollzugsdefizit".

Von Anica Edinger
Heidelberg. Im RNZ-Interview hatte Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp kürzlich auf den Feier-Sommer zurückgeblickt – und ein positives Fazit gezogen, was die Lärmsituation an den einstigen Brennpunkten Neckarwiese oder Alte Brücke betrifft. Auch in der Kernaltstadt versuche man, den Lärm mit verschiedenen Maßnahmen weiter einzudämmen, so Kneipp.

Über diese und weitere Aussagen staunten die Sprecher der Bürgerinitiative "Leben in der Altstadt" (Linda), Doris Hemler, Martin Kölle und Christoph Egerding-Krüger. Wie sie die Situation einschätzen, erklärten sie nun der RNZ.
> Die Situation in der Altstadt: Als "katastrophal" beschreibt Egerding-Krüger die nächtlichen Zustände in der Kernaltstadt. Im Sommer sei die Untere Straße "eine einzige öffentliche Kneipe" gewesen, so der Linda-Sprecher. Abgesehen von Lärm sei öffentliches Urinieren weiter ein großes Problem in der Altstadt. Der Synagogenplatz etwa – Egerding-Krüger wohnt nicht weit davon entfernt – sei nach dem Wochenende eine einzige Kloake. "Das ist ekelhaft", sagt er.
Doris Hemler erzählt sogar von einem Fleck Erbrochenem auf dem Boden vor ihrer Haustür, der sich in den Sandstein eingefressen hat und nicht mehr weggehen will. Verbessert habe sich jedenfalls für die Anwohner in der Altstadt seit dem Antreten der beiden Nachtbürgermeister Jimmy Kneipp und Daniel Adler – nichts.
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Hintergrund
> Die Bürgerinitiative "Leben in der Altstadt" (Linda) wurde 2009 gegründet – und beschäftigt sich seither viel mit der Lärmproblematik durch Feiernde in der Kernaltstadt. Die drei Linda-Sprecher Doris Hemler, Martin Kölle und Christoph Egerding-Krüger betonen aber: "Wir
> Die Bürgerinitiative "Leben in der Altstadt" (Linda) wurde 2009 gegründet – und beschäftigt sich seither viel mit der Lärmproblematik durch Feiernde in der Kernaltstadt. Die drei Linda-Sprecher Doris Hemler, Martin Kölle und Christoph Egerding-Krüger betonen aber: "Wir sind keine Spaßbremsen." Hemler erklärt: "Es geht bei uns nicht nur um Lärm, Dreck und Randale." Vielmehr sei es seit der Gründung das Hauptanliegen der Bürgerinitiative, die Lebensqualität in der Altstadt aufrechtzuerhalten – "damit sich dort auch weiter Familien wohlfühlen", so Hemler.
Deshalb bringe man sich in viele Diskussionen, die den Stadtteil betreffen, konstruktiv ein. "Wir haben uns beispielsweise bei der Neugestaltung des Theaterplatzes sehr engagiert", so Kölle. Auch der Verkehr in der Altstadt sei Linda ein Anliegen. Zur Verkehrsberuhigung habe man dem Gemeinderat vor fünf Jahren ein Pollerkonzept vorgelegt – "das wurde auch beschlossen, aber bisher nicht umgesetzt", sagt Egerding-Krüger. ani
> Die Maßnahmen: Vor einem Jahr gab es ein Treffen der Nachtbürgermeister mit Linda. Themen waren laut Kölle: "Ausbau der Night Coaches, Ausbau des Kommunalen Ordnungsdienstes, Öffnung weiterer Toiletten und eine angemessene Plakatierung und Beschilderung in der gesamten Altstadt." Über die Umsetzung der Maßnahmen sind die Lindaner frustriert.
Die viel gepriesenen Night Coaches etwa seien nur in den Sommermonaten im Einsatz gewesen. Der Kommunale Ordnungsdienst, der mit 30 Mitarbeitern so gut aufgestellt ist wie noch nie, sei in der Altstadt zu wenig präsent – er arbeite unter der Woche nur bis Mitternacht und am Wochenende nur bis 3 Uhr. Auf RNZ-Anfrage bestätigte das ein Stadtsprecher.
Das sei insofern ein Problem, als die Kneipen je eine Stunde länger geöffnet haben: unter der Woche bis 1 Uhr und am Wochenende bis 4 Uhr. "Dann ist es weiterhin laut, denn dann gehen die Wanderungen los", berichtet Kölle. "Präsenz schafft Prävention", hatte Nachtbürgermeister Kneipp im RNZ-Interview gesagt.
Egerding-Krüger befindet dazu: "Eine Präsenz stellen wir nicht fest." Und von der Plakataktion in der Altstadt, die auf die Bedürfnisse der Anwohner aufmerksam machen und einen Regelkatalog für gutes Benehmen in der Altstadt beinhalten soll, werde nur gesprochen – umgesetzt sei sie aber noch nicht.
Ebenso seien öffentliche Toiletten Mangelware in der Kernaltstadt. Und die WC-Anlage, die es in der Unteren Straße gebe, "ist nach dem Wochenende so versifft, dass nicht einmal die Gästeführer mit ihren Gruppen dort hingehen", berichtet Hemler.
> Lindas Wünsche: Gerade hinsichtlich der Plakataktion ist Linda enttäuscht. "Das wird zwar auch nicht das Problem lösen, es wäre aber immerhin ein Zeichen des guten Willens uns gegenüber", findet Kölle. Egerding-Krüger erzählt von einer Reise nach Amsterdam. In jeder Kneipe sei an der Tür ein Regelkatalog fürs nächtliche Benehmen angebracht gewesen – samt einer Liste der Strafen. "Urinieren in der Öffentlichkeit kostet 140 Euro", berichtet Egerding-Krüger. "Das ist richtig viel Geld – und deshalb macht das da auch keiner."
Solche Plakate wünschen sich die Linda-Sprecher auch in Heidelberg – Verstöße gegen die Regeln müssten dann auch entsprechend geahndet werden. Kölle sagt aber: "Heidelberg hat ein Vollzugsdefizit." Egal ob es ums Falsch- und Gehwegparken oder eben um nächtliches Fehlbenehmen gehe. Auch Kneipiers, die sich nicht ausreichend um Ruhe vor ihren Gaststätten kümmerten, könnte man gegebenenfalls mit Geldbußen bestrafen, finden die Lindaner.
> Der "Systemfehler": Dass die Nachtbürgermeister-Stelle bei der städtischen Tochter "Heidelberg Marketing" angesiedelt ist, halten die drei Linda-Sprecher für einen kapitalen Fehler. Immerhin sei es Aufgabe von "Heidelberg Marketing", mehr Menschen in die Stadt zu locken, "die Stadt zu vermarkten", wie Egerding-Krüger sagt – "da sind die Bürger randständig". Bürgermeister sollten aber nicht ausschließlich dafür da sein, Stadtevents auszurichten. "Sie sind eben auch für das Wohl der Bürger zuständig", so Hemler.
Im Hinblick auf junge Feierkultur sei viel erreicht worden, das gestehen die Linda-Sprecher den Nachtbürgermeistern zu. Doch die Befriedung der Altstadt – immerhin auch ein Aufgabenfeld, das in der Stellenausschreibung aufgeführt war – hätten sie dabei völlig aus den Augen verloren.