Ein Glas Sekt und zwei Ansprachen
Vor dem Bürgerfest feierte die Stadt relativ spartanisch das neue Jahr - Schon 1976 ging es um Großprojekte

Oberbürgermeister Reinhold Zundel (rechts) sprach am 1. Januar 1976 beim Neujahrsempfang der Stadt im Rathaussaal. Foto: Ballarin
Von Micha Hörnle
Heidelberg. Am Sonntag wird in der Bahnstadt das siebte Bürgerfest gefeiert. So heißen heute die einstigen Neujahrsempfänge der Stadt, die zu einem veritablen, fast ganztägigen Event geworden sind, bei dem sich nicht nur das Rathaus, sondern auch die ganze Stadtgesellschaft den geneigten Bürgern präsentiert. Das erste Bürgerfest wurde am 14. Januar 2007 in der Halle 02 gefeiert - da war vom neuen Stadtteil Bahnstadt noch nichts zu sehen, der offizielle Spatenstich zur Erschließung der Bahnstadt war erst zwei Jahre später, am 10. März 2009. Würzner war bei seinem ersten Bürgerfest erst exakt einen Monat im Amt.
Im Jahr drauf ging es in die neugebaute Feuerwehrwache, aber erst 2009 wurde aus dem anfänglich bescheidenen Fest ein richtiges Event, als voller Vorfreude "Stadt an den Fluss" am Altstadtufer gefeiert wurde - weil man damals glaubte, der Neckarufertunnel stünde quasi vor der Tür.
In den beiden nächsten Jahren blieb das Festtreiben in der Altstadt (erst am Rathaus, dann am Uniplatz), doch 2012 fiel das Fest auf einmal aus: Die "linke" Rathausmehrheit befand, es reiche, wenn man alle zwei Jahre feiere - um so 100.000 Euro einzusparen. Und so gab es erst 2014 wieder ein Fest im frisch sanierten Stadttheater, 2016 dann in den einstigen Campbell Barracks.
Vor 42 Jahren war das alles ganz anders: Erstens war der Neujahrsempfang noch wirklich am Neujahrstag, zweitens beschränkte der sich auf den Alten Rathaussaal (einen neuen gibt es erst seit 2004), und drittens gab es kein Fest, sondern ein Glas Sekt und zwei Ansprachen: die eine vom evangelischen Dekan Konrad Jutzler, die andere von OB Reinhold Zundel.
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Die Zeiten, daran erinnerte Jutzler, waren durchaus unruhig: Die Bundesrepublik kämpfte mit den Folgen der Ölkrise und einer rasch zunehmenden öffentlichen Verschuldung, außerdem standen Wahlen im Bund und in der Stadt an: Zundel war zu dieser Zeit zehn Jahre im Amt und stellte sich erstmals seiner Wiederwahl - wegen einer Wahlanfechtungsklage hatte seine Amtszeit offiziell erst 1968 begonnen. Dekan Jutzler mahnte die Politiker, Heidelberg "zu einer Stadt des fairen Wahlkampfs zu machen".
Das gelang nicht ganz: Denn bei der Kommunalwahl 1975 war erstmals der Kommunistische Bund Westdeutschland (KBW) in den Gemeinderat eingezogen, und Stadträtin Helga Rosenbaum legte sich permanent mit Zundel an, der sie mehrfach von den Sitzungen ausschloss. Sie hätte gern gegen Zundel kandidiert, aber ihr wurde die Wählbarkeit abgesprochen, weil sie sich weigerte, die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzuerkennen.
Kurz darauf musste sie auch den Gemeinderat verlassen. Die OB-Wahl am 9. Mai 1976, auf die auch Zundel beim Neujahrsempfang anspielte, verlief eher unspektakulär: Zundel erhielt trotz Studentenunruhen und umstrittener Altstadtsanierung fast 80 Prozent, gegen ihn war Peter Menke-Glückert von der FDP angetreten.
Steht das Jahr 2018 im Zeichen von Großprojekten, war es bereits 1976 so: Zundel erinnerte daran, dass mit der 50 Millionen Mark teuren Internationalen Gesamtschule im Hasenleiser begonnen worden sei, dass im neuen Stadtteil Ziegelhausen gerade ein Sportzentrum entstehe und dass in jenem Jahr die Großturnhalle in Wieblingen eingeweiht werde. Nun sei es aber mal genug, und man müsse wieder verstärkt Nein zu den Wünschen der Bürger sagen.
Der große Unterschied zu heute: Damals waren beim Neujahrsempfang die Spitzen der US Army anwesend, für die Zundel "besonders herzliche Begrüßungsworte fand", wie Dieter Haas am 2. Januar 1976 in der RNZ schrieb: der Oberkommandierende George S. Blanchard und Joseph M. Heiser, "der amerikanische Bürgermeister Heidelbergs, der über 20.000 Amerikaner in der Stadt repräsentiert". Auch wegen dieser freundlichen Worte nannte Rosenbaum den OB einen "Freund amerikanischer Kriegsverbrecher" - was ihr eine Anzeige eintrug.



