"Die Aggressivität und Respektlosigkeit macht mir große Sorgen"
Christian Zacherle im RNZ-Abschiedsinterview - Beim Gedanken an die Amokfahrt bekommt er heute noch Gänsehaut

"Ich werde Heidelberg sehr vermissen": Nach über acht Jahren als Leiter des Reviers Mitte wurde Christian Zacherle jetzt nach Mannheim versetzt. Foto: Philipp Rothe
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Für viele war er "der" Heidelberger Polizist, obwohl er mehr als 20 Jahre in Mannheim arbeitete: Christian Zacherle. Genau neun Jahre nach seinem Amtsantritt wechselt der Leiter des Polizeireviers Heidelberg-Mitte, das für die Innenstadtbezirke Altstadt, Bahnstadt, Bergheim, Schlierbach und Weststadt zuständig ist, zum 1. Oktober ans Polizeipräsidium nach Mannheim.
Im Abschiedsinterview mit der RNZ spricht der 48-jährige Polizeioberrat über kulturelle Unterschiede der beiden Städte und seine Arbeit in einem der wichtigsten Polizeireviere der Region. Sein Nachfolger wird der bisherige Leiter des Wieslocher Reviers, Uwe Schrötel.
Reiter und Fahrradpolizisten patrouillieren im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft durch die Stadt. Die Streifen in der Altstadt und auf der Neckarwiese werden durch die Bereitschaftspolizei verstärkt. Hat sich die Sicherheitslage in Heidelberg in den letzten Jahren so sehr verschlechtert, dass das notwendig ist?
Die Sicherheitslage weniger, auch wenn wir in der Kriminalitätsstatistik einen ganz leichten Anstieg der Straftaten um 1,4 Prozent haben, was vor allem an der Zunahme von Taschendiebstählen liegt. Es geht bei der Sicherheitspartnerschaft von Land, Stadt und Polizei eher darum, etwas gegen die Kriminalitätsfurcht zu tun. In der Altstadt wünschten sich die Bewohner und die Gäste ohnehin schon länger eine stärkere Polizeipräsenz.
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Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Sicherheitspartnerschaft?
Das ist wirklich ein Erfolgsrezept. Wir erfahren eine unglaublich positive Resonanz von den Bürgern. So werden die Streifen häufig in der Fußgängerzone angesprochen. Nach dem Motto: Wir finden es gut, dass Ihr Präsenz zeigt. Und die Kollegen von der Bereitschaftspolizei, die uns verstärken, machen das wirklich gern.
Gibt es ein Erlebnis in den letzten neun Jahren, das Ihnen besonders nahegegangen ist?
Die Amokfahrt auf dem Bismarckplatz im Februar 2017. Ich war gerade zu Hause und habe meinen Koffer für den Skiurlaub gepackt, als meine Kollegen mich informiert haben, dass ein Autofahrer in eine Passantengruppe gerast ist, er anschließend zu Fuß flüchtete und in der Bergheimer Straße von einem Polizisten angeschossen wurde. Natürlich bin ich sofort zum Einsatzort. Anfangs hieß es dort noch, dass es mehrere Täter geben könnte. Hierzu gab es unterschiedliche Zeugenaussagen. Ein Terroranschlag konnte zunächst nicht ausgeschlossen werden. Im ersten Augenblick sind wir tatsächlich von einem islamistischen Attentat ausgegangen.
In Wahrheit handelte es sich um einen psychisch Kranken.
Ja. Er wollte nach der Tat auf dem Bismarckplatz zum Polizeirevier Mitte und dort den nächstbesten Kollegen, der ihm die Türe aufmacht, abstechen und nach Möglichkeit noch weitere Beamten töten. Das sagte er vor Gericht aus. Deshalb hatte er auch ein Messer dabei. Ein schrecklicher Gedanke, bei dem ich auch heute noch eine Gänsehaut bekomme.
Hat die Gewalt gegen Polizeibeamte zugenommen?
Die Aggressivität und Respektlosigkeit macht mir große Sorgen. Es vergeht kein Tag am Wochenende, an dem nicht einer meiner Kollegen geschlagen, beleidigt oder angespuckt wird.
Worauf führen Sie das zurück?
Ich kann mir das nur durch den gesellschaftlichen Wandel erklären. Der Respekt gegenüber Mitmenschen, nicht nur gegen Polizisten, lässt offenbar nach. Da geht etwas mächtig schief. In der Altstadt hatten wir vor wenigen Monaten einen Fall, in dem ein Polizist einen randalierenden, betrunkenen Täter nach einer Schlägerei am Boden festgehalten hatte. Seine Komplizen sind daraufhin meinem Kollegen mit Anlauf und den Füßen voran ins Kreuz gesprungen. Ich war früher in Mannheim im Streifendienst, aber so viel Gewalt habe ich damals selbst in der Neckarstadt oder im damaligen Jungbusch nicht erlebt.
Könnten Bodycams helfen, mit denen Polizisten mögliche Aggressoren filmen können?
Auf jeden Fall. Diese Kameras werden kommen, das ist beschlossene Sache. Jedes Streifenpärchen bekommt eine. Wir waren im Frühjahr 2017 eines von sechs Polizeirevieren in Baden-Württemberg, in denen diese Bodycams getestet wurden. Und wir waren von dem Testlauf wirklich begeistert. Die Personen verhalten sich anders, wenn sie wissen, dass sie gefilmt werden. Es geht gar nicht so sehr um die Aufklärung von Straftaten, sondern darum, solche zu verhindern.
Das Revier Mitte ist auch für die Heidelberger Altstadt zuständig. Was halten Sie denn von der aktuellen Diskussion um Kneipenöffnungszeiten?
Wir als Polizei hatten schon immer ein Interesse an möglichst langen Sperrzeiten. Je länger die Kneipen geöffnet haben, desto mehr Alkohol trinken die Besucher. Und desto mehr steigt ihre Aggressivität.
Die Nachtschwärmer könnten aber doch einfach weiter nach Bergheim ziehen, wo die Kneipen länger geöffnet haben.
Dort verteilen sich aber die Besucherströme besser, es gibt weniger Konflikte. Das Problem an der östlichen Altstadt ist die hohe Kneipendichte. In Mannheim zum Beispiel sind die Lokale nicht so sehr auf einem Fleck konzentriert. Und die Bebauung ist nicht so eng, deshalb haben Sie dort auch nicht so die Lärmproblematik.
Wie sieht die derzeitige Situation in der Altstadt aus?
Bei den Körperverletzungen gibt es immer ein Auf und Ab. Wir befinden uns aber immer auf einem ähnlichen Level. Die Beschwerden wegen Ruhestörungen haben aber abgenommen. Ich führe das auch auf die gute Zusammenarbeit von Polizei und Kommunalem Ordnungsdienst zurück. Dieser ist dauerhaft präsent, das muss ich hier auch einmal lobend erwähnen. Und so denke ich, dass inzwischen andere Probleme in der Altstadt überwiegen. Zum Beispiel die Zunahme von Taschendiebstählen.
Was ist darüber hinaus das Besondere an Heidelberg?
Dazu muss ich sagen, dass ich 20 Jahre in Mannheim Polizist war. Als ich vor neun Jahren hierher kam, war daher für mich tatsächlich vieles anders - die Kollegen, vor allem aber auch die Bürger. Eine Verkehrskontrolle kann in Mannheim komplett anders ablaufen als hier (lacht). Wie soll ich sagen, die Heidelberger sind einfach diskussionsfreudiger.
Mannheim ist doch aber bestimmt ein härteres Pflaster für Polizisten?
Was die richtig schweren Straftaten angeht, sicher. Die Pro-Kopf-Belastung für die Beamten des Reviers Heidelberg-Mitte ist aber größer. Und es gibt hier im Verhältnis zur Einwohnerzahl auch nachts mehr Schlägereien.
Werden Sie Heidelberg vermissen?
Sehr sogar. Es ist unheimlich schön und spannend. Ich werde es sehr vermissen.
Wieso gehen Sie dann nach Mannheim?
Führungspositionen wie Revierleiter werden bei der Polizei niemals für die Ewigkeit besetzt. Es gibt immer eine gewisse Rotation. Normalerweise passiert das nach fünf oder sechs Jahren, bei mir sind es nun neun. Ich hätte auch noch neun weitere Jahre angehängt. Ich muss mich aber beruflich weiterentwickeln und bekomme nun eine leitende Position im Führungs- und Einsatzstab des Polizeipräsidiums.
Was machen Sie dort genau?
Ich werde Leiter des Führungs- und Lagezentrums, wo alle Polizeinotrufe aus Heidelberg, dem Rhein-Neckar-Kreis und Mannheim eingehen. Von dort aus werden alle Einsätze koordiniert.
Bisher waren Sie auch Chef der Hundertschaft.
Und das bleibe ich auch. Die Hundertschaft setzt sich aus den Einsatzzügen Heidelberg, Mannheim und Karlsruhe zusammen. Wir werden in ganz Baden-Württemberg und auch in Deutschland bei großen Veranstaltungen wie bei Fußballspielen mit Konfliktpotenzial oder Demos eingesetzt, wenn zum Beispiel der SV Waldhof gegen die Kickers Offenbach spielt. Wir waren aber auch beim G20-Gipfel in Hamburg dabei. Es geht um Einsätze mit einem hohen Sicherheitsrisiko.
Bei solchen Einsätzen machen Sie sich nicht immer Freunde. Nach einer linken Demo haben Sie von der Antifaschistischen Initiative das "Goldene Stück Scheiße" verliehen bekommen. Warum?
Als ich nach Heidelberg gekommen bin, habe ich die "Mannheimer Linie" bei Demonstrationen in Heidelberg umgesetzt. Wenn zum Beispiel Kundgebungen nicht ordnungsgemäß 48 Stunden vor Beginn angemeldet oder die Auflagen der Stadtverwaltung nicht eingehalten wurden, sind wir dagegen vorgegangen. Insbesondere haben wir auch das Vermummungsverbot durchgesetzt. Diese härtere Gangart hat nicht jedem geschmeckt.
Haben Sie das "Goldene Stück" noch - als Erinnerung?
Nein. Den musste ich leider an die Staatsanwaltschaft abgeben. Ich hätte ihn gerne als Briefbeschwerer benutzt.
Sie haben Ihre Masterarbeit über Crowd Management geschrieben. Dabei geht es darum, Massenpaniken wie bei der Duisburger Love Parade zu verhindern. Sind Sie auf dem Gebiet nach wie vor tätig?
Ich halte noch ab und zu Vorträge. Und ich kann das Wissen für meine Arbeit nutzen - so zum Beispiel beim Heidelberger Herbst. Die gemeinsame Leitstelle mit Feuerwehr, Stadtverwaltung, privaten Sicherheitsfirmen und Polizei ist daraus entstanden. Im Ernstfall haben wir kurze Wege und können unser Vorgehen sehr gut absprechen.
Und nun wird der Heidelberger Herbst ihr letzter Einsatz als Revierleiter.
Genau. Am 30. September bin ich noch in dieser gemeinsamen Leitstelle. Und am 1. Oktober trete ich meine neue Arbeit in Mannheim an.