Heidelberg "muss" Anspruch auf Kinder-Betreuungsplatz halten
Für Jansen sind Kitas keine Einrichtung, in der Kinder "nur verwahrt" werden. Um den Personalmangel zu bekämpfen, könnten Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden. Auch auf die Erfahrung von Müttern will sie stärker setzen.



Dezernentin für Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit
Von Sarah Hinney
Heidelberg. Es fehlt Personal – an vielen Stellen. Die Stadt will jetzt gemeinsam mit allen Trägern von Kindertageseinrichtungen dem Fachkräftemangel in Kitas begegnen. Ab dem Frühjahr sollen Maßnahmen erarbeitet werden, mit denen schlussendlich ein Plan entstehen soll, wie Personal gewonnen werden kann. Die RNZ sprach mit Stefanie Jansen, Dezernentin für Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit, über die aktuelle Situation in den Kitas und die Pläne für die Zukunft.
Frau Jansen, Eltern, deren Kind ein Jahr alt wird, haben einen Anspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz. Kann Heidelberg diesen Anspruch in Zukunft halten?
Wir müssen. Aktuell können wir es noch. Aber es wird wohl nicht gelingen, jedem genau den Kitaplatz zu geben, den er haben möchte.
Das ist doch schon lange so. Ich kenne Eltern, die ihre Kinder zur Betreuung in andere Stadtteile fahren müssen. Oder monatelang suchen, bis sie überhaupt einen Platz finden.
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Wir sind eine wachsende Stadt, und wir haben eine große Dynamik in den Stadtteilen. Ich vermute, wir werden mehr solche Fälle bekommen, deshalb versuchen wir schon jetzt im Kinder- und Jugendamt, Eltern bei Problemen individuell zu beraten. Klar ist: Wir müssen die Kitas weiter ausbauen. Wir haben die neuen Stadtteile alle auf dem Schirm, dort sind Kitas geplant, aber es lässt sich nicht jede Entwicklung immer haarscharf voraussehen.
Manchmal verzögert sich auch ein Bau oder man bekommt nicht das Personal an den Start. Junge Eltern haben heute auch höhere Betreuungsbedarfe, weil sie etwa früher wieder in den Beruf einsteigen wollen. Und das alles in Zeiten des Fachkräftemangels.
Es gibt bereits in den bestehenden Kitas Probleme. Eltern berichten von kurzfristigen Schließungen und verkürzten Öffnungszeiten, weil Personal fehlt ...
Die vielen Ausfälle, die wir jetzt zum Teil hatten, waren nicht vorrangig fehlendem Personal geschuldet, sondern den vielen Krankheitsausfällen durch Corona oder Grippe. Gerade im Bereich der Kitabetreuung ist die gegenseitige Infektionsgefahr, weil man sich nahe ist, größer als im Büro. Aber klar, der Fachkräftemangel ist auch in Heidelberg angekommen.
Und dieser Fachkräftemangel ist ein Problem, das die Stadt jetzt angehen will. Wie denn konkret?
Man muss wissen, dass die Stadt die Kitabetreuung nicht alleine macht. Insgesamt gibt es 133 Einrichtungen – die Stadt betreibt davon 24 selbst, die übrigen werden von 45 weiteren Trägern verantwortet. Die Problematik des Fachkräftemangels ist aber überall die gleiche. Deshalb können wir als Stadt keinen Sonderweg gehen.
Wenn wir anderen Trägern die Fachkräfte wegnehmen, ist nichts gewonnen. Wir müssen gemeinsam mit allen, die Kinderbetreuung anbieten, eine Lösung finden. Dazu gehört auch, dass wir uns auf eine einheitliche Linie einigen, was die Standards und die Qualität betrifft.
Aber wenn die Fachkräfte doch gar nicht da sind?
Das ist ein deutschlandweites Problem in ganz vielen Bereichen. Es mangelt überall an Fachpersonal. Das schaffen wir als Stadt nicht allein, das zu ändern, und da passiert deshalb viel auf Landes- und Bundesebene. Aber wir gehen auch auf kommunaler Ebene neue Wege: Wir sind etwa am Kita-Direkt-Pilotprojekt beteiligt. Da geht es darum, dass Menschen, die eine andere Ausbildung, Berufs- und Lebenserfahrung haben, nicht mehr die vollen drei Jahre Ausbildung absolvieren müssen. Stattdessen sollen sie zumindest als vorqualifizierte Fachkräfte einsteigen können.
Welche neuen Wege gehen Sie noch?
Wir denken darüber nach, Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. Die Anerkennung einer im Ausland erworbenen beruflichen Qualifikation ist aber in Deutschland unglaublich mühsam. Da brauchen wir mehr Pragmatismus.
Wenn Fachkräfte aus dem Ausland kommen, fehlen diese Menschen in ihrer Heimat. Das heißt, es verschiebt das Problem woanders hin.
Aber wenn die Menschen bereit sind, zu uns zu kommen, hat das sicher auch einen Grund. Zum Beispiel, dass es in ihrer Heimat nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Aber mir schwebt noch eine andere Idee vor.
Welche denn?
Ich denke an Frauen jenseits der 40, deren Kinder schon älter sind, die aber immer noch in Teilzeit oder gar nicht arbeiten. Diese Frauen – das wissen Sie selber, wenn Sie arbeiten und Kinder haben – haben eine Qualifikation hinter sich. Die ist nicht sichtbar mit Zertifikaten, aber die ist da. Sie müssen ja permanent Katastrophen- und Chaosmanager sein. Diese Kreativität und diese Organisationsfähigkeit, dieses Durchhaltevermögen, diese Kraft von Frauen, die hätte ich gerne mehr im Erwerbsleben. Vielleicht schaffen wir es, von diesen Frauen ein paar für unsere Kitas zu gewinnen, wenn man ihnen gute Angebote macht und sie ermutigt, neue Wege zu gehen, sich noch einmal zu qualifizieren. Das würde auch den Frauen nutzen – etwa gegen drohende Altersarmut.
Trotz des großen Fachkräftemangels ist es Ihnen ein Anliegen, die Qualität in den Kitas zu halten. Was genau macht denn diese Qualität aus?
Qualität bedeutet, dass die Fachkräfte so gut geschult sind, dass sie abhängig vom Lebensalter wissen, wie ein Kind am besten unterstützt werden kann, in all seinen Entwicklungsschritten. Sei es im sozialen Miteinander, in motorischen Dingen, intellektuell und sozial. Dazu muss ich nicht nur wissen, dass ich mit einen Zweijährigen andere Dinge mache als mit einem Fünfjährigen, sondern auch, wie ich das jeweilige Kind ganz konkret individuell unterstützen kann.
Es geht also nicht darum, dreimal in der Woche Fremdsprachenunterricht oder Musikförderung anzubieten, sondern um die grundlegenden Dinge?
Richtig. Es geht darum, das Kind in seiner Entwicklung zu fördern. Altersgemäß, aber auch individuell. Zusätzliche Förderbedarfe zu erkennen und diesen gerecht zu werden. Und es geht um die Vorbereitung auf die Schule. Wenn ein Kind schon recht früh unter den Augen von Fachkräften aufwächst, kann man auch früh Förderbedarf erkennen. Schule schafft das später nicht mehr, diese Lücke zu schließen. Deswegen müssen wir diese frühen Lebensjahre nutzen, um vielen Kindern diese frühkindliche Bildung zu ermöglichen.
Ist das auch der Grund, warum Sie sich gegen größere Gruppen wehren?
Ja. Bei den unter Dreijährigen betreut eine Fachkraft durchschnittlich drei Kinder, bei den Drei- bis Sechsjährigen sind es acht. Natürlich kann man auch größere Gruppen betreuen, wenn es nur darum geht, dass sich keiner eine blutige Nase holt. Aber Kitas sind doch keine Einrichtungen, in denen Kinder nur verwahrt werden. Sie sind Bildungs-, Erziehungs- und auch Fördereinrichtungen.
Dazu kommt, dass Kinder heute viel mehr Zeit in der Kita verbringen als früher. Damit sich ein Kind entwickeln kann, ist das Wesentliche, dass es sich wohlfühlt, gesehen und gehört fühlt. Und das tut es nicht, wenn es sich mit 30 anderen um die Aufmerksamkeit der Erzieherin streiten muss. Wir möchten nicht mit der Qualität runter. Und wenn wir es gemeinsam schaffen, die Qualität zu halten, können wir damit auch Fachkräfte sichern.
Sie glauben, je höher sie das Niveau halten, desto eher kriegen sie Fachkräfte?
Genau. Weil diese sich dann wohler fühlen. Fachkräfte haben keine drei Jahre Ausbildung gemacht, um nur Nasen zu putzen und Essen zu geben. Diese Aufgaben kann man sich relativ schnell aneignen. Aber ein Kind einzuschätzen und ihm die Aufmerksamkeit zu geben, die es braucht, es altersgemäß zu fördern und zu fordern, es in seiner Individualität wahrzunehmen, dazu braucht es Kompetenz und Qualifikation.
Wenn wir Fachkräfte für qualitativ hochwertige Arbeit suchen, ist das auf dem Arbeitsmarkt ein Bonus. Hauptsächlich geht es aber natürlich um die Kinder. Wichtig ist mir zudem das Thema Inklusion: Wir wollen auch Kitas für alle machen – und auch das erfordert besondere Qualifikationen, kleine Gruppengrößen und passende Räume.
Die Personalproblematik ist ja lange bekannt. Statt das anzugehen, wurde in Ausschüssen und im Gemeinderat monatelang die Zusammensetzung des Kita-Essens diskutiert. Wäre es nicht Aufgabe von Stadt und Stadtpolitik, hier Prioritäten zu setzen?
Man muss aufpassen, was politisch diskutiert wird und was Aufgabe der Verwaltung ist. Wir haben gesetzlich den Auftrag, den Betreuungsanspruch umzusetzen, deshalb findet darüber auch keine politische Diskussion statt. Aber wir beschäftigen uns damit schon seit Jahren.