Bilanz der Sicherheitspartnerschaft

"Heidelberg ist sehr sicher"

Trotzdem setzt Polizeipräsident Stenger weiter auf die Sicherheitspartnerschaft. Kampfansage gegen Rassisten: "Da gilt null Toleranz"

08.06.2020 UPDATE: 09.06.2020 06:00 Uhr 5 Minuten, 20 Sekunden
Im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft ist auch die Reiterstaffel an der Neckarwiese und in der Altstadt unterwegs. Es ist der auffälligste Bestandteil der Kooperation von Stadt und Land. Foto: Polizei

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Kaum Einbrüche, wenige Ladendiebstähle, fast keine Raubtaten – nie hatte die Polizei so viel Zeit wie während des Lockdowns, um auf Streife zu gehen. Mit dabei waren auch die Einsatzkräfte der Sicherheitspartnerschaft (Sipa) von Stadt und Land.

An dieser zwei Jahren bestehenden Kooperation, möchten Polizeipräsident Andreas Stenger (57) und Dieter Hoffert (62), Leiter der Schutzpolizeidirektion, festhalten. Im RNZ-Interview beziehen sie Stellung zu Polizeigewalt und erklären, warum sie bei Demos gegen Corona-Regeln nicht härter durchgreifen.

Die Straftaten sind im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als zwölf Prozent gesunken.

Stenger: Von 16.656 auf 14.619.

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Haben Sie das auswendig gelernt?

Polizeipräsident Stenger und Dieter Hoffert, Chef der Polizeireviere (v.l.). Foto: privat

Stenger: (lacht) Das ist mein Job. Nein, für uns sind die Zahlen aus der Kriminalitätsstatistik natürlich wichtig. Wir freuen uns über Rückgänge, weil man daran die Effekte unserer Arbeit messen kann. Gleichzeitig darf man das aber auch nicht überbewerten, denn für die Bürger ist ihr eigenes Sicherheitsempfinden genauso wichtig. Und das ist paradoxerweise völlig unabhängig von der objektiven Sicherheitslage.

Schafft sich die Sicherheitspartnerschaft angesichts der entspannten Lage selbst ab?

Stenger: Keineswegs. Sie ist immer noch ein wichtiger Bestandteil in unserer Strategie, um die Sicherheit im öffentlichen Raum zu verbessern.

Manchen erscheint sie eher als Pflaster, um den Personalmangel der Polizei zu überdecken. Das Versprechen, dass die Reviere durch die Polizeireform personell aufgestockt werden, konnte bislang nicht eingehalten werden.

Hoffert: Die Reviere werden noch weiter gestärkt, wenn die neuen Einstellungsjahrgänge mit ihrer Ausbildung 2021 und 2022 fertig sind.

Stenger: Die Sipa ist kein Pflaster. Sie gibt uns die Möglichkeit, schnell auf konkrete Einsatzlagen zu reagieren und Schwerpunkte in Brennpunkten zu setzen.

Hoffert: Zum Beispiel in der Altstadt, auf der Neckarwiese, am Hauptbahnhof, aber auch im Emmertsgrund. Hier entlastet die Sicherheitspartnerschaft die Stadtreviere. Wir hatten auch schon mehrere Schwerpunktaktionen – haben Fernbusse am Hauptbahnhof kontrolliert, zuletzt die Shisha-Bars in Bergheim. All das ist sehr personalintensiv.

Was kommt als Nächstes?

Hoffert: Zunächst werden wir unser bewährtes Sicherheitskonzept weiter mit hoher Intensität fortsetzen. Aber wir sind nicht statisch, sondern richten uns an der Lage aus. Deshalb werden wir uns zum Beispiel auch um die hohe Fallzahl bei den Fahrraddiebstählen kümmern. Dabei setzen wir auf Kontrollen und Prävention. Wahrscheinlich wird es auch bauliche Maßnahmen geben – wie zum Beispiel mehr Fahrradabstell-Bügel. An der Stelle sei erwähnt, dass wir mit der Stadt im Ganzen und dem Kommunalen Ordnungsdienst im Besonderen ein besonderes Einvernehmen haben.

Die Altstadt nimmt eine erfreuliche Entwicklung. Hat das etwas mit der Sicherheitspartnerschaft oder vielleicht doch eher mit den strengeren Sperrzeiten zu tun?

Stenger: Ich glaube, dass das auch auf eine hohe Präsenz der Polizei und des KOD zurückzuführen ist. Besonders erfreulich ist der Rückgang bei den Rohheitsdelikten, zum Beispiel bei Körperverletzungen. Die Altstadt hat eine super Qualität. Das zeigt auch die Zahl der Tagestouristen. Sie ist gastronomisch geprägt und bunt. Natürlich sind viele Menschen dort. Manchmal ist es laut, das gehört ein stückweit dazu. Vor allem ist die Altstadt aber sehr sicher. Heidelberg als Ganzes ist sehr sicher. Im Vergleich mit anderen Touristenregionen können wir darauf sehr stolz sein.

Hintergrund

Die Bilanz der Sicherheitspartnerschaft kann sich sehen lassen. Die Zahlen im Überblick:

> Die Gesamtzahl der Straftaten in Heidelberg sank von 2018 auf 2019 auf ein Fünf-Jahres-Tief – von 16.656 auf 14.619. Das macht ein Minus von 12,2

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Die Bilanz der Sicherheitspartnerschaft kann sich sehen lassen. Die Zahlen im Überblick:

> Die Gesamtzahl der Straftaten in Heidelberg sank von 2018 auf 2019 auf ein Fünf-Jahres-Tief – von 16.656 auf 14.619. Das macht ein Minus von 12,2 Prozent.

> Besonders erfreulich ist der Rückgang der Straßenkriminalität, die besonders wichtig für das Sicherheitsgefühl der Bürger ist, sie sank um 14,8 Prozent – von 3049 auf 2598 Taten.

> Die Diebstähle gingen von 5762 auf 4940 (minus 14,3 Prozent) zurück.

> Aggressionsdelikte im öffentlichen Raum nahmen sogar um 20,1 Prozent ab, von 725 (2018) auf 579 im letzten Jahr.

> Auch bei Wohnungseinbrüchen (minus 12,9 Prozent, insgesamt 101 in 2019) und bei den sexuellen Belästigungen (minus 38,2 Prozent, 34 in 2019) ist Heidelberg auf einem guten Weg.

> Taschendiebstähle und Pkw-Einbrüche nahmen mit 48,9 und 55,3 Prozent besonders stark ab (304 bzw. 106 Fälle).

> Die Rauschgiftdelikte nahmen als einzige deutlich zu – von 1096 auf 1188 (plus 8,4 Prozent). Das hat aber etwas mit den verstärkten Kontrollen zu tun: Dadurch wurden mehr Taten aufgedeckt.

> Am Bismarckplatz hat sich die Lage stark verbessert. Die Straftaten nahmen um 21,7 Prozent auf 195 Fälle ab, die Straßenkriminalität sank auf ein Fünfjahrestief (37 Fälle, minus 42,2 Prozent).

> Am Hauptbahnhof nahmen die Straftaten ebenfalls um 12,1 Prozent auf 341 Delikte ab bei gleichzeitigem Anstieg der Drogenverstöße (plus 9,2 Prozent, 142 Fälle).

> Die Lage auf der Neckarwiese hat sich entspannt: 124 Fälle, das bedeutet ein Minus um 42,1 Prozent.

> Auch im Ankunftszentrum gab es 42,1 Prozent weniger Straftaten (1269).

> Die Fahrraddiebstähle sind mit 1035 angezeigten Taten (plus 37) auf einem hohen Niveau. (hob)

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Die Lage auf der Neckarwiese hat sich entspannt. Dort sind die Straftaten um 42,1 Prozent zurückgegangen. Liegt das an der Stresserbeleuchtung?

Stenger: Die absolute Zahl ist nicht so hoch, daher hat man schnell einen großen prozentualen Rückgang. Aber es stimmt, die Entwicklung ist gut. Sie hat etwas mit unserer erhöhten Präsenz zu tun, aber auch mit der Stresserbeleuchtung. Sie ist ein gutes Instrument, um Tatgelegenheiten zu reduzieren. Ich käme nicht auf die Idee, sie abzuschalten.

Hoffert: Sie hat sich bewährt. Sie schafft Sicherheit für beide Seiten. Die Polizisten werden schneller als solche wahrgenommen. Und sie sehen auch besser, was die Neckarwiesen-Besucher machen. Gerade laufen Überlegungen, auch die Beleuchtungssituation an den Parkplätzen in der Uferstraße zu verbessern.

Nun zu einem ganz anderen Thema: Der gewaltsame Tod von George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis löste weltweit Proteste aus. Wie nehmen Sie das wahr?

Stenger: Mit großer Bestürzung. Wenn Polizisten einschreiten, sollte möglichst niemand körperlich zu Schaden kommen. Schon gar nicht darf eine bagatellhafte Deliktsituation so aus dem Ruder laufen.

Themen wie Herkunft, Identität, Religion, Diskriminierung und Rassismus sind für die polizeiliche Arbeit in Deutschland sehr wichtig. Interkulturelle Kompetenz ist eine Schlüsselqualifikation. Immer mehr Kolleginnen und Kollegen haben selbst einen Migrationshintergrund.

Wenn jetzt Rufe laut werden, die Polizei als Ganzes, auch in Deutschland, sei rassistisch, macht mich das wütend. Zu sagen, es gibt Rassismus in der Polizei auch in Deutschland, ist sicher nicht völlig falsch. Es gibt einzelne Fälle. Aber die Unterstellung die Polizei sei per se rassistisch, ist falsch.

Bei uns ist nicht die Hautfarbe oder Herkunft entscheidend, sondern das, was objektiv vorliegt und was jemand getan hat. Wenn es zu rassistischen Einzelfällen kommen sollte, klären wir das schonungslos auf. Dann gilt null Toleranz und klare Konsequenz.

Hoffert: Ich bin 46 Jahre dabei. Die Polizei, bei der ich angefangen habe, war noch ganz anders ausgerichtet, viel mehr Hoheitsverwaltung und die Bürgerorientierung stand nicht immer an erster Stelle. Wir haben eine unglaublich positive Entwicklung hinter uns. Und wenn ich jetzt solche Pauschalvorwürfe höre, tut das richtig weh.

Es gibt noch andere Vorwürfe. Die Polizei lasse sich von Demonstranten, die gegen die Corona-Verordnung protestieren, auf der Nase herumtanzen.

Stenger: Da sind obskure Leute dabei – Reichsbürger, Impfgegner, Verschwörungstheoretiker mit Aluhut, die behaupten, Bill Gates sei die Wurzel allen Übels. Und meine Leute? Sie stehen mit großer Gelassenheit da und lassen Provokationen professionell über sich ergehen. Wenn ein Demonstrant über die Stränge schlägt, machen wir zuerst Lautsprecherdurchsagen und ermahnen, bevor wir gegebenenfalls Zwangsmittel anwenden. Das abgestufte Vorgehen ist richtig, denn das hat etwas mit der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu tun und ist in einem Rechtsstaat essenziell.

Haben Sie auch deshalb bei der Solidaritätskundgebung für Beate Bahner nicht eingegriffen?

Stenger: Ja, denn was wäre die Alternative gewesen? Hätten wir gleich vor Ort hart durchgegriffen, wäre die Lage ziemlich sicher weiter eskaliert. Polizeigewalt, das geht ja gar nicht. Die Versammlungsfreiheit ist ganz wichtig. Infektionsschutz auch. Und wir müssen den Ausgleich schaffen.

Im Nachgang zu dieser Kundgebung haben Sie ja versucht, Personalien zu ermitteln. Gab es da Konsequenzen?

Stenger: Ja, klar. Nach unseren Ermittlungen hat die Stadt gegen 34 Teilnehmer Bußgelder verhängt. Das ist verhältnismäßig. Und nicht der Einsatz von 100 Polizisten, bei dem ich den Infektionsschutz auch nicht hätte gewährleisten können.

Hintergrund

> Die Sicherheitspartnerschaft ist eine Kooperation von Stadt und Land und wurde im Februar 2018 aus der Taufe gehoben. Wegen der gestiegenen Kriminalitätsbelastung galt es vor allem, die Brennpunkte auf der Neckarwiese und in der Altstadt ins Visier zu nehmen. Zudem gab

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> Die Sicherheitspartnerschaft ist eine Kooperation von Stadt und Land und wurde im Februar 2018 aus der Taufe gehoben. Wegen der gestiegenen Kriminalitätsbelastung galt es vor allem, die Brennpunkte auf der Neckarwiese und in der Altstadt ins Visier zu nehmen. Zudem gab und gibt es auch immer wieder Schwerpunktaktionen in einzelnen Deliktfeldern. Zuletzt kontrollierten Ordnungsdienst, Zoll und Polizei die Shisha-Bars. Ein weiterer Fokus liegt auf der Bekämpfung der Diebstahl- und Rauschgiftkriminalität.

> Eine erhöhte Präsenz der Ordnungshüter ist eines der Hauptanliegen der Sicherheitspartnerschaft. Dafür hat die Stadt ihren Kommunalen Ordnungsdienst auf über 20 Mitarbeiter aufgestockt. Zugleich unterstützen Kräfte des Polizeipräsidiums Einsatz in Bruchsal die Polizei, aber auch die Reiterstaffel und Radstreifen sind in der Stadt unterwegs. 2019 wurden somit 6861 Polizisten über je einen Tag zusätzlich in Heidelberg eingesetzt, 5273 davon kamen aus Bruchsal. Auch die Nachtdienste am Wochenende in der Altstadt werden verstärkt. Während des Lockdowns unterstützten Kräfte aus der Sicherheitspartnerschaft die Reviere bei der Überwachung der Corona-Regeln. hob

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Im städtischen Haushalt fehlen wegen der Corona-Krise 109 Millionen Euro. Eines der Projekte, die derzeit auf Eis liegen, ist die Videoüberwachung am Hauptbahnhof und am Bismarckplatz. Wie wichtig ist Ihnen, dass sie doch noch kommt?

Stenger: Eine Videoüberwachung an Kriminalitätsbrennpunkten hilft uns. In Mannheim haben wir damit positive Erfahrungen gemacht. Sie ermöglicht uns die rasche Intervention und die Aufklärung von Straftaten. Und natürlich hat sie auch eine abschreckende Wirkung. Vor Verdrängungseffekten muss man keine Angst haben. Bei unserer Konzeption haben wir auch den sogenannten Videoschatten im Auge – damit die Taschendiebe nicht nur 300 Meter weiterziehen. Kurzum: Videoüberwachung ist kein Allheilmittel, aber sie hilft uns.

Sie ist aber auch ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Stenger: Wenn wir es so wie in Mannheim machen, wäre die Eingriffsintensität sehr gering. Dort schlägt das intelligente System nur Alarm, wenn es verdächtiges Verhalten wie Schlagen, Treten, Rennen, Fallen oder Liegen feststellt. Übrigens: Wenn jemand mit dem ICE von Stuttgart nach Mannheim fährt, wird er überall videoüberwacht. Im Bahnhofinnenraum, im ICE, in den Geschäften, in der Straßenbahn. Damit haben die Bürger kein Problem. Wenn es der Staat tut, sieht das anders aus. Deshalb müssen wir die Notwendigkeit für eine Videoüberwachung auch immer belegen. Sie ist nur zulässig, wenn ein Kriminalitätsbrennpunkt vorliegt, dort also im Vergleich zum restlichen Stadtgebiet überproportional viele Straftaten passieren. 

Im Dezember machten zwei Krawallbrüder Schlagzeilen, nachdem sie auf Passanten und Polizisten losgegangen. Gegen sie wurde ein dreimonatiges Altstadt-Verbot verhängt.

Stenger: Wir haben ein abgestuftes Verfahren. Wir haben bislang 51 sogenannte Gefährderanschreiben verschickt, die "blauen Briefe", in der wir ein Aufenthaltsverbot androhen. Und wir haben 16 solcher Verbote für die Altstadt verhängt.

Hoffert: Es müssen dafür bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Bevor so ein Verbot ausgesprochen wird, müssen Straftaten vorliegen und die Wahrscheinlichkeit, dass von dieser Person erneut Straftaten zu erwarten sind. Dazu liefern wir der Stadt die entsprechenden Erkenntnisse. Sie spricht dann das Aufenthaltsverbot maximal über drei Monate aus. Verstöße dagegen können mit bis zu 5000 Euro Bußgeld geahndet werden.

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