Zwei Richter erzählen von ihrem Leben
Altgedient und frisch im Amt - Was sich geändert hat, und was nicht

Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Zwei Richter: Jung und alt, eine Frau, ein Mann, im Zivil- und Strafrecht. Ihr Arbeitsplatz: Kein Justizpalast, ein Justizzentrum mit lichtdurchfluteten Sälen. Christian Mühlhoff verhandelt seit Mitte der Achtziger in Heidelberg: "Ich bin eigentlich immer hier gewesen." Seine Kollegin Ina Untersteller kam 2018 nach Heidelberg. "Ich bin hier hängen geblieben."
Seit 120 Jahren gibt es in Heidelberg ein Landgericht. Von der Seminarstraße zog es in die Kurfürsten-Anlage. Der muffige Behördenkoloss aus den Sechzigern ist moderner Architektur gewichen. Doch nach wie vor ist die Robe Pflicht, stehen alle auf, wenn die Richter den Verhandlungssaal betreten. Wer steckt da eigentlich in der Robe? Wie sind die beiden dazu gekommen, Richter zu werden? Und ist die Justiz noch die gleiche wie "früher"?
"Nach allem, was ich heute weiß", sagt Mühlhoff, sei er froh, nicht Anwalt geworden zu sein, sondern seinen Wunschberuf ergriffen hat: "Ich war ziemlich begeistert bei der Sache und dachte: Wenn, dann will ich Richter werden." Dabei hatte der 64-jährige Strafrichter nach seinem Abitur 1974 mit einem "Orchideenfach" geliebäugelt. Welches, das sagt Mühlhoff nicht. Nur so viel: Seine Eltern, beide Theologen, waren davon wenig begeistert. "Mein Vater hat mich ausgelacht!", erinnert er sich. Doch Jura? Das kam bei den Eltern gut an.
"Meine Eltern hätten mich bei allem unterstützt", sagt dagegen Untersteller. Ihr Vater, ein Steuerberater, und die Mutter, Pharmazeutisch-Technische Assistentin, standen ihr zur Seite: "Das Studium erfordert Ausdauer", weiß die Zivilrichterin. Schon in der Oberstufe sei ihr klar gewesen, dass sie gerne in die Justiz gehen möchte.
Auch interessant
Vielleicht hätten sich auch mal einige von Manfred Krug inspirieren lassen, Jura zu studieren, scherzt Mühlhoff. Der Schauspieler verkörperte von 1986 bis 1998 den Berliner Anwalt Robert Liebling. "In meiner Generation wäre es wohl eher Barbara Salesch gewesen", lacht Untersteller. Ob sich so mancher die Juristerei anders vorgestellt hat? Viele hätten jedenfalls schon zu seiner Zeit das Studium abgebrochen, so Mühlhoff: "Jura konnte damals jeder machen." Einen Numerus Clausus (NC) gab es nicht. Es sei eben eines der wenigen Fächer an der Universität, das kaum Verbindungen mit der Schule hat: "Das ist ein Sprung ins kalte Wasser." Als Untersteller ihr Studium 2004 begann, gab es schon einen NC, aber genauso viele Abbrecher: "Das war bei mir ähnlich."
"Es fehlte jede Leistungskontrolle", sagt Mühlhoff. Als er aus seinem kleinen Dorf im Sauerland an die Uni kam, galt für die ersten zwei Semester auch: "Dolce Vita", lacht der 64-Jährige: "Das geht ja heute nicht mehr." Das sei auch heute oft noch möglich, widerspricht Untersteller. Sie hat aber festgestellt: "Die Studenten sind heute strebsamer." Für den Staatsdienst qualifizieren sich meist nur die besten zehn bis 15 Prozent eines Jahrgangs. Mühlhoff: "Die überwältigende Mehrheit konnte die Einstellung im Staatsdienst vergessen." Im Referendariat wurden beide wieder ins kalte Wasser geworfen. Mühlhoff erinnert sich: "Hören Sie mal mit der Theoriehuberei auf, wir müssen Fälle entscheiden", hörte er da. Man sei etwas naiv gewesen.
Nach 13 Jahren als Beisitzer wurde Mühlhoff 2000 Vorsitzender einer Strafkammer. Sein Amtsvorgänger war krank geworden und es war klar, dass der "Herzklappenskandal" bald vor Gericht verhandelt wird. Ein Herzchirurg wurde wegen Untreue und Vorteilsannahme angeklagt. Mühlhoff hatte den Prozess als Vorsitzender zu führen – und hoffte noch, sein Vorgänger könnte das übernehmen: "Ich dachte: Mensch Kerl, werd’ doch gesund!" "Optimal verteidigt" standen dann Leute "mit gewissem Standing" vor ihm. "Es kostete die eine oder andere schlaflose Nacht", erinnert sich der 64-Jährige. Der Prozess endete mit einer Geldstrafe von 200.000 Mark für den Angeklagten. Auch wenn der Beruf manchmal eine Belastung ist: "Zuhause hat es nie Differenzen gegeben. Ich wurde nie vor die Tür gesetzt." Seine Frau – sie lernten sich 1977 kennen – ist ebenfalls Juristin, er hat zwei erwachsene Töchter.
Untersteller hat ihren Mann im Studium kennengelernt. Er ist – wie Mühlhoff – Strafrichter in Heidelberg. Die Mutter einer zweijährigen Tochter hat schon Stationen bei der Staatsanwaltschaft und beim Bundesverfassungsgericht absolviert. Sie hat Elternzeit genommen und in Teilzeit gearbeitet. "Es ist sehr familienfreundlich", erklärt die 35-Jährige. Auch ihr Mann konnte sieben Monate frei nehmen. Das alles wurde ermöglicht, "ohne Wenn und Aber", so Untersteller. "Das gab’s früher nicht", sagt Mühlhoff: "Wir haben uns aber irgendwie arrangiert und irgendwie haben wir’s hinbekommen."
Ab April, wenn Mühlhoff schon im Ruhestand ist, kommt seine Tochter als Referendarin an das Heidelberger Gericht. "Ohne jedes Zutun von mir", betont er. Er erinnert sich: Als sie ihm vor Jahren erzählt hat, dass sie selbst Jura studieren möchte, fiel er aus allen Wolken: "Ich war sprachlos." Mühlhoff hat sich kein Beispiel an seinen Eltern genommen und sich bewusst aus den Entscheidungen seiner Töchter rausgehalten: "Die jungen Leute müssen ihre eigenen Wege gehen." Sie werden die nächsten Jahrzehnte die Heidelberger Justiz prägen.