Drei Teekessel Sprit

Der Heidelberger Unternehmer Hermann Vischer hat seine Motorrad-Erlebnisse aufgeschrieben.

08.09.2016 UPDATE: 10.09.2016 06:00 Uhr 3 Minuten, 49 Sekunden

Im südlichen Tunesien, nahe der algerischen Grenze: Hermann Vischer macht einen Stopp. Fotos: Aus "Bazillus Motorrad"

Von Rolf Kienle

Am Taklamakan-Wüsten-Highway kann das Betanken eines Motorrades etwas aufwändiger sein als man das von zuhause gewöhnt ist. "Von Staatswegen ist verboten, dass Zweiradfahrzeuge in der Tankstelle aufgetankt werden. Die Gefahr, dass überschwappendes Benzin auf die heißen Auspuffanlagen oder den Motor tropfen und sich entzünden könnte, sei zu groß", schreibt Hermann Vischer in seinem überaus lesenswerten Buch "Bazillus Motorrad - 21 Touren in die Welt". Aber wie tankt man sein Motorrad dann auf? Der Sprit wird in Teekessel gezapft und zu den Motorrädern getragen. "Allein meine kleine Jailing schluckte drei Kesselinhalte."

Hermann Vischer, Jahrgang 1934, hat mehr als 21 Motorradtouren gemacht, aber 21 hat er für den jetzt erschienenen Band beschrieben. "Es kommt mir vor, als wäre ich immer Motorrad gefahren." Das kommt eigentlich auch dem Leser so vor. Hermann Vischer wuchs in Eberbach auf, und während sich andere Jungs in seinem Alter für Autos interessierten, befiel ihn der Bazillus Motorrad. Sein erstes war eine gebrauchte NSU Fox mit knapp 100 Kubikzentimeter Hubraum und 5,6 PS. "Es war die schnellste Fox im Neckartal." Sein zweites Motorrad, eine NSU Max, steht bis heute in seiner Garage, wie elf andere. Er sammelt keine Motorräder, sagt er, es sei einfach so, dass er bestimmte Motorräder nicht wieder verkauft habe, weil sie ihm gefallen haben, wie die italienische Moto Guzzi 850 Le Mans, die er 1975 als einer der Ersten in Deutschland fuhr, oder die MV Agusta oder die Ducati Monster. 32 Motorräder hat er Laufe seiner Lebens erworben und gefahren.

Im Neckartal war es gut, motorisiert zu sein, man war damit nicht auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Ganz ungefährlich war das Motorradfahren schon in den Fünfzigern nicht, als das völlige Beherrschen des Fahrzeugs "der besondere Reiz" war. Hermann Vischer studierte an der Technischen Hochschule Karlsruhe und wollte eigentlich in der Automobilindustrie Fuß fassen. Es kam anders. Mit einem Partner gründete er 1964 in Heidelberg ein Beratungs- und Planungsbüro, aus dem ein erfolgreiches und weltweit operierendes Unternehmen wurde. IO Consultants hat heute 170 Mitarbeiter auf der ganzen Welt.

Ende der 60er Jahre brachte BMW einen ganz neuen Motorradtyp auf den Markt: Die BMW R 50/5 mit 500 Kubikzentimeter und 34 PS, die Vischer sich zulegte. "Die war gut gefedert." Es war dennoch eine eher motorradarme Zeit. Motorräder waren noch nicht in Mode gekommen. Meist unternahm er seine Touren damals allein, als "einsamer, grauer Wolf", wie er sagt. Das sollte sich ändern, als neue Motorräder auf die Straßen kamen. Und Veranstalter in den achtziger Jahren Touren inklusive Mietmotorrädern anboten. Durch die tunesische Wüste, die Baja California in Mexiko, Australien oder die Unesco-Seidenstraßen-Tour von Paris nach Astrakhan am Kaspischen Meer fuhr er. Dann durch die Anden, Neuseeland, Hoher Atlas, Nepal, Oman, Sikkim und Bhutan, China, Alaska und Yukon. Zuletzt befuhr der Heidelberger den Osten Kanadas. Dass er mit gut 80 Jahren aufhört, steht nicht auf seinem Plan. Aus seinem Unternehmen hat er sich weitgehend zurückgezogen, auch aus dem Verwaltungsrat will er sich demnächst verabschieden. Er ist immer noch fit genug für einen "Ausritt", zumal Hermann Vischer nicht den Eindruck eines älteren Herrn macht, der lieber Kreuzfahrten bucht und von alten Zeiten plaudert. Im Winter will er sich überlegen, wohin es nächstes Jahr gehen soll. Aber natürlich tut er sich schwer, Neues zu finden. Vor allem, wenn man bereits 300.000 Kilometer hinter sich hat.

Land und Leute und der Zustand der Straßen

Mit seinem Buch will er die Leser ermuntern, exotischere und vom Massentourismus unberührte Touren unter die Räder zu nehmen. Seine Berichte entstanden über einen Zeitraum von 30 Jahren und machen die Veränderungen deutlich. Grenzen sind durchlässiger, politisch hat sich viel verändert. Dazu kommt der technische Fortschritt. Vischer wollte keinen Reiseführer mit exakten Beschreibungen von Sehenswürdigkeiten am Wegesrand schreiben. Detaillierte Streckenpläne fehlen ebenso wie Straßenkarten. Das überlässt er den bekannten Reiseführern. Hingegen erfährt der Leser mehr über den Zustand von Straßen und Pisten. Und über Land und Leute. Er beschreibt die Begegnung mit Menschen, beispielsweise im Himalaya, wo er den Eindruck gewinnt, dass überall, wo die Gruppe vorbei fährt, Kinder herbeigerannt kommen und winken und lachen. Sie wollen vor allem fotografiert werden. Die Gruppe fährt dort Motorräder vom Typ Enfield Bullet 500. Die Maschinen wurden vor dem Zweiten Weltkrieg konstruiert und bis zum großen Motorrad-Sterben in Großbritannien gebaut. Danach verkauften die Briten ihre Produktionsanlagen nach Indien, wo die Maschinen bis heute mit kleinen Modifikationen gebaut werden. Besonderheit: Sie haben Trommelbremsen, deren Verzögerungswirkung mehr im moralischen denn in faktischen Einheiten zu messen sind. Gebremst wird links, geschaltet wird in umgekehrter Reihenfolge. Im nepalischen Verkehr erweist sich die Hupe als das wichtigste Aggregat des Motorrads.

Ganz anders die 4000 Kilometer durch Alaska und Yukon. Die Straßen sind gut ausgebaut und breit sowieso. "Unsere Herausforderung besteht darin, den Matsch, die tiefen Spurrillen, die unbefestigten Abschnitte, die endlosen Staubfahnen der Baustellen ohne Bauchlandung zu passieren. Die Gravel Roads, die nicht asphaltierten Straßen, sind das Salz in der Suppe einer Tour durch den Norden des Kontinents. Eine davon führt 700 Kilometer von Dawson City nordwärts über den Polarkreis bis Inuvik am Mackenzie Delta. Auf der ganzen Strecke findet man nur ein paar Häuser und eine einzige Tankstelle bei Kilometer 539.

Die Straße besteht aus einer fest gewalzten Schüttung aus Schotter, Sand und Bindemittel. Auf der Denali Park-road kommt es fast zum Sturz: "Der Schotter und Dreck fliegt nur so unter mir weg. Mein Motorrad hat plötzlich den unwiderstehlichen Drang nach außen. Belastung der kurveninneren Fußraste, kurze Gasstöße zur Richtungsänderung, nichts hilft. Inzwischen bin ich schon auf der Gegenfahrbahn und beim Queren der Spurrillen hat es mir die Füße von den Rasten gehauen. Meine Kawa wird zum Rodeogaul. "Jetzt fliegst du über den Schotterwall am Straßenrand", schießt es mir durch den Kopf. Aber gleichzeitig blitzt die Erkenntnis auf, dass nur noch ein beherztes Gasgeben den Sturz verhindern kann. Und siehe da, die Maschine stabilisiert sich."

Als Hermann Vischer das erlebte, war er fast 80. Und er dachte an den Spruch: Fahr nie schneller, als Dein Schutzengel fliegen kann.

Info: Hermann F. Vischer "Bazillus Motorrad - 21 Touren in die Welt", Edition Schröck-Schmidt, 224 Seiten, ISBN 978-3-945131-11-4, 29,50 Euro.