Von Larissa Loges
Unmerklich wird aus der Sächsischen die Böhmische Schweiz. Wenige Minuten nach Abfahrt vom Dresdener Hauptbahnhof liegt links die Elbe, rund 20 Meter breit. Rote Kanus schwimmen mit dem Strom, ein paar Schlauchboote, vereinzelte Häuser ziehen vorbei.
Ein hoch gewachsener Ober, dessen Schultern ein wenig zu breit für die schmalen Gänge des Zuges wirken, eilt geduckt heran. Er serviert kaltes Pils, Schnitzel mit Kartoffeln und Gurkensalat. Die Gäste sitzen an weiß eingedeckten Tischen auf roten Sesseln. Nach knapp einer halben Stunde im EC naht die tschechische Grenze. Bad Schandau, ein Schatz des Elbsandsteingebirges, ist die letzte Stadt elbaufwärts auf deutscher Seite. Souvenirläden säumen den Flusslauf. Früher fuhren Touristenschiffe nach Tschechien hinein, heute führt die Elbe, die in Tschechien Labe heißt, zu wenig Wasser. Daher nimmt man am besten den Zug mit Nostalgiefaktor.
Die Stunde im Speisewagen vergeht wie im Flug. Dann heißt es aussteigen und umsteigen. Tagesziel: Melnik über Usti nad Labem. Eine Weinstadt, malerisch gelegen über dem Zusammenfluss von Elbe und Moldau, knapp 90 Winzer auf 20.000 Einwohner.
An diesem Sommertag sind es 38,5 Grad. Sarka Kalfarova lässt das kalt. Enthusiastisch schreitet die Reiseführerin voran, durch ihre mittelböhmische Heimat, und erzählt von der Heiligen Ludmilla, die den ersten Fürsten des Königreiches Böhmen zum Mann nahm und Christin wurde. "So kam das Christentum - und der Wein."
Apropos Wein, der lagert im Chateau Melnik. Der historische Weinkeller ist so sehenswert wie die Innenräume des Renaissanceschlosses in Privatbesitz insgesamt. Schlossherr Jiri Jan Lobkowicz plaudert salopp über die Besitztümer: "Drei Schlösser in Böhmen, zwei in Frankreich." 80.000 Touristen besichtigen sein 4000-Quadratmeter-Reich pro Jahr, 25.000 Weinverkostungen inklusive. "Der Weinabsatz ist gewachsen, die Qualität hat sich verbessert", sagt Lobkowicz. Tatsächlich überraschen die örtlichen Weine durch ihre Vollmundigkeit. Seit die Heilige Ludmilla die ersten Weinberge bepflanzte, ist viel geschehen. Aktuell, so Lobkowicz, entstünden etwa 80.000 Flaschen Ertrag. "Das wird ausgebaut."
Das älteste Weinfest der Republik findet hier um den 16. September herum statt, dem Namenstag von Ludmilla. Üblicherweise reisen Besucher aus ganz Tschechien an, nicht nur wegen des Weins. Die einst gotischen Häuser im zauberhaften Stadtkern von Melnik wurden im Renaissance-, Barock- und teils Jugendstil weiter gestaltet. Im Prager Tor, einem erhaltenen Stadttor mit Turm und Teestube, findet man Ruhe nach dem langen Reisetag. Morgens geht es zurück auf die Schienen, nächster Halt: Podebrady. Aus dem Bahnhof heraus stolpert man in den Kurpark. Leises Plätschern von Springbrunnen, blühende Büsche. Der Weg zur Elbe führt an Buchsbäumen vorbei, die zu Kugeln und Dreiecken geschnitten wurden.
Das Schloss von Podebrady ragt am Ufer der Elbe.Stolz ragt das Schloss von Podebrady am Ufer auf. In dessen Innenhof stieß 1905 ein Wünschelrutengänger auf eine mögliche Wasserader. Tatsächlich brachte eine Bohrung in fast 100 Metern Tiefe eine Mineralquelle hervor. Seither werden in Tschechiens jüngstem Kurort vor allem Herz- und Kreislaufpatienten behandelt. Die Zahl der jährlichen Kurgäste übersteigt die Einwohnerzahl.
Der Renner sind die Kohlensäurequellbäder. Aus etlichen Quellen im Kurpark darf man eigenhändig Mineralwasser zapfen. Empfohlen sind zwei Becher pro Tag von der salzigen, erdigen, prickelnden Mischung. Nach einer Stärkung in einem der großen Hotels entlang der Kurpromenade wartet am Bahnhof bereits die nächste "Schienendroschke". Das Ziel des Zuges heißt Pardubice. Dort wird von der Bahn auf das Rad gewechselt. Jede größere Stadt in Tschechien hat einen Fahrradverleih der tschechischen Bahn. Wer will, kann natürlich auch sein eigenes Rad mitnehmen. Je nach Strecke kostet das ungefähr zwischen drei und fünf Euro. Egal, ob mit eigenem oder geliehenen Fahrrad: In Pardubice, 100.000 Einwohner, lockt eine Tour entlang der Elbe. Flach sind die Wege, zauberhaft die Ausblicke auf Wiesen, Laubwälder, kleine Kanäle und scheinbar endlose Sonnenblumenfelder.
Wer es skurril mag, radelt zum Lebkuchenhaus (Pernikova chaloupka), irgendwo im Wald unweit der Burg Kuneticka Hora in Ràby. Das Museum, ein Jagdschlösschen von 1882, beheimatet das berühmte Gebäck von Herz- bis Krippenformat. Am Eingang erhält man einen Reisepass für die Lebkuchenwelt plus ein paar Gruselgeschichten.
Der unscheinbarer Steinring markiert symbolisch den Ursprung des Flusses.Erste Lebkuchenbäckereien gab es in Pardubice bereits im 16. Jahrhundert. Auch die Geschichte der Stadt als Austragungsort des Pferderennens Steeplechase reicht weit zurück: bis 1874.
Durch das Grüne Tor, ein 60 Meter hohes Turmhaus mit grünem Dach, geht es mit dem Rad zurück in den Ortskern. Dort klingt der Tag in der historischen Altstadt aus. Abends gibt es Hermelin, einen köstlichen, eingelegten Weichkäse auf Ölpfütze, und Brot mit Tartare, einer nahezu süchtigmachenden Remouladensoße. Nun wartet noch die Quelle des 1112 Kilometer langen Elbstroms. Ab Pardubice fährt der Zug ratternd über Stara Paka und Kuncice nach Vrchlabi (Hohenelbe). Die geöffneten Fenster bringen an diesem Morgen kaum genug Luft in die sommerlich aufgeheizten Waggons.
Zwei Umstiege später, nach kurzer Taxifahrt bis Spindlermühle, sieht man die Elbe wieder. Jetzt ist Wanderzeit. Die Luft ist erfrischend klar im Nationalpark Riesengebirge. Weitläufige Ziehwege, Wiesen und Waldstrecken betten raue Gebirgskämme ein. Unterwegs kommt man bei einem regionaltypischen Martinova bouda vorbei, einem Bergchalet - die Eltern von Martina Navratilova haben es einst bewirtschaftet. Die ehemalige Tennisspielerin wuchs hier die ersten drei Jahre ihres Lebens auf, zog dann nach Prag. Pittoresk sind diese kleinen Unterkünfte, die versprengt im Gebirge auf Einkehrer warten. Es gibt jedoch Ausnahmen: Alles andere als schön anzusehen ist die vielgeschossige Labska bouda. "Eine Bausünde des Kommunismus", sagt der einheimische Gebirgsführer.