Die Furcht vorm Großbäcker nebenan
Der Mangel an geeignetem Nachwuchs belastet das Lebensmittelhandwerk - Doch das ist nicht der einzige Grund

Viele kleine Bäckereibetriebe sind von den Backshops der Discounter bedroht. Foto: dpa
Von Friederike Marx, Miriam Bandar und Monia Mersni
Frankfurt. Viele seiner Kollegen haben in den vergangenen Jahren aufgegeben. Bäcker Jürgen Fink trotzt dem Trend. "Backen mit Liebe und Zeit" ist das Motto seines Betriebs im hessischen Steinau an der Straße mit drei Filialen und mehreren Marktständen. Seit 276 Jahren gibt es den Familienbetrieb in dem Mittelalterstädtchen, der heutige Chef übernahm ihn Mitte der 1990er-Jahre von seinem Vater. Fink versuchte sich das alte Handwerk wieder beizubringen. "Wir verzichten auf jegliche Zusätze und machen alles selbst."
Nach Lernerfahrungen und einer wirtschaftlichen Durststrecke zeige der Trend seit Jahren aufwärts. "Wir haben uns unsere Kundschaft über Jahre erarbeitet", berichtet der 50-Jährige. Inzwischen bezieht er sein Getreide direkt von Bauern aus der Region. Durch den Verzicht auf den Zwischenhandel sei das Endprodukt kaum teurer als in konventionellen Bäckereien - trotz des etwas höheren Einkaufspreises des Getreides, das er meist in Bio-Qualität einkauft.
Doch die Konkurrenz schläft nicht: "Wenn hier eine Großbäckerei mit einer ihrer hübsch designten Filialen nebenan aufmacht, könnte mir das schon Probleme machen", meint Fink. Auch die Discounter mit ihren Billig-Backwaren machen ihm Sorgen. Grundsätzlich sind die Bedingungen aus seiner Sicht für kleine Handwerksbetriebe unfair. Handarbeit sei gegenüber Maschinenarbeit steuerlich deutlich schlechter gestellt: "Ich habe mit meiner Arbeitsweise erhebliche Lohnkosten, eine Maschine könnte ich steuerlich zu 100 Prozent abschreiben", argumentiert Fink.
Hintergrund
50.000 Geschäfte vor dem Aus
Die Stimmung im deutschen Einzelhandel trübt sich ein. Vor allem kleine Händler machen sich angesichts der derzeitigen Konjunkturabschwächung und des anhaltenden Siegeszuges des Online-Handels immer mehr Sorgen um ihre
50.000 Geschäfte vor dem Aus
Die Stimmung im deutschen Einzelhandel trübt sich ein. Vor allem kleine Händler machen sich angesichts der derzeitigen Konjunkturabschwächung und des anhaltenden Siegeszuges des Online-Handels immer mehr Sorgen um ihre Zukunft. Nach Schätzungen des Handelsverbandes Deutschland (HDE) könnte bis 2025 jeder zehnte Laden seine Tore für immer schließen. Das entspräche dem Aus für fast 50.000 Geschäfte.
HDE-Geschäftsführer Stefan Genth berichtete am Mittwoch in Düsseldorf, nur noch weniger als ein Drittel der Einzelhändler in der Bundesrepublik rechne in diesem Jahr mit wachsenden Umsätzen. Das habe eine Umfrage unter 1000 Unternehmen aller Größen, Branchen und Standorte ergeben. Besonders skeptisch blickten kleine Händler mit bis zu 20 Beschäftigen in die Zukunft. Sie rechneten überwiegend schon in diesem Jahr mit Umsatzrückgängen. Noch deutlich besser war die Stimmung bei größeren Händlern.
Dabei sind die Rahmenbedingungen für den Einzelhandel momentan gar nicht so schlecht. Auch wenn die meisten Konjunkturprognosen inzwischen bereits deutlich nach unten korrigiert wurden, ist die Konsumstimmung in der Bundesrepublik nach wie vor gut. Der HDE selbst rechnet für den Einzelhandel 2019 noch mit einem Umsatzzuwachs von zwei Prozent auf über 537 Milliarden Euro. Doch verteilt sich das Wachstum höchst ungleich. Wachstumstreiber dürfte weiter der Online-Handel sein - mit einem erwarteten Umsatzplus von rund 9 Prozent. (dpa)
Viele Bäcker, aber auch Fleischer haben im Laufe der Zeit aufgegeben. Innerhalb von zehn Jahren verschwanden unter dem Strich jeweils etwa 30 Prozent der Betriebe in Deutschland. Waren im Jahr 2008 bundesweit rund 15.337 Bäckereien in der Handwerksrolle eingetragen, waren es Ende 2018 noch 10.926. Die Zahl der Fleischereibetriebe verringerte von 18.320 auf 12.897.
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Vor allem Nachwuchssorgen belasten die beiden größten Zweige des deutschen Lebensmittelhandwerks. "Den elterlichen Betrieb übernimmt nur noch, wer dies wirklich will", berichtet Herbert Dohrmann, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fachverbände des Lebensmittelhandwerks. Früher seien die Betriebe teils aus Pflichtgefühl, teils auch mangels Alternativen innerhalb der Familie weitergeführt worden.
"Wer von seinem Beruf begeistert ist und ein Unternehmen neu gründen möchte, hat es hingegen schwerer als früher", erläutert Dohrmann, der auch Präsident des Deutschen Fleischer-Verbandes ist. "Die Hürden, seien es die bürokratischen oder die finanziellen, sind nicht gerade niedriger geworden." Der direkten Konkurrenz durch Supermärkte und Discounter entzögen sich viele handwerklich arbeitende Bäcker und Fleischer mittlerweile, indem "sie sich im gehobenen Segment eingerichtet haben".
Wettbewerb herrscht trotzdem, beispielsweise um Auszubildende und Fachkräfte. "Inzwischen suchen alle Unternehmen der Wirtschaft - nicht nur im Handwerk - aber auch Institutionen und Organisationen, händeringend nach Fachkräften beziehungsweise Auszubildenden", berichtet Dohrmann. Nach Daten des Bundesinstituts für Berufsbildung blieben im vergangenen Jahr 906 Lehrstellen in Bäckereien unbesetzt. Den Fleischerbetrieben fehlten 894 Azubis.
Hinzu kommen aus Dohrmanns Sicht Belastungen durch Bürokratie. "Gesetzliche Vorschriften, die auf Großunternehmen zugeschnitten sind, werden auf Familienbetriebe mit zehn Mitarbeitern angewandt, wie zum Beispiel beim neuen Verpackungsgesetz." Überdies profitierten große Unternehmen eher von Erleichterungen, wie bei der EEG-Umlage. Nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz werden die Kosten für den Ausbau von Ökostrom über eine Umlage finanziert. Das Gesetz gewährt jedoch Nachlässe für Unternehmen, die sehr viel Strom verbrauchen, zum Beispiel Stahlwerke. Nach Einschätzung Dohrmanns wird der Trend zu weniger, aber größeren Betrieben anhalten. Hatte 1970 ein durchschnittlicher Metzger 5,9 Beschäftigte, waren es 2018 im Schnitt 11,7 Mitarbeiter.



