Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Zwei "Reichsbürger greifen an einem Bahnhof Pflegekinder an. Eltern aus dem Flüchtlingsmilieu billigen einen Messerangriff auf die Tochter, um die "Familienehre" zu retten, da diese die Beziehung zu ihrem Ehemann beenden will. Fußballhooligans greifen Polizisten an, die Ermittler treffen auf eine "Mauer des Schweigens": Die geschilderten Fälle spielen alle in Baden-Württemberg - und zeigen, dass auch hierzulande Fälle von Paralleljustiz festzustellen sind. Die Probleme sind allerdings weniger gravierend als in anderen Bundesländern. Das ist das Ergebnis einer von Rechtsprofessor Mathias Rode von der Universität Erlangen-Nürnberg im Auftrag des baden-württembergischen Justizministers Guido Wolf (CDU) erstellten Studie.
"Der Rechtsstaat dient dazu, eine Friedensordnung in der Gesellschaft zu wahren; er dient nicht zuletzt dem Schutz der Schwächeren. Wir haben aber Gruppen, die einen Gegen-Rechtsstaat anstreben", sagte Rode. Die stärkste Ausbildung sei im Bereich der organisierten Kriminalität zu verzeichnen. Ein "signifikantes Problem" gebe es bei der "aggressiven Inanspruchnahme des öffentlichen Raums", etwa durch Hooligans oder Extremisten vom linken und vom rechten Rand. Es gelte zugleich festzuhalten, dass es in Baden-Württemberg keine Scharia-Gerichte gebe und das Land von kriminellen Clans verschont sei, die Selbstjustiz ausübten. Dass die Problematik nicht an jene in Berlin oder Nordrhein-Westfalen heranreiche, sei auf günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen zurückzuführen - und auf einen repressiven Kurs.
Früher als andere hätten die süddeutschen Länder Baden-Württemberg und Bayern erkannt, "dass es notwendig ist, dass sich der Staat nicht zurückzieht aus dem öffentlichen Raum". Neben präventiven Angeboten sei "klare Kante" gefragt, so der Wissenschaftler. Die Studie beklagt zugleich, dass Sparmaßnahmen in Baden-Württemberg mancherorts "die erforderliche niedrigschwellige Präsenz" verhinderten; die Auflösung lokaler Polizeidienststellen in Problemvierteln etwa sei "kontraproduktiv".
Dass es keine verfestigte, flächendeckende Paralleljustiz im Land gebe, sei ein erfreulicher Befund, sagte Justizminister Wolf. Es gebe angesichts der Probleme mit Reichsbürgern und Rockerbanden, mit der Mafia und mit radikalen Muslimen aber keinen Anlass, sich in Selbstzufriedenheit zu wiegen. "Eine echte Paralleljustiz wäre kein Schönheitsfehler, sie wäre ein staatliches Scheitern." Daher wolle er die Handlungsempfehlungen im Gutachten, so sie nicht bereits in Arbeit seien, möglichst in Angriff nehmen. "Wir werden nicht lockerlassen, die Vorschläge aus diesem Gutachten umzusetzen."
Das Gutachten empfiehlt neben einem besserem Zeugen- und Opferschutz auch schnelle staatliche Reaktionen auf Straftaten wie beschleunigte Verfahren. Bei Drogenumschlagplätzen "muss man dann halt mal mit dem Sondereinsatzkommando rein - und nicht nur einmal, sondern öfter", sagte Rode. Hilfreich seien beschleunigte Gerichtsverfahren. Wolf sagte, sein Haus erarbeite gerade gemeinsam mit Praktikern Fallgruppen zur Anwendungen beschleunigter Verfahren.
Neben der Repression sei Prävention wichtig, so Rode. "Paralleljustiz lässt sich nur dann dauerhaft eindämmen, wenn bereits die Ursachen ihrer Entstehung oder die Förderung bekämpft werden", heißt es in der Studie. Zentrales Ziel müsse es sein, Gruppierungen durch eine stabile Einbindung in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt aus ihrer Isolation zu lösen.