Von Sönke Möhl
Oppenau. Hubschrauber mit Wärmebildkameras, Polizeihunde, SEK, Hunderte Polizisten – und doch bleibt der gesuchte Mann verschwunden. Der 31-Jährige ist mit den Dienstwaffen von vier Polizisten im Schwarzwald bei Oppenau unterwegs. Er hat sie den Beamten bei einer Kontrolle in einer illegal genutzten Hütte abgenommen und kennt sich in dem Gelände offenbar gut aus.
Warum ist es so schwierig, den Mann zu finden? Ein Wald ist ein unübersichtliches Gelände. Wer sich auskennt, findet zahlreiche Verstecke und kann sich über weite Strecken bewegen, ohne gesehen zu werden. Aus der Luft schützt das Dach der Bäume vor Entdeckung.
Vor welchen konkreten Problemen steht die Polizei? Das Gebiet im Ortenaukreis, in dem die Polizei den 31-Jährigen vermutet, ist mehrere Quadratkilometer groß. Es ist kein Wald, durch den man einfach hindurchspazieren kann. Das Gelände ist zum Teil sehr steil und unwegsam. Die Höhenunterschiede zwischen dem Renchtal und den angrenzenden Bergen sind erheblich. Der 31-Jährige, der sich selbst wohl als eine Art Waldläufer betrachtet, kennt sich den Ermittlungen zufolge in dem Gebiet sehr gut aus.
Nach Angaben von Polizeipräsident Reinhard Renter lässt sich das Gebiet nicht komplett durchsuchen. Polizisten hätten etwa 20 Kilogramm Ausrüstung bei sich, Spezialkräfte bis zu 30 Kilogramm. Auch das schränke die Möglichkeiten ein. Außerdem lasse sich ein abgesuchter Bereich nicht sichern. Die Polizei müsste jeden Tag vorn vorne anfangen.
Wie können Hubschrauber mit Wärmebildkameras helfen? Mit Wärmebildern aus der Luft lassen sich laut Polizei vermisste Menschen gut finden. Schwieriger wird es, wenn ein Mensch nicht entdeckt werden will. Wer auf der Flucht ist, kann sich zum Beispiel unter Felsen verstecken und unentdeckt bleiben. Erschwerend wirkt auch heißes Wetter. Dann strahlen die Bäume viel Wärme ab, so dass einzelne Wärmequellen schlechter auszumachen sind.
Wie lange kann ein Flüchtiger im Wald überleben? Das hängt von seinen Fähigkeiten ab. Lars Konarek, der Menschen für das Überleben in der Wildnis ausbildet, sagt: "Wer das Wissen hat, kann lange Zeit im Wald überleben." Als Nahrung bieten sich Wildkräuter und Insekten an. Auch wenn aktuell nicht alle kleinen Bäche Wasser führen, dürfte die Versorgung mit Wasser kein Problem sein.
Denkbar ist auch, dass der 31-Jährige sich nachts aus Gemüsegärten bedient. Auch wenn die Polizei mit zahlreichen Beamten im Einsatz ist, dürfte eine lückenlose Überwachung nicht möglich sein. Noch ein Vorteil für den Flüchtigen: Derzeit ist es warm und meist trocken.
Ist der Mann überhaupt noch in der Gegend? Die Polizei geht davon aus: Obwohl er keinen festen Wohnsitz mehr hat, war er stets in Oppenau geblieben. Er ist dort verwurzelt und sieht in den Wäldern ringsum wohl sein Zuhause.
Update: Mittwoch, 15. Juli 2020, 17.08 Uhr
Von Sönke Möhl und Amelie Richter
Oppenau. Sie sind viele, sie sind schwer bewaffnet, sie tragen Schutzausrüstung: Hunderte Polizisten durchkämmen die Wälder rund um Oppenau. Sie suchen fieberhaft nach einem 31 Jahre alten Mann, der vier Beamten am Sonntag die Dienstpistolen geraubt hat und im Wald verschwunden ist.
Von Ruhe kann seitdem in dem Schwarzwaldstädtchen mit knapp 4800 Einwohnern keine Rede mehr sein. Ein Sportplatz ist Hubschrauberlandeplatz und Basis für den Polizeieinsatz. Die Flugsicherung sperrt den Luftraum über der Gemeinde im Ortenaukreis.
Fahndungsbild des Gesuchten. Foto: dpaDas Gebiet links und rechts des Flüsschens Rench sei unübersichtlich, die Suche daher schwierig, sagt Bürgermeister Uwe Gaiser. "Es ist eine Gefährdungslage, die man ernst nehmen muss." In den Wäldern gibt es viele Möglichkeiten, sich zu verschanzen. Wie der Mann die vier Polizisten überrumpeln konnte, das wollte der Bürgermeister nicht bewerten. Möglicherweise hätten sie ihn unterschätzt.
Schon am Sonntag hat Gaiser beschlossen, dass Schulen und Kindergärten am Montag nicht öffnen. Ob sie es am Dienstag wieder tun, will er mit der Polizei entscheiden – je nachdem, ob der Gesuchte bis dahin nicht gefunden wird.
Ein Einzelhändler bezeichnet den 31-Jährigen als "komischen Typen". "Ich weiß nicht, ob er der Typ ist, der sich ergibt", sagt er. Es gebe einige Leute im Ort, die Angst vor dem 31-Jährigen hätten.
Der Verdächtige fiel in der Vergangenheit wegen Verstößen gegen Waffengesetze auf. In seiner letzten festen Wohnung habe er sich heimlich unter dem Dach eine Art Schießstand eingerichtet, erzählt der frühere Vermieter. Der Mann habe augenscheinlich der Gothic-Szene angehört und selbst im Sommer einen schwarzen Mantel getragen. Nachdem der Mann über mindestens zehn Monate mit der Miete im Rückstand gewesen sei, habe er die Wohnung Ende vergangenen Jahr zwangsräumen lassen. Bei dem Versuch, die Mietforderungen einzutreiben, habe sich dann herausgestellt, dass der Mann nicht mehr in Oppenau gemeldet gewesen sei, so der Vermieter.
Die Polizei ist überzeugt, dass der Gesuchte sich schon vor längerer Zeit in die Wälder zurückgezogen hat. Als er in einer Hütte überprüft werden soll, hat er Pfeil und Bogen sowie ein Messer bei sich. Dass er auch mit einer Pistole bewaffnet ist, merken die vier Beamten offenbar erst, als es zu spät ist, um noch zu reagieren. "Er war zu Beginn sehr kooperativ, was bedeutet, dass es für die Kollegen völlig unvorhersehbar war, dass er plötzlich eine Waffe zieht und alle vier in einen Lauf schauen mit gespanntem Bügel", sagte Polizeisprecher Hilger. Die Beamten mussten den Angaben zufolge ihre mit je 13 Schuss geladenen Pistolen auf den Boden legen. Anschließend flüchtete der 31-Jährige mit den Dienstwaffen in den Wald. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun unter anderem wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung.
Ein Hotelier, der etwas abgelegen am Waldrand ein Gasthaus betreibt, geht entspannt mit der Lage um. Gäste hätten ihm am Sonntag von der Suchaktion berichtet, er selbst habe in weiter Ferne Hubschrauber gehört. Beklemmend sei die Situation für ihn nicht. "Wir sagen unseren Gästen, dass sie in der Region nicht wandern sollen."
Es sei die richtige Entscheidung gewesen, Schulen und Kitas zu schließen, sagt eine 77 Jahre alte Bewohnerin vor dem Supermarkt. "Man weiß ja nicht, ob er vielleicht durchdreht." Da sie allein in einem Haus lebe, habe sie die Tür in der vergangenen Nacht fest verschlossen, sagt die Frau. Sie hoffe, dass die Polizei den Gesuchten bald finde.
Vor 30 Jahren war der kleine Ort schon einmal im Medienfokus: Im Wahlkampf 1990 wurde dort der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble angeschossen und schwer verletzt. Der Täter kam in die Psychiatrie.
Am Montag sind die Straßen so gut wie leer. In einem Café sitzen etwa zehn Gäste, viele Geschäfte sind geschlossen. Wegen Corona seien generell schon weniger Menschen unterwegs, sagt der Besitzer einer Eisdiele. Aber man merke schon, dass sich Oppenau im Ausnahmezustand befinde.