Neckarsulm

Mehrheit im Rat für B27-Anschluss

Umstrittene Pläne werden weiterverfolgt - Strümann: "Damit machen wir unsere Innenstadt kaputt"

09.10.2019 UPDATE: 10.10.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 52 Sekunden

Nach Mehrheitsmeinung der Stadträte soll die Binswanger Straße (rechts) an die darunter verlaufende Bundesstraße angeschlossen werden. Dazu müsste aber die Baumschule Schimmele (hinten links) verlagert werden. Der Eigentümer sperrt sich dagegen. Foto: Armin Guzy

Von Armin Guzy

Neckarsulm. Annähernd 400 Zuhörer haben am Dienstagabend die Entscheidung zum weiteren Vorgehen beim umstrittenen Anschluss der Bundesstraße B27 an die Binswanger Straße in Neckarsulm mitverfolgt. Nach zweistündiger Aussprache stimmten 15 Stadträte und Oberbürgermeister Steffen Hertwig für den Anschluss, elf waren dagegen. Damit ist zwar noch nicht der eigentliche Bau beschlossen, wohl aber die grundsätzliche Absicht der Stadt, die Planung weiter voranzutreiben.

Mit der Entscheidung stellte sich die Mehrheit des Gremiums gegen die Mehrheit der Bürger, die sich am 22. September bei einem Bürgerentscheid mit mehr als 57 Prozent der Stimmen gegen den Anschluss gestellt hatten. Da damals jedoch das erforderliche Quorum von 3807 Stimmen um 79 verfehlt wurde, wurde die Angelegenheit nun in einer Sondersitzung des Gemeinderats entschieden.

Dass Befürworter wie Gegner des Großprojekts dasselbe Ziel haben, nämlich die Stadt nicht im Verkehr ersticken zu lassen und die voraussichtlich weiter wachsenden Fahrzeugströme in vernünftige Bahnen zu lenken, wurde bei der Aussprache von mehreren Stadträten betont. Uneinig sind sich beide Parteien aber bei der Frage des Weges, der zu diesem Ziel führen soll. Der Bund will die B27 zwischen dem Autobahnanschluss und dem "Amorbachknoten" auf vier Fahrstreifen erweitern.

Im Zuge des Ausbaus könnte eine bislang nicht bestehende Verbindung zur Binswanger Straße geschlagen werden, über die vor allem Pendler leichter zu den großen Firmen in den östlich der Stadt gelegenen Gewerbegebieten gelangen könnten. Die aktuelle Kostenberechnung liegt inzwischen bei 42 Millionen Euro, wovon die Stadt voraussichtlich 22,6 Millionen tragen müsste.

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Befürworter der Pläne sehen darin eine fast einmalige Chance, eine solche, die Innenstadt entlastende Verkehrslösung vergleichsweise kostengünstig zu verwirklichen, die Gegner kritisieren hingegen genau diese Kosten, zweifeln am Erfolg der Maßnahme und befürchten, dass mehr Verkehr in die Wohngebiete fließt.

Verkehrsplaner gehen davon aus, dass durch die zusätzlich erwarteten 10.000 Arbeitsplätze im Großraum auch der Pendlerverkehr deutlich zunehmen wird: Auf der Südtangente würden dann beispielsweise statt der heute 17.000 Fahrzeuge täglich rund 19.600 fahren. Dass die Kreuzung Binswanger Straße/Robert-Mayer-Straße schon heute zur morgendlichen und abendlichen Rushhour an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt ist und hier zusätzliche Maßnahmen nötig sein werden, bestätigen auch die Planer.

Die Wirtschaft wachse weiter, und der B27-Anschluss sei für die Stadt unverzichtbar, positionierte sich OB Hertwig erneut klar für die Baumaßnahme. Und auch die Fraktionen von CDU und SPD schlossen sich dieser Position mehrheitlich an, außerdem Erkan Sahin (BIG) und Gerald Friebe (FDP). "Lärm, Gestank und Staus sind jetzt schon Alltag. Man stehe zwar hinter dem Mobilitätspakt, aber dieser sei nicht ausreichend. Der Anschluss entlaste die Stadt und insbesondere die Wohngebiete hingegen dauerhaft, sagte Eberhard Jochim (CDU) in einer gemeinsamen Erklärung der Befürworter. "Ohne Anschluss wird’s für viele Jahre keine Verbesserung geben", äußerte sich auch Friebe, der überdies eine Vielzahl weiterer Maßnahmen als notwendig erachtet. Der Anschluss sei aber zweifellos ein wichtiger Baustein im Gesamtverkehrskonzept.

"Die Bürger haben uns einen klaren Auftrag gegeben." Dieser demokratisch bekundete Wille werde bei einer Zustimmung "mit Füßen getreten" bezog Freie-Wähler-Stadtrat Joachim Eble Gegenposition. Außerdem weigere sich der Eigentümer der Baumschule Schimmele, dessen Betrieb zum Bau des Anschlusses verlagert werden müsste, sein angestammtes Terrain zu räumen, erinnerte Eble. Daher drohten ein langer Rechtsstreit, eine längere Planungsphase und höhere Gesamtkosten.

Zudem sei die finanzielle Handlungsfähigkeit der Stadt dann mehrere Jahre gelähmt. "Lassen Sie uns weiter nach kreativen Lösungen suchen", appellierte er an seine Ratskollegen, "wir können für die Region eine Vorreiterrolle spielen."

Horst Strümann (Grüne) machte sich dafür stark, statt des B27-Anschlusses den Kreisverkehr bei den Kinos auszubauen und erinnerte daran, obgleich er das nicht hoffe, dass in den nächsten Jahren auch viele Arbeitsplätze - und damit Pendler - wegfallen könnten. Mit dieser "vollkommen unausgewogenen Planung machen wir unsere Innenstadt kaputt", sagte Strümann, während Joachim Beil (CDU) noch "eine Liste ungeklärter Fragen" sah.

Deutlich wurde aber auch, wie sehr die Anschluss-Debatte geeignet ist, die Bürgerschaft zu spalten. Von verhärteten Fronten und persönlichen Anfeindungen berichtete Dieter Steiner (SPD). Der Neu-Stadtrat und Pfarrer bat darum, an diesem Abend keinen Grundsatzbeschluss zu treffen und stattdessen das Gespräch mit dem Bund zu suchen. Auch Bernhard Zartmann (CDU) gestand einen hohen Druck ein und kritisierte, dass manche Bürger in E-Mails ihre gute Kinderstube vergessen würden. Er beantragte eine geheime Abstimmung, was offenbar nicht nur OB Hertwig als "feige" befand: Der Antrag wurde bei 26 Gegenstimmen abgelehnt.

Ort des Geschehens

Dann folgte die eigentliche Abstimmung, nach der viele Zuhörer erkennbar missmutig die Musikschule verließen.

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