Wo die wilden Wölfe wohnen

In Rumänien leben zehn Millionen Schafe und 3000 Wölfe

Was kann Baden-Württemberg vom Umgang mit den dort lebenden Tieren lernen?

10.05.2019 UPDATE: 11.05.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 58 Sekunden

Seine beste "Waffe" gegen Wölfe sind die Hunde: Schäfer Niku Tarchira (rechts) im Gespräch mit dem Grünen-Abgeordneten Martin Hahn (l.) und Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch (CDU). Foto: Schmitz

Von Jens Schmitz, RNZ Stuttgart

Stuttgart. Niku Tarchira steht im rumänischen Bergland und schaut sorgenvoll zu den Wolken. "Dieses Wetter ist am gefährlichsten", murmelt er unter tief in die Stirn gezogener Mütze. "Immer bei schlechtem Wetter, da kommen sie. Da muss man aufpassen." Wölfe gehören für Tarchira zum Alltag. Die Tiere, die viele Westeuropäer nur noch aus Märchen kennen, kosten den Hirten mehrere Schafe im Jahr. Von dem 1,20 Meter hohen Zaun, der seine Herde umgibt, hält er nicht viel: "Die springen da drüber", erklärt er den Zuhörern auf seiner Weide. "Die einzige Lösung wäre, wenn die Regierung uns erlaubt, die Wölfe zu jagen."

Die 2000-Seelen-Gemeinde Fîrliug im Banat hat hohen Besuch: Erstmals in der Geschichte des Dorfs ist eine ausländische Delegation zu Gast. Die Straßen sind schlecht; die Gruppe bleibt im Schlamm stecken. Aussteigen, schieben. Der Agrarausschuss des baden-württembergischen Landtags will wissen, wie das Zusammenleben von Mensch, Schaf und Wolf funktioniert. Hier, wo es nie unterbrochen war.

Dem Europäischen Statistikamt zufolge gab es 2018 in Rumänien mehr als zehn Millionen Schafe. Hinter Großbritannien und Spanien ist das Land damit der bedeutendste Schafzüchter in der EU. In Rumänien lebt aber auch die größte Wolfspopulation der Gemeinschaft: Schätzungen zufolge rund 3000 Exemplare.

Delegationsleiter Martin Hahn erntet Heiterkeit, als er im Rat des Kreises Caras-Severin von zuhause berichtet. "Wir haben jetzt einen Wolf in Baden-Württemberg, der sesshaft geworden ist, und das ist zumindest emotional ein großes Problem", sagt der grüne Abgeordnete. "Un singur lup!", übersetzt der Dolmetscher und muss schon lachen, bevor die Gastgeber einstimmen.

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Nach Ansicht der EU ist der Wolf vom Aussterben bedroht und deshalb streng geschützt - in Deutschland wie in Rumänien. Doch Baden-Württembergs Politiker sehen durch die Rückkehr des Räubers die kleinteilige Weidewirtschaft bedroht, die ökologisch wertvolle Landschaften erhält.

Im Nordschwarzwald gibt es seit einem Jahr eine "Förderkulisse Wolfprävention". Sie orientiert sich am vermuteten Aufenthaltsgebiet des einzigen Wolfs, der in Baden-Württemberg als ansässig gilt. Das Land übernimmt dort 90 Prozent der Materialkosten, die Schaf-, Ziegen und Schalenwildhaltern für Schutzmaßnahmen entstehen. Dazu zählen besonders Elektrozäune. Die bislang bewilligten Zuschüsse belaufen sich auf knapp 450.000 Euro. Von Juni an werden Wolfsschäden dort nur noch ersetzt, wenn entsprechender Schutz vorhanden war.

Schafzucht ist die Haupterwerbsquelle in Fîrliug. Es gibt noch viel Wanderwirtschaft. 70 Prozent der Besitzer arbeiten im Nebenerwerb. Der Bürgermeister ist Jäger, doch er erklärt: "Der Wolf ist auch in Rumänien geschützt. Es gibt keine Möglichkeit, eine Autorisierung zu bekommen, um einen Wolf zu jagen."

Genau das bezweifeln viele Reiseteilnehmer. Die EU verbietet auch Brandrodungen. Deren Spuren begleiten die Delegation aber bis in einen Nationalpark hinein. "In Rumänien gibt es hervorragende Gesetze, aber sie werden nicht durchgesetzt", erläutert der Dolmetscher.

Tatsächlich gibt es online viele Angebote, über die man einen Wolfsabschuss buchen kann. Wie aktuell sie sind, ist eine andere Frage. Das oberbayrische Unternehmen Merle Jagdreisen und der holländische Ausrüster TTA Jagdreisen erklärten auf Anfrage, bis vor wenigen Jahren habe es in Rumänien Jagdlizenzen gegeben. Da dies derzeit nicht der Fall sei, könne man auch keine Abschüsse anbieten. "Wir haben es halt auf der Homepage gelassen", sagte ein TTA-Sprecher.

Dem öffentlich-rechtlichen Sender Radio Romania International zufolge wurden in Rumänien zwischen 2007 und 2015.1586 Wölfe geschossen. Das Jagdverbot war damals unter Berufung auf Ausnahmedefinitionen in der EU-Habitat-Richtlinie aufgehoben. Danach wechselte die Regierung die Strategie: Seit 2017 dürfen nur noch Notdienste die Einzeltiere bei unmittelbarer Gefahr betäuben oder töten.

Fîrliugs Bürgermeister Borduz erklärt: "Der einzige Schutz sind wirklich die Hunde." Dann führt er die Delegation zu den "Waffen" der Schäfer: zentralasiatische Owtscharka-Hunde - Tiere mit einer Widerristhöhe von mehr als 60 Zentimetern. Sie können Schafherden selbstständig bewachen und ohne Vorwarnung zum Angriff übergehen.

Vier Exemplare stürmen den Gästen aus Baden-Württemberg auf Ion Mustatas Weide entgegen. Neben dem Eigentümer sind drei angestellte Hirten dabei, doch die Delegation nähert sich zunächst ausgesprochen respektvoll. Als die Hunde sich an den Besuch gewöhnt haben und sogar Streicheleinheiten suchen, entspannt sich die Situation. Dann erklärt Schäfer Mustata, die Mehrheit eingesperrt zu haben - sie sei zu aggressiv.

Für seine 1500-köpfige Herde hält der 50-Jährige insgesamt zwölf Hunde, die er selbst ausgebildet hat. Ein Hund kostet ihn pro Monat 600 Lei, das sind 130 Euro. Trotzdem wurden ihm 2018 sechs Schafe gerissen. Mit einzelnen Wölfen könnten die Hunde es zwar aufnehmen, sagt der stämmige Mann. Doch im Rudel hätten die Raubtiere Ablenkungsstrategien entwickelt, die ihnen Erfolg verschafften.

Von diesem Sommer an soll es in Baden-Württembergs "Förderkulisse Wolfsprävention" für Schutzhunde ab einer Herdengröße von 60 Muttertieren jährlich 1950 Euro geben. "In Baden-Württemberg ist bereits vieles geklärt", findet der SPD-Abgeordnete Georg Nelius. "Deswegen sehe ich beim Wolf derzeit keinen großen Handlungsbedarf."

Doch viele Kollegen wirken nachdenklich. "Diese Hunde funktionieren in einer Landschaft ohne Publikumsverkehr. Da kommt nicht alle fünf Minuten ein Jogger vorbeigerannt", sagt FDP-Kollege Klaus Hoher. Arnulf Freiherr von Eyb (CDU) hält effektiven Herdenschutz für vielerorts unzumutbar. Er fordert Ausnahmeregeln für ganze Regionen.

Doch wie soll das gehen? In einem Brief an Umweltminister Franz Untersteller, der unserer Zeitung vorliegt, schreibt EU-Kommissar Karmenu Vella, die Tötung von geschützten Arten sei zwar bei Einzelfallprüfungen möglich. "Ich möchte jedoch klarstellen, dass eine regionale oder habitatdefinierte wolfsfreie Zone (…) nicht mit dem EU-Recht in Einklang wäre." Die Fortführung oder "Wiedereinsetzung" der traditionellen Weidewirtschaft mit Hirten und Schutzhunden sei oft eine sinnvolle Lösung, lässt der EU-Kommissar wissen. Entsprechende Unterstützung sei Aufgabe der Behörden.

Am Rand der rumänischen Weiden schwant manchem da Übles. Delegationsleiter Hahn ist überrascht, "dass die nicht mit einem Herdenschutzhund arbeiten, sondern mit vier, fünf und sechs". Das werfe nicht nur Sicherheitsfragen auf: Zusammen mit Zäunen, die wirklich funktionierten, bedeute das "enorme Kosten" fürs Land.

Hahn will deshalb erneut bei der EU vorstellig werden: In Deutschland leben dem Dokumentationszentrum des Bundes zufolge zwischen 213 und 246 erwachsene Wölfe. Sie gruppieren sich in 75 Rudel, 30 Paare und drei Einzeltiere. Für die EU liegen die Schätzungen zwischen 13.000 und 14.000. "Ich glaube", sagt Hahn, "es ist schon noch einmal zu klären, an welchem Punkt der Wolf in seiner Substanz als erhalten gelten kann."

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