Spitzenkandidat

Wandelt Thomas Strobl auf Scholz’ Spuren?

Der CDU-Landeschef wird als "Mann der Vergangenheit" abgeschrieben. Dabei könnte er ein idealer Spitzenkandidat für 2026 sein. Ist das eine zu gewagte These?

01.04.2023 UPDATE: 01.04.2023 06:00 Uhr 4 Minuten, 7 Sekunden
Könnte es Vize-Regierungschef Thomas Strobl (l.) gelingen, sich aus dem „Windschatten“ des Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (r.) zu lösen, wenn dieser 2026 nicht mehr kandidiert? Als Favorit für die CDU-Spitzenkandidatur gilt Strobl derzeit allerdings eher nicht. Foto: Bernd Weißbrod

Von Sören S. Sgries

Heidelberg/Stuttgart. Ob sich manch ein CDU-Politiker im Ländle manchmal heimlich in die grüne Partei wünscht? Also wirklich nur in den allergeheimsten Geheimgedanken? Denn zumindest, was die Karriereplanung angeht, scheint es derzeit von Vorteil zu sein, ein Grüner zu sein – dort soll es exzellentes "Mentoring" geben, was die politische Karriereplanung angeht. Jedenfalls behauptete Winfried Kretschmann jüngst, er gebe jüngeren Parteifreunden "immer gute Tipps, wie sie sich performen können".

Performance-Tipps vom Ministerpräsidenten höchstselbst, wenn es um dessen Nachfolge geht: Genial. Zumal innerhalb der Südwest-CDU die Landtagswahl 2026 derzeit noch tabuisiert wird. Jedenfalls beschied Parteichef Thomas Strobl noch Ende Januar, vor den eisigen Schöntaler Klostermauer, in denen sich die Mandatsträger zur Klausur versammelt hatten, recht kühl: "Wir beschäftigen uns jetzt definitiv nicht mit der Frage der Spitzenkandidatur. Wir führen nicht einmal eine Debatte darüber."

Nicht? Schade. Dabei würde man mit dem 63-jährigen Innenminister und Vize-Regierungschef gerne mal diese These diskutieren: Könnte es sein, dass er, Thomas Strobl, der ideale CDU-Spitzenkandidat ist für die baden-württembergische Landtagswahl 2026?

Zugegeben: Die meisten politischen Beobachter dürften das als ein ziemlich abseitiges Gedankenspiel abtun. Als konservativer Hoffnungsträger gilt unumstößlich Manuel Hagel, der 34-jährige Fraktionschef im Landtag. Strobl hingegen steckt gemeinhin in der Schublade "Mann der Vergangenheit". Diskutiert wird nicht die Zukunft des Heilbronners, sondern wann seine Karriere endet.

Aber warum eigentlich? In der Grundkonstellation des Wahljahres 2026 könnte Strobl beste Startchancen haben. Wenn der dann 77-jährige Amtsinhaber Kretschmann sich in den politischen Ruhestand verabschiedet, könnte Strobl sich geschmeidig aus dessen Windschatten lösen und ihn relativ nahtlos "beerben". Seit 2016 regiert Strobl als Vize-Regierungschef an Kretschmanns Seite. Er bringt damit zweifellos Regierungserfahrung mit, könnte glaubhaft Stabilität und Kontinuität versprechen. Dafür muss er nicht groß glänzen, sondern vor allem "da sein".

Zugespitzt gesagt: Er könnte sich ins Amt "scholzen" – also genau wie der jetzige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Kandidatenfeld ohne "Titelverteidiger" als das vertraute Gesicht auftauchen, das viel Routine, wenig Erschütterung verspricht. Und falls der CDU-Mann sich unwohl fühlen sollte mit einer sozialdemokratisch inspirierten Wahlkampagne à la Scholz: Auch Angela Merkels "Sie kennen mich" aus dem Bundestagswahlkampf 2017 könnte er problemlos für sich beanspruchen.

Hier steckt übrigens auch der große Vorteil des erfahrenen Strobl – seit 2011 Landesparteichef, zuvor seit 2005 Generalsekretär – gegenüber dem "frischeren" Manuel Hagel: Dieser müsste sich erst im Land bekannt machen. Als Fraktionschef wird er zwar im Politbetrieb geschätzt, doch außerhalb dieser Blase kennt ihn kaum jemand. Ein Schicksal, das er übrigens mit den meisten Landespolitikern teilt.

Natürlich könnte Hagel versucht sein, erst Parteichef zu werden – der nächste Wahlparteitag ist im Herbst – und danach als offizieller Spitzenkandidat mehr Profil zu gewinnen. Nur: Die Mittel sind begrenzt. Schnelle Bekanntheit bringen populistische Aufschläge. Hier poltern, dort pöbeln. Das widerspräche nur komplett der smarten Parteilinie, die klugweise seit geraumer Zeit im Südwesten gefahren wird. Strategisch geschickt öffnete sich die CDU unter Strobl und Hagel nämlich für eine "moderne" Gesellschaft, statt einem verklärten Gestern hinterherzuträumen oder gar um einen reaktionären rechten Rand zu kämpfen.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (49) oder der NRW-Kollege Hendrik Wüst (47) stehen hier Pate, während Bundesparteichef Friedrich Merz (67) zwar an der Basis beliebt ist, aber vom Typ her ein Risiko für eine erfolgreiche Landtagswahl wäre: Schließlich gilt es, Wechselwähler aus dem Kretschmann-grünen Lager zur CDU zu holen. Das geht besser mit Merkel’scher oder Scholz’scher Einschläferungs-Taktik als mit aufpeitschenden "Pascha"-Schlagzeilen.

Falls Hagel doch damit liebäugeln sollte, darf er sich von einem Blick in die jüngere Wahlgeschichte ernüchtern lassen. Guido Wolf versuchte 2016, als Spitzenkandidat mit flüchtlingskritischem Populismus zu punkten, und wurde abgehängt. Kultusministerin Susanne Eisenmann überzeugte zwar die eigene Partei mit ihrem "kantigen" Auftreten, galt in der Öffentlichkeit aber bald als ruppige Nörglerin. Beide scheiterten krachend.

Bleibt Strobls politische Bilanz. Gilt er nicht als Verlierertyp, als Affären-Minister? Nüchtern muss man wohl sagen: Hier ist der Ruf deutlich schlechter als die tatsächliche Bilanz. Die Polizei jedenfalls steht gut da, das Land ist sicher, die grün-schwarze Regierung stabil. Und die vielfältigen Attacken der Opposition, bis hin zum Untersuchungsausschuss, haben viel Staub aufgewirbelt, aber keine schmutzigen Geheimnisse zutage gefördert. Selbst die "Brief-Affäre" um die Weitergabe eines Anwaltsschreibens ist inzwischen aus der Welt geschafft. Echte Niederlagen kassierte Strobl bisher vor allem innerparteilich: Die CDU verwehrte ihm, dem Parteichef, gleich zweimal die Spitzenkandidatur. Und auf dem letzten Parteitag wurde er nur mit etwas mehr als 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Herb.

Aber auch hier sei der Blick auf Olaf Scholz empfohlen: Dessen "Erinnerungslücken" rund um CumEx und Warburg-Bank verhinderten letztlich ebenso wenig seinen Kanzler-Erfolg wie die Niederlage beim SPD-Mitgliederentscheid zum Parteivorsitz. Den Wählerinnen und Wählern sind parteiinterne Reibereien letztlich erstaunlich gleichgültig.

Bleibt zum Abschluss der Blick auf das weitere Kandidatenfeld, das sich schnell auf Hagel verengt. Die Bundespolitiker, die als potenzielle Aspiranten genannt werden – Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei, Parteivize Andreas Jung, Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger –, haben jedenfalls den gleichen Malus wie der Landtagsfraktionschef: Sie sind unbekannt. Und sie hätten nach einer Kampfkandidatur wohl zudem die Landtagsfraktion gegen sich, während ihnen im Bund ziemlich sicher eine größere Karriere offensteht – vielleicht schon 2025, falls die Union nach der Bundestagswahl wieder mitregieren darf.

Bleibt also Hagel. Muss der nicht jetzt zugreifen? Jetzt die Chance nutzen, wo die Grünen durch den Generationenwechsel schwächeln werden? Nein, muss er nicht. Tatsächlich könnte es sogar geschickt sein, noch zu warten.

Im Wahljahr wäre Hagel erst 37 Jahre alt. Nun ist Baden-Württemberg nicht Bayern, wo laut Landesverfassung erst 40-Jährige Regierungschef werden dürfen. Trotzdem könnte der CDU-Mann gerade im Kontrast zum scheidenden Kretschmann nicht frisch, sondern zu jugendlich wirken – und allein deshalb wertvolle Stimmen verlieren. Beispielsweise an einen gut 20 Jahre älteren Grünen-Spitzenkandidaten Cem Özdemir.

Was sich hingegen auszahlen könnte: geduldiges Ausharren an der Seite Strobls. Ein klares Bekenntnis Hagels zu dessen potenzieller Spitzenkandidatur könnte innerparteilichen Unmut recht effektiv ersticken. Gelingt der CDU dann die Rückkehr in die Villa Reitzenstein, könnte Hagel mit ins Landeskabinett wechseln, beispielsweise als neuer Innenminister. Bei einer erneuten Wahlpleite hingegen müsste er offiziell die Abdankung Strobls betreiben – und diesen idealerweise als Vize-Regierungschef ablösen oder, im schlechteren Fall, als starker Oppositionsführer Fraktions- und Parteiführung auf sich vereinen.

Wie auch immer das Ergebnis aussähe: Hagel ist jung genug, um sich noch bis 2031, ja, vielleicht gar bis 2036 zu gedulden. Das sind, einerseits, sehr lange Perspektiven. Anderseits bringt es ja nichts, wenn eine Karriere zu früh verglüht.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.