Umweltkatastrophe Jagst: Pro Minute werden 100.000 Liter Wasser umgewälzt
Ein undichter Ablauf am Rückhaltebecken für Löschwasser könnteder Grund dafür sein, warum so viel giftige Chemikalien in den Fluss gelangen konnten

Reiner Sauerstoff wird über einen Tankwagen an der Wasserkraftanlage in Jagsthausen in die Jagst eingebracht. Das soll die Schadstoffkonzentration verringern und gleichzeitig die Fische wie auch Kleinlebewesen stabilisieren. Foto: Endres
Von Michael Endres und dpa
Eine Woche nach dem Chemieunfall an der Jagst und dem anschließenden Fischsterben wird die Giftfahne voraussichtlich erst am heutigen Montag den Kreis Heilbronn erreichen. Ein Sprecher des Landratsamtes Heilbronn hatte zunächst von Sonntagnachmittag gesprochen, seine Angaben inzwischen aber korrigiert.
Während aus dem benachbarten Hohenlohekreis gute Nachrichten über deutlich weniger tote Tiere als erwartet kommen, sorgen sich die Behörden am Ursprung des Umweltdesasters im Kreis Schwäbisch Hall wegen der Verwesungsprozesse in dem Fluss. Bei einem Mühlenbrand in Kirchberg an der Jagst war mit dem Löschwasser Ammoniumnitrat aus Düngemittel in das Gewässer gespült worden. Dies verursachte ein tausendfaches Fischsterben. Hunderte Angler, Feuerwehr und das Technische Hilfswerk sind seither im Einsatz.
Hintergrund
(rnz) Das Landratsamt Heilbronn hat jetzt zur Umweltkatastrophe an der Jagst ein Infotelefon eingerichtet. Unter 07131/994-8000 werden von 9 bis 17 Uhr (auch am Wochenende) Auskünfte erteilt über die Ammonium-Belastung der Jagst im Landkreis Heilbronn und welche Maßnahmen
(rnz) Das Landratsamt Heilbronn hat jetzt zur Umweltkatastrophe an der Jagst ein Infotelefon eingerichtet. Unter 07131/994-8000 werden von 9 bis 17 Uhr (auch am Wochenende) Auskünfte erteilt über die Ammonium-Belastung der Jagst im Landkreis Heilbronn und welche Maßnahmen dagegen ergriffen werden.
Sie wälzen Wasser mit Pumpen um, verdünnen die Giftdosis durch frisches Wasser etwa aus Regenrückhaltebecken und erhöhen den Sauerstoffgehalt, indem sie Barrieren in die Jagst bauen, über die das Wasser sprudelt. Das soll den Schadstoffabbau beschleunigen. Ein undichter Ablauf am Rückhaltebecken für Löschwasser könnte nach Angaben des "Hohenloher Tagblattes" der Grund dafür sein, warum so viel giftige Chemikalien in den Fluss gelangen konnten. Das Landratsamt Schwäbisch Hall bestätigte am Sonntag zwar, dass es diese Vermutung gebe. "Bis wir das hundertprozentig wissen, wird aber noch einige Zeit vergehen", sagte eine Sprecherin.
Der Landeschef des Naturschutzbundes, André Baumann, sagte: "Dass das Fischsterben im Hohenlohekreis weniger stark ist, ist gut, aber kein Grund zum Jubeln: Es ist und bleibt eine Umweltkatastrophe." Nun müssten der Vorfall aufgearbeitet und geeignete Konsequenzen gezogen werden.
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Der Kreis Schwäbisch Hall, wo die Schadstofffahne durch ist, machte auf mögliche neue Probleme aufmerksam: Durch Verwesungsprozesse toter Fische im Gewässer könne der Sauerstoffgehalt sinken. Ist er zu niedrig, bestehe die Gefahr, dass sich aus Nitrat im Fluss für Fische tödliches Nitrit bildet. Auch hiergegen sollen Belüftungsmaßnahmen helfen. Starkes Algenwachstum hilft unterdessen zusätzlich beim Abbau der Schadstoffe, berichtet das Landratsamt Heilbronn. Die Arbeit der Helfer sei organisatorisch eine riesige Herausforderung sowie körperlich und emotional eine heftige Belastung. Allein der Hohenlohekreis berichtete von mehr als 650 Engagierten in den vergangenen fünf Tagen. Die Ammoniumbelastung liegt inzwischen deutlich unter den Anfangswerten. Die Temperatur und der PH-Wert spielten ebenfalls eine Rolle bei der Ammoniakkonzentration.
Nach wie vor ist der Ammoniumgehalt in der Jagst nach Angaben des Hohenlohekreises für viele Tiere viel zu hoch. Der höchste Wert an Ammoniumbelastung ist am Samstagmittag in Dörzbach mit 15,9 Milligramm pro Liter gemessen worden, teilte das Landratsamt in Künzelsau am Sonntag mit, eine Ammoniumbelastung von bereits 0,5 Milligramm ist bekanntlich für die Fische und alle anderen Kleinlebewesen wie Flusskrebse und Muscheln tödlich.
Zudem wird mit Plattenbelüftern an der Wasserkraftanlage in Jagsthausen reiner Sauerstoff eingebracht. Nach Angaben von Volker Lang, Pressesprecher der Feuerwehr im Kreis Heilbronn, werden pro Minute 100.000 Liter Wasser in der Jagst umgewälzt und mit Sauerstoff angereichert.
Nach der Ökokatastrophe an der Jagst haben sich jetzt auch Kommunalpolitiker zu Wort gemeldet. Schwäbisch Halls Oberbürgermeister Hermann-Josef Pelgrim hat in einem offenen Brief an den Schwäbisch Haller Landrat Gerhard Bauer eine lückenlose Aufklärung des Brandes an der Lobenhäuser Mühle gefordert. Darüber hinaus soll Bauer Vorschläge liefern, wie eine solche Umweltkatastrophe künftig zu verhindern ist. Auch der Haller FDP Landtagsabgeordnete Friedrich Bullinger hat zwischenzeitlich eine kleine Anfrage an den Landtag gerichtet. Dabei will er unter anderem überprüfen lassen, wann welche Behörde aktiv wurde, wie das Krisenmanagement funktionierte und ob Gelder für die Renaturierung der Jagst zur Verfügung stehen.
Der CDU-Landtagsabgeordnete des Wahlkreises Neckarsulm, Bernhard Lasotta, hat die Landesregierung aufgefordert, den Betroffenen unbürokratische Hilfe zu leisten. So soll der Verdienstausfall der Ehrenamtlichen genauso gezahlt werden wie der Aufwand der Kommunen und der Fischereivereine. Darüber hinaus fordert MdL Lasotta Konzepte der Schadensvermeidung und eine Erfassung von gefährlichen Lagerstätten beispielsweise von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in Flussnähe. Die ökologische Katastrophe an der Jagst dürfe es nicht noch einmal geben. Das Land müsse hierzu geeignete Krisenpläne ausarbeiten, um zukünftig besser und schneller auf solche Gefährdungslagen reagieren zu können," fordert Lasotta in einer Pressemitteilung.