Landesregierung baut "Brücken über Lücken"
Kretschmann verkündet eigene Hilfsprogramme des Landes besonders für den Mittelstand. SPD und FDP zeigen sich enttäuscht.

Von Theo Westermann, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Seit Tagen wurde in der Regierungszentrale an letzten Details eines eigenen Hilfspakets gefeilt. Anfang der Woche hatte CDU-Fraktionschef Manuel Hagel erstmals über mögliche Landeshilfen der grün-schwarzen Regierung gesprochen, nun folgte der Vollzug in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten: Nach dem Blick auf die Folgen des Ukrainekriegs kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Donnerstag im Landtag angesichts von "Lücken" in den Programmen des Bundes eigene Hilfsprogramme an. Im kommenden Doppelhaushalt ist mit Blick auf die Krise eine Rücklage von 2,5 Milliarden Euro eingeplant.
Eigentlich hatte der Ministerpräsident die Regierungserklärung direkt nach seiner US-Reise im Oktober halten wollen. Nach der ergebnislosen Sitzung der Ministerpräsidenten mit dem Bund vertagte er den Plan. "Es ist ein Gebot politischer Vernunft, dass man Landesprogramme abgestimmt mit Bundesprogrammen macht", sagte der Ministerpräsident nun an die Adresse des SPD-Fraktionsvorsitzenden Andreas Stoch, der ihm Zögerlichkeit vorgeworfen hatte.
Hintergrund
> Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold, sprach von "guten Botschaften" für seine Branche. "Es ist extrem wichtig, dass die Landesregierung nun konkrete Hilfe mit einem ebenso konkreten Zeitplan in Aussicht gestellt hat". Viele Betriebe bräuchten Entlastungen, bis Gas-
> Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold, sprach von "guten Botschaften" für seine Branche. "Es ist extrem wichtig, dass die Landesregierung nun konkrete Hilfe mit einem ebenso konkreten Zeitplan in Aussicht gestellt hat". Viele Betriebe bräuchten Entlastungen, bis Gas- und Strompreisbremse tatsächlich griffen. Der Zuschuss bei den Liquiditätsdarlehen sei elementar. "Zusätzliches Schuldenmachen" werde in der nicht selbst verursachten Notlage von den wenigsten gewollt.
> Der Verband Unternehmer Baden-Württemberg forderte einfache und rechtssichere Antragsverfahren für die Hilfsprogramme.
> DGB-Landeschef Kai Burmeister begrüßte ebenfalls die geplanten Wirtschaftshilfen, forderte aber Auflagen. "Wenn öffentliche Gelder fließen, muss es klare Zusagen für Arbeitsplätze und zum Standorterhalt der Unternehmen geben". lsw
Kretschmann würdigte die jüngsten Hilfsprogramme des Bundes, vor allem den Abwehrschirm von 200 Milliarden Euro und das mit den Ländern beschlossene Entlastungspaket III von 65 Milliarden Euro. Baden-Württemberg hat daran bis 2024 einen Anteil von rund 4,8 Milliarden Euro zu tragen. "Das geht an die Grenze dessen, was wir leisten können." Er erinnerte daran, dass der Bund auf Initiative der Länder hier nachgebessert habe. Aber: "Ich habe immer gesagt, wenn es bei den Bundeshilfen bedrohliche Lücken gibt, dann werden wir diese stopfen". Das Land hat mehrere solche "Lücken" identifiziert. Die erste ist "die Winterlücke zwischen Dezember-Abschlag und Energiepreisbremse". Der Staat übernimmt bekanntlich für alle Gaskunden die Abschlagszahlung im Dezember. Die Energiepreisbremse greift für kleine Unternehmen aber erst im Februar oder März. Kretschmann: "Gleichzeitig brennt vielen Unternehmen aus dem Mittelstand aber schon jetzt der Kittel. Dabei geht es vor allem um die kurzfristige Sicherung von Liquidität."
Das Land legt ein Programm mit zwei Komponenten auf: Ein zinsverbilligtes Darlehen mit einem Zinssatz von 2,1 Prozent statt vier Prozent, sowie einen zinsverbilligten Liquiditätskredit plus einen zusätzlichen Tilgungszuschuss. Die genauen Konditionen nannte das zuständige Wirtschaftsministerium am Donnerstag auf RNZ-Anfrage noch nicht. Klar ist laut Kretschmann. Noch im Dezember können Anträge gestellt werden, ab dem 1. Januar soll ausgezahlt werden. "Damit bauen wir eine verlässliche Brücke zwischen Dezember-Abschlag und den weiteren Hilfen des Bundes."
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Hinzu kommt ein Härtefallprogramm für besonders betroffene kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem will das Land sein Bürgschaftsprogramm neu ausrichten; gemeinsam mit der L-Bank stünden so 2,6 Milliarden Euro bereit. Hinzu kommt ein Beratungsangebot zur Energiekostenentlastung. Außerdem gibt es einen Sondertopf für die soziale Infrastruktur mit 30 Millionen Euro.
Kretschmann erneuerte seine Kritik an nicht ausreichender Erstattung der Flüchtlingskosten oder bei den Bundesmitteln für den ÖPNV. Ohne den jüngsten Brandbrief der Kommunen und Wirtschaftsverbände zu erwähnen, ging er auf die dort formulierte Kritik ein: "Der Staat muss schneller und effektiver werden. Wir müssen übertriebene bürokratische Fesseln abstreifen. Wenn wir nicht entbürokratisieren, was notwendig ist, wird der Standort Deutschland ins Hintertreffen geraten."
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch ließ an den Ankündigungen kein gutes Haar: Die Landesprogramme seien "kein Doppelwumms, nicht mal ein halber Wumms". Es gebe nur "wieder Darlehen, wieder Kredite, wieder Zinsen". Und weiter: "Der Bäckermeister wird ihnen sagen, Kredite bekommt er auch von seiner Hausbank". Was Kretschmann anbiete, sei "zu wenig". Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich kritisierte: "Die einzigen starken Passagen Ihrer Rede waren die, für die Sie nicht zuständig sind" – und meinte damit Kretschmanns Exkurs auf die Ukraine oder die Notwendigkeit von Freihandelsabkommen. Und wie Stoch blickte Rülke auf ein Detail der nun vom Land aufgelegten Programme: "Über Zinsen sollte man in einer Lage wie dieser noch mal nachdenken". Kretschmann konterte dies später mit einem Verweis auf die EU: "Das alles muss beihilferechtlich möglich sein. Deshalb können wir bei den Zinsen nicht beliebig runtergehen."
AfD-Fraktionschef Bernd Gögel nannte die Rede eine "Mischung aus Überheblichkeit und Eigenlob". Kretschmanns Energiepolitik bleibe "hochgefährlich, realitätsfern und unbezahlbar."
Die Fraktionschefs von CDU und Grünen verteidigten erwartungsgemäß den Beschluss ihrer eigenen Landesregierung. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen in unserem Land gut durch den Winter kommen", so Andreas Schwarz (Grüne). Er lobte die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz. "Ich finde, dass Deutschland da was richtig Gutes hinbekommen hat." Die Programme des Landes machten zusätzlich Sinn. "Die Stärke Baden-Württembergs hängt maßgeblich von der Stärke unserer Unternehmen ab. Sie können sich darauf verlassen, dass wir sie gut durch den Winter bringen."
Manuel Hagel (CDU) sagte: "Gut, dass wir eine Brücke über die Lücke bauen für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen." Der Christdemokrat, dessen Partei in Berlin in der Opposition ist, nahm sich aber rhetorisch Kanzler Olaf Scholz vor: Seit Beginn des Ukrainekriegs habe es zu viele Runden ohne Beschlüsse gegeben. Es sei ein "starkes Stück" gewesen, dass Scholz ein Hilfspaket III verkünde, ohne die Länder zu informieren.