Baden-Württemberg

Was Grün-Schwarz erreichen will, wenn das Geld reicht

"Jetzt für morgen" heißt das 162 Seiten lange Werk: Grüne und CDU haben einen Koalitionsvertrag. Doch in der Kasse herrscht Ebbe. "Regieren ist halt kein Ponyhof", räumt der Ministerpräsident ein.

05.05.2021 UPDATE: 05.05.2021 08:14 Uhr 6 Minuten, 4 Sekunden
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Stuttgart. (dpa-lsw) Klamme Kassen und alle Vorhaben unter Haushaltsvorbehalt: Riesige Haushaltslücken bergen bereits Zündstoff für die neue Koalition von Grünen und CDU in Baden-Württemberg. Die beiden Parteien stellten am Mittwoch ihren Koalitionsvertrag vor, mit dem sie den Südwesten zum "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" machen wollen.

Der von Grünen und CDU geplante "Aufbruch" wird allerdings vom coronabedingten Geldmangel in der Landeskasse deutlich erschwert. Denn alle Vorhaben in dem Vertrag stehen unter einem Haushaltsvorbehalt. Schon im Vorwort des Koalitionsvertrags heißt es: "Der finanzielle Spielraum im Haushalt ist sehr klein."

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Die Spitzen um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und CDU-Landeschef Thomas Strobl erläuterten den Vertrag und den Zuschnitt der Ministerien auf dem Forschungscampus Arena2036 in Stuttgart. Der 162 Seiten starke Werk trägt den Titel: "Jetzt für Morgen. Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg."

Die künftige Koalition verständigte sich darauf, die wichtigsten Vorhaben etwa beim Ausbau des schnellen Internets und des Nahverkehrs zwar anzuschieben, aber mit großen Investitionen zu warten bis die Steuereinnahmen wieder sprudeln. Nach den jüngsten Prognosen fehlen in den nächsten drei Jahren jeweils etwa vier Milliarden Euro. "Regieren ist halt kein Ponyhof", sagte Kretschmann auf die Frage, ob er wegen des Haushaltsvorbehalts im Koalitionsvertrag ständige Streitereien mit der CDU erwartet.

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Die Haushaltslage hat auch Folgen für das Personal. Es sei vorgesehen, "in Summe hinsichtlich Anzahl und Kosten keine Neustellen in der Landesverwaltung zu schaffen". Der schon geplante Wegfall von Stellen soll vollzogen werden. "Sämtliche Ausgaben stehen auf dem Prüfstand", schreiben Grüne und CDU. Aber die Polizei soll personell und technisch "weiter kräftig" gestärkt werden. Wie das finanziert werden soll, ist unklar.

Trotz klammer Kassen will Grün-Schwarz ein zusätzliches Ministerium für Wohnen und Landesentwicklung schaffen. Das neue Ministerium soll von der CDU geführt werden und einen grünen Staatssekretär bekommen. "Wohnen gehört zu den ganz zentralen Aufgaben der Zukunft", rechtfertigte Kretschmann die Entscheidung. Wie erwartet übernehmen die Grünen das Kultusministerium. Dieses Ressort soll zwei Staatssekretäre, einen von den Grünen und einen von der CDU, bekommen. Unterm Strich heißt das, dass die Grünen in sechs Fachministerien die Ressortchefin oder -Chef stellen, die CDU weiterhin in fünf.

Die Haushaltslücken verlangten Haushaltsdisziplin und eine klare Priorisierung. Die finanziellen Schwierigkeiten würden aber keinen politischen Stillstand verursachen. "Es ist ja nicht so, dass wir kein Geld haben", sagte er. Das Land verfüge nach wie vor über einen Haushalt von 50 Milliarden Euro. Das Land werde weiter investieren, etwa in Polizei und Schulen. Es wäre ein schlechtes Zeugnis, wenn die Politik nicht in der Lage wäre, mit weniger Mitteln ihre Ziele zu erreichen. Baden-Württemberg solle beim Klimaschutz zum kopierfähigen Modell für andere Wirtschaftsregionen der Welt werden.

Grüne und CDU wollen nach Worten von CDU-Landeschef Strobl in den kommenden Jahren eine "enkelgerechte" Politik machen. Es gehe darum, Ökonomie und Ökologie zu versöhnen. Beim Klimaschutz wolle man nicht nur Papier beschreiben und Dinge von oben nach unten verordnen, sondern eine breite gesellschaftliche Allianz bilden. Beim Thema Nachhaltigkeit gehe es aber nicht nur die Umweltpolitik, sondern auch um das Thema Finanzen, sagte Strobl.

Am Samstag müssen die Parteitage von Grünen und CDU dem Koalitionsvertrag zustimmen. Und in einer Woche will sich der 72-jährige Kretschmann zum dritten Mal zum Regierungschef wählen lassen. Bei der Landtagswahl vor über sieben Wochen hatten die Grünen einen historischen Sieg eingefahren und ihren Koalitionspartner CDU 8,5 Prozentpunkte hinter sich gelassen.

Update: Mittwoch, 5. Mai 2021, 13.24 Uhr


Wechselt der Heidelberger Danyal Bayaz in die Grün-Schwarze Landesregierung?

Stuttgart. (dpa-lsw) Die künftige grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg hat sich trotz schlechter Haushaltslage auf die Schaffung eines zusätzlichen Ministeriums verständigt. Die CDU werde das neue Ressort führen, das für Bauen, Wohnen und Raumplanung zuständig sein soll, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Dienstagabend am Rande der Beratungen der Parteispitzen in Stuttgart. Damit können die Grünen nach ihrem klaren Wahlsieg sechs Fachressorts besetzen, die CDU weiterhin fünf. Allerdings muss für das neue Ministerium vor allem das CDU-geführte Wirtschaftsressort Zuständigkeiten abgeben. Fest steht demnach nun auch, dass die Grünen erstmals im Südwesten das Kultusministerium übernehmen.

Premiere: Grüne führen Kultusministerium

An diesem Mittwoch soll der Koalitionsvertrag und der Zuschnitt der Ministerien offiziell vorgestellt werden. Die neuen Ministerinnen und Minister sollen erst nächste Woche bekannt gegeben werden. Der Ort der Präsentation an diesem Mittwoch soll zeigen, wie innovativ das erneuerte grün-schwarze Bündnis ist. Die Spitzen um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und CDU-Chef Thomas Strobl erläutern ihr Werk und den Zuschnitt der Ministerien auf dem Forschungscampus Arena2036 in Stuttgart. Der Campus ist eine öffentlich-private Plattform für Innovationen in Mobilität und der Produktion der Zukunft. Am Samstag müssen die Parteitage von Grünen und CDU dem Koalitionsvertrag noch zustimmen. Und am Mittwoch in einer Woche will sich der 72-jährige Kretschmann zum dritten Mal zum Regierungschef wählen lassen.

Kretschmann: Verhandlungen sind "kein Zuckerschlecken"

Die Verhandlungen über die Ministerien und deren Zuschnitt in der L-Bank in Stuttgart dauerten deutlich länger als ursprünglich geplant. Eigentlich wollten die Spitzen um Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl schon nach gut einer Stunde fertig sein. Doch die künftigen Partner verhakten sich. Kretschmann und Strobl mussten mehrfach unter vier Augen sprechen, es gab weitere kleinere Runden, bis man sich dann gegen 23.15 Uhr im größeren Kreis zusammensetzte und nach zehn Minuten eine Lösung hatte. Nach Abschluss der Runde sagte Kretschmann der dpa, die Verhandlungen seien "kein Zuckerschlecken" gewesen. Zu dem offensichtlichen Zwist mit der CDU sagte er: "Man ist nie allein auf der Welt."

Ein 6:5 statt 6:4 - CDU kann Gesicht wahren

Der Regierungschef hatte schon am Wochenende erklärt, er könne sich trotz der corona-bedingt schlechten Haushaltslage vorstellen, ein weiteres Ministerium zu schaffen. Das Land hat bisher zehn Fachressorts, Grüne und CDU führen jeweils fünf - das Staatsministerium von Kretschmann nicht mitgerechnet. Nach dem klaren Wahlsieg der Grünen war erwartet worden, dass sie künftig mehr Ressorts beanspruchen. In Parteikreisen hieß es schon länger, Grün-Schwarz könnte ein weiteres Ministerium schaffen, damit das Verhältnis nicht 6 zu 4 ausfällt, sondern nur 6 zu 5.

Kretschmanns Staatsministerin dürfte ins Kultusressort umziehen

Bisher sitzen die Grünen im Finanz-, Umwelt-, Verkehrs-, Wissenschafts- und Gesundheitsministerium. Die wollen die Ökos auch gern behalten. Die CDU hat bisher die Ressorts für Inneres, Kultus, Agrar, Wirtschaft und Justiz. Es hieß schon länger, die Grünen wollten dieses Mal das Kultusministerium übernehmen, es ist mit einem Etat von 13 Milliarden Euro das finanziell gewichtigste. Da sich Ministerin Susanne Eisenmann nach ihrem Scheitern als CDU-Spitzenkandidatin aus der Politik zurückzieht, muss es ohnehin neu besetzt werden. Als chancenreichste Kandidatin gilt Staatsministerin Theresa Schopper (60), die früher bayerische Grünen-Chefin war.

Danyal Bayaz. Archivfoto: dpa

Überraschungskandidat für Finanzministerium

Bei der Besetzung des Finanzministeriums bahnt sich eine Überraschung an. Heißer Kandidat ist der 37-jährige Grünen-Bundestagsabgeordnete Danyal Bayaz aus Heidelberg. Der frühere Unternehmensberater hat sich als Finanzexperte und Grünen-Vertreter im Untersuchungsausschuss zum Skandal um den Finanzdienstleister Wirecard einen Namen gemacht. Bayaz habe schon signalisiert, die Nachfolge der scheidenden Ressortchefin Edith Sitzmann übernehmen zu wollen, hieß es. Die "Stuttgarter Zeitung" und die "Stuttgarter Nachrichten" hatten schon berichtet, dass Bayaz im Gespräch sei.

Unterstellers Nachfolge soll eine Frau antreten

Ins Umweltressort soll eine Frau einziehen. Für die Nachfolge des scheidenden Ministers Franz Untersteller werden Fraktionsvize Thekla Walker und die Karlsruher Umweltbürgermeisterin Bettina Lisbach gehandelt. Die Stuttgarterin Walker war von 2011 bis 2016 Landesvorsitzende der Grünen. Lisbach saß von 2016 bis 2019 im Landtag. Der bisherige Bevollmächtigte beim Bund, Andre Baumann, der zwischendurch als Minister gehandelt wurde, könnte demnach auf seinen alten Posten als Umwelt-Staatssekretär zurückkehren.

Bei CDU wohl drei Männer, zwei Frauen

Auf CDU-Seite bleibt Strobl Innenminister, Agrarminister Peter Hauk soll ebenfalls seinen Posten behalten. Die Chancen von Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), im Amt zu bleiben, sind wieder gestiegen. Die Sigmaringer Landrätin Stefanie Bürkle, die in den Koalitionsverhandlungen eine zentrale Rolle gespielt hatte, will dem Vernehmen nach nicht nach Stuttgart wechseln. Für das neue Bauressort wird Fraktionsvize Nicole Razavi genannt. Neuer Justizminister könnte Wolfgang Reinhart werden, der am Dienstag seinen Posten als Fraktionschef aufgab. Als sein Nachfolger wurde Manuel Hagel gewählt.

"Klimaschutzland" mit Haushaltsvorbehalt

Grüne und CDU wollen den Südwesten zum "Klimaschutzland" machen, doch der coronabedingte Geldmangel in der Landeskasse erschwert den Start. Nach ihrer Wahlschlappe musste die Union eine Reihe von Zugeständnisse machen. Kretschmann hatte erklärt, es sei ein "echter Aufbruch", auch wenn man wegen der schlechten Finanzlage Abstriche machen müsse. So sollen alle kostspieligen Vorhaben wie etwa im Klimaschutz, beim Ausbau des schnellen Internets oder mehr Polizei- und Lehrerstellen mit einem Haushaltsvorbehalt versehen und nach und nach realisiert werden.

Opposition spottet über Grün-Schwarz: Rakete ohne Treibstoff

Die Opposition von SPD und FDP sieht in Grün-Schwarz eine Koalition der "ungedeckten Schecks", die ihre Konflikte auf die lange Bank schiebe. SPD-Chef Andreas Stoch sagte zum Ort der Präsentation Arena 2036, in der auch über Raumfahrt geforscht wird: "Wer statt Politik nur noch Überschriften macht, der hofft wahrscheinlich auch, dass eine schöne Kulisse über einen schwachen Vertrag hinwegtäuscht." Grün-Schwarz schränke die eigenen Ziele schon vor dem Start der Koalition ein und "rechtfertigt Stillstand mit dem Hinweis auf das liebe Geld. Das ist wie ein Rakete, die man ohne Treibstoff auf die Startrampe stellt: Das fliegt nicht, das qualmt nur."

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich spottete: "Auch die innovativste Raketentechnik macht aus einem Rohrkrepierer keine Marsmission." Nach der Landtagswahl Mitte März hatten die Grünen auch mit SPD und FDP eine Ampel-Koalition sondiert, doch am Ende entschieden sich die Ökos auf Kretschmanns Drängen hin doch für eine Neuauflage des grün-schwarzen Bündnisses.

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