Grün-Schwarz will Lastwagen-Maut auch auf kleineren Straßen
Die Warnungen der Wirtschaft sind verhallt. Die CDU stimmt der von den Grünen geplanten Lkw-Maut auch auf kleineren Straßen zu. Doch bis das ganz durch ist und die Technik installiert, wird es noch dauern.

Stuttgart. (dpa) Die designierte grün-schwarze Regierung in Baden-Württemberg will eine Mautpflicht für Lastwagen auf Landes- und Kommunalstraßen einführen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Samstag nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen erfuhr, wird die Maut damit begründet, dass Lkw über 7,5 Tonnen auf Dauer große Schäden an den Straßen anrichten. Bisher gibt es die Lkw-Maut nur für die Nutzung von Autobahnen und Bundesstraßen.
Zunächst will Grün-Schwarz in der Verkehrsministerkonferenz von Bund und Ländern die Erweiterung der Lkw-Maut von Bundes- auf Landes- und Kreisstraßen in ganz Deutschland vorschlagen, wie es in Parteikreisen hieß. Sollte dies nicht zum Ziel führen, will die neue Landesregierung in der zweiten Hälfte der Wahlperiode eine landesrechtliche Regelung erlassen und die Maut noch vor Ende der Legislatur einführen. Die Koalition verspricht sich davon Einnahmen von 200 Millionen Euro, jeweils die Hälfte für das Land und die Kommunen.
Zunächst hatte die CDU aus Rücksicht auf Proteste der Wirtschaft die erweiterte Lkw-Maut abgelehnt. Am Ende der Koalitionsverhandlungen stimmte sie aber doch zu. Vor allem Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) habe eindringlich geschildert, welchen Schaden die Lastwagen am Asphalt verursachen. Der Baden-Württembergische Industrie- und Handelskammertag (BWIHK) hatte gewarnt, dass eine Maut auf Landes- und Kommunalstraßen die mittelständischen Unternehmen vor allem im ländlichen Raum zusätzlich belaste und benachteilige. Denn in anderen Bundesländern gebe es eine solche Maut nicht.
Die Grünen hatten ihre Position zur Lkw-Maut bereits im Landtagswahlprogramm offengelegt. Dort heißt es: "Im Liefer- und Lkw-Verkehr wollen wir die gesetzlichen Voraussetzungen für eine landesweite Lkw-Maut schaffen. So wollen wir auch dem wachsenden Online-Handel Grenzen setzen und den lokalen Einzelhandel stärken."
Die Zustimmung der CDU könnte auch daran liegen, dass ihr Klimaexperte und Fraktionsvize im Bundestag, Andreas Jung, schon vor längerem eine Ausweitung der Lkw-Maut ins Spiel gebracht hatte, um den Klimaschutz zu verbessern. Er hatte sich in der Diskussion um ein Klimaschutzgesetz im Sommer 2019 sogar für eine bundesweite Maut für Lastwagen ab 3,5 Tonnen auf allen Straßen eingesetzt. Die Einnahmen sollten in Schienengüterverkehr und öffentlichen Nahverkehr fließen, hatte er gefordert. Das Bundesverkehrsministerium hatte das damals aber abgelehnt.
Update: Sonntag, 2. Mai 2021, 14.45 Uhr
Hintergrund
Von Henning Otte
Stuttgart. Sieben Wochen nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg haben sich Grüne und CDU auf eine Neuauflage ihres Regierungsbündnisses geeinigt. Die grün-schwarze Koalition unter Führung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann will den
Von Henning Otte
Stuttgart. Sieben Wochen nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg haben sich Grüne und CDU auf eine Neuauflage ihres Regierungsbündnisses geeinigt. Die grün-schwarze Koalition unter Führung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann will den Südwesten zum "Klimaschutzland" machen, doch der coronabedingte Geldmangel in der Landeskasse erschwert den Start. Kretschmann sagte der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart: "Ich bin mit dem Koalitionsvertrag zufrieden. Wir haben uns in allen Kernbereichen geeinigt." Es sei ein "echter Aufbruch", auch wenn man wegen der schlechten Finanzlage Abstriche machen müsse. Am Mittwoch soll der Koalitionsvertrag der Öffentlichkeit vorgestellt werden, nächsten Samstag stimmen dann Parteitage von Grünen und CDU darüber ab.
Südwest-CDU wollte die Koalition unbedingt
Der bundesweit einzige grüne Regierungschef Kretschmann kann danach in seine dritte Amtszeit starten. Der 72 Jahre alte wertkonservative Politiker hatte sich vehement für eine Wiederauflage der Koalition mit der CDU stark gemacht, die bei der Landtagswahl klar unterlegen war. Dabei gab es in den Reihen der Grünen viele Stimmen für eine Ampel-Koalition mit SPD und FDP. Knapp fünf Monate vor der Bundestagswahl gab sich die Union um Landeschef und Bundesvize Thomas Strobl größte Mühe, um die Gespräche zu einem erfolgreichen Ende zu bringen. Dafür musste die CDU allerdings eine Reihe von schmerzhaften Zugeständnissen machen, vor allem beim Klimaschutz, in der Asyl- und Verkehrspolitik. So stimmte die CDU der Einführung einer Lkw-Maut auf Landes- und Kommunalstraßen zu.
Kretschmann geht bei Ministerien auf CDU zu
Strobl zeigte sich trotzdem zufrieden. "Wir haben in einem guten Klima, in einer richtig guten Atmosphäre die Gespräche mit dem grünen Partner sehr konstruktiv geführt", sagte der Innenminister der dpa. "Wir bilden eine Koalition, die ihrer Zeit voraus sein will - da ist es doch ein gutes Zeichen, dass wir sehr zügig und vor dem Zeitplan unser neues Kapitel für Baden-Württemberg ausbuchstabiert haben." Kretschmann schloss nicht aus, ein weiteres Ministerium zu schaffen. "Möglich ist alles", sagte der Grüne. Ein weiteres Ressort belaste den Haushalt nicht besonders. Auf diese Weise könnten die Grünen 6 Fachministerien besetzen und die CDU 5. Ansonsten hätte es ein Verhältnis von 6:4 gegeben.
Grün-Schwarz muss Abstriche und Stufenpläne machen
Grüne und CDU haben sich vorgenommen, in Klimaschutz, schnelles Internet und Nahverkehr sowie die Innovationsförderung zu investieren. Hinzu kommen Pläne für mehr Stellen bei Polizei und Schulen. Doch im Koalitionsvertrag soll so gut wie jedes Vorhaben, das Kosten nach sich zieht, mit einem Haushaltsvorbehalt belegt werden. Zudem soll es fast überall Stufenpläne geben. Das heißt, man finanziert den Einstieg und füttert dann nach, wenn die Steuerquellen wieder stärker sprudeln. Die Zeiten des "fröhlichen Geldausgebens" seien vorbei, hieß es in Grünen-Kreisen. Nach den jüngsten Prognosen fehlen in den nächsten drei Jahren jeweils etwa vier Milliarden Euro.
Drohen fünf Jahre Koalitionsverhandlungen?
Das birgt Konfliktpotenzial für die kommende Legislaturperiode, da die Partner auch unterschiedliche Prioritäten haben. So dringen die Grünen auf kräftige Investitionen in den Klimaschutz, während die CDU auf mehr Polizeistellen pocht. Die beiden Partner einigten sich aber auf ein Sofortprogramm, mit dem die Corona-Folgen für Schulen, Kultur und den Einzelhandel in den Innenstädten abgefedert werden sollen. Das Volumen solle erst nach der Regierungsbildung und der Steuerschätzung am 12. Mai festgelegt werden. Für das geplante Sofortprogramm, mit dem die coronabedingten Lernrückstände von Kindern und Jugendlichen ausgeglichen werden sollen, wollten Grüne und CDU ursprünglich bis zu 120 Millionen Euro ausgeben.
Kretschmann will Aufschwung der Erneuerbaren einleiten
Die erste Priorität der Grünen ist der Klimaschutz und der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Häuslebauer sollen zu Solaranlagen verpflichtet werden. Die Grünen wollen auch die Windkraft schneller ausbauen, nachdem es zuletzt gestockt hatte. 1000 neue Anlagen sollen entstehen, unter anderem in den Staatswäldern. Kretschmann sagte dazu der dpa: "Wir müssen ja insbesondere den Ausbau der Windkraft und der Fotovoltaik forcieren. Dafür brauchen wir kein Geld, weil wir die nicht selber bauen." Das bezahlten Investoren und Bürger. "Insofern wird der Aufschwung eingeleitet von uns, und das ist keine Geldfrage."
Dem Umweltverband BUND reicht das nicht. Die Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch kritisierte den geplanten Haushaltsvorbehalt beim Klimaschutz. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in dieser Woche habe klar gezeigt, dass der Kampf gegen den Klimawandel stark beschleunigt werden müsse. "Wir fordern die Landesregierung auf, Klimaschutz mutig anzupacken und nicht unter Vorbehalt zu stellen."
Bei Maut dreht CDU bei
Die Grünen setzten auch durch, dass gut integrierte Flüchtlinge künftig schwieriger abgeschoben werden können. Nach anfänglichem Widerstand ließ sich die CDU auch darauf ein, eine Mautpflicht für Lastwagen auf Landes- und Kommunalstraßen einzuführen. Kretschmann habe eindrücklich erläutert, warum Lkw über 7,5 Tonnen auf Dauer große Schäden an den Straßen anrichteten, hieß es. Bisher gibt es die Lkw-Maut nur für die Nutzung von Autobahnen und vierspurigen Bundesstraßen. Grün-Schwarz will sich zunächst dafür einsetzen, dass die Maut bundesweit kommt. Sollte dies nicht gelingen, soll sie nur im Land eingeführt werden.
FDP spricht von "Koalition der ungedeckten Schecks"
FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte, Grüne und CDU vertagten die wichtigsten Entscheidungen auf den Tag der Steuerschätzung. "Das ist eine Koalition der ungedeckten Schecks." Und: "Darüber hinaus hat die CDU nun auch ihre letzte Bastion geräumt und ist auch noch bei der Einführung einer Lkw-Maut auf Landes- und Bundesstraßen umgefallen.
Update: Samstag, 1. Mai 2021, 17.41 Uhr
Hintergrund
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Ab diesem Dienstag beugen sich die Kernverhandlungsteams von Grünen und CDU, angeführt von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl, über die Ergebnisse der zwölf Arbeitsgruppen
Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Ab diesem Dienstag beugen sich die Kernverhandlungsteams von Grünen und CDU, angeführt von Ministerpräsident Winfried Kretschmann und CDU-Landeschef Thomas Strobl, über die Ergebnisse der zwölf Arbeitsgruppen beider Parteien, die ihre Vorarbeiten für den Koalitionsvertrag beendet haben. Die Fachpolitiker haben dabei viel zu Papier gebracht, das meiste im Konsens, einiges auch im Dissens. Und fast alles unter dem Vorbehalt, dass die Finanzierung gesichert sein muss. Kretschmann, Strobl und Co. müssen daraus nun ein Gesamtpaket schnüren, möglichst bis Anfang kommender Woche. Einiges steht dennoch schon fest. Ein Überblick über wichtige Vorentscheidungen und noch offene Punkte in den Politikfeldern Klimaschutz, Bildung und Finanzen.
> Klimaschutz: "Direkt nach der Regierungsbildung werden wir ein Sofortprogramm für Klimaschutz und Energiewende auf den Weg bringen", heißt es in dem von den Umweltpolitikern beider Parteien vereinbartem, internen Textvorschlag. Die Kosten werden mit 200 Millionen Euro beziffert, das Sofortprogramm gilt als gesetzt. Entsprechende Maßnahmen sollen danach bereits "bis Ende 2021" umgesetzt respektive eingeleitet werden. Dazu zählen eine "Vergabeoffensive für die Vermarktung von Staatswald- und Landesflächen für die Windkraftnutzung" und der Ausbau von Freiflächen-Fotovoltaik entlang von Autobahnen, Zugstrecken und auf ehemaligen Mülldeponien. Bis 2026 sollen 1000 neue Windkraftanlagen errichtet werden; strittig ist indes noch der genaue Mindestabstand.
Bis Ende 2022 wollen Grüne und CDU zudem gesetzlich festlegen, dass mindestens zwei Prozent der Landesfläche für Windenergieanlagen und Fotovoltaikfreiflächenanlagen reserviert werden. Bis dahin soll auch eine Solarpflicht für neue Wohngebäude gelten. Geprüft werden soll, "inwieweit die mit PFC belasteten Gebiete im Raum Raststatt/Baden-Baden sowie Mannheim zukünftig von den Grundstückseigentümern für Freiflächen-PV genutzt werden können".
> Bildung: Die zentrale Formulierung der Bildungspolitiker lautet: "Es besteht Einigkeit, dass keine grundlegenden Strukturdebatten geführt werden." Dissens besteht aber über zwei Fragen, die an Strukturen rühren. So sind sich Grüne und CDU einig, dass das achtjährige Gymnasium die Regel bleiben soll. Unklar ist aber, ob die Ausnahme in Form von G9-Modellschulen Bestand hat. Die Grünen wollen das Modell beenden, die CDU will es fortführen. Klären müssen Kretschmann und Strobl zudem die auf Fachebene nicht zu lösende Frage, wie das Kräfteverhältnis Realschule und Haupt- bzw. Werkrealschule künftig austariert werden soll.
Um die Folgen der Pandemie aufzufangen, wollen Grüne und CDU ein "Lernlückenprogramm" auflegen. Dazu sollen neben pensionierten Lehrkräften, Studierenden und Lehramtsanwärtern auch externe Partner wie kommerzielle Anbieter einbezogen werden. Der Bund will für ein solches Programm Mittel zur Verfügung stellen, das Land rechnet mit zusätzlichem Landesgeld in Höhe von 120 Millionen Euro.
Die Kita-Gebühren sollen "nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von Familien gestaffelt" werden, darüber will man mit den Kita-Trägern verhandeln.
> Finanzen: Die Finanzpolitiker beider Seiten bekennen sich zur Einhaltung der Schuldenbremse, aber auch dazu, alle finanzpolitischen Entscheidungen "am Kriterium der Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels und der globalen Nachhaltigkeitsziele" auszurichten.
Die CDU-Seite schlägt vor, über alle Bereiche der Landesverwaltung hinweg 3000 Stellen zu sparen, dies soll durch die Digitalisierung, aber auch durch die Bündelung von Aufgaben erreicht werden. Die Grünen-Fachpolitiker tragen den Vorschlag nicht mit, erhoffen sich durch die Digitalisierung der Verwaltung aber ebenfalls Spareffekte. Die Grünen beziffern dies mit 200 Millionen Euro pro Jahr, die CDU mit bis zu 500 Millionen Euro. Auch haben die Grünen nach Informationen dieser Zeitung vorgeschlagen, die auf Bundesstraßen etablierte Lkw-Maut auch auf Landes- und Kommunalstraßen für Lkw mit mehr als 7,5 Tonnen Gewicht einzuführen. Die neue Maut könnte dem Land jährlich rund 100 Millionen Euro einbringen.
Strittig ist auch, ob das Land die Grundsteuer um eine Variante C erweitern soll. Damit könnten Kommunen Bauland mit dem Ziel verteuern, es für die Bebauung zu aktivieren. Die Grünen fordern eine solche Grundsteuer C, die CDU-Fachpolitiker sind dagegen.
Einen großen Ausgabenblock haben die Finanzpolitiker auch vereinbart: In der zweiten Hälfte der neuen Legislaturperiode sollen 300 Millionen Euro für die Sanierung der Unikliniken aufgewendet werden.