Rekordschulden im Nachtragshaushalt mit rechtlichem Risiko
Regierungsfraktionen beschließen milliardenschweren Nachtragshaushalt - Rechnungshof und Opposition zweifeln an Rechtmäßigkeit

Von Roland Muschel, RNZ Stuttgart
Stuttgart. Mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von Grünen und CDU wurde am Mittwoch im Landtag der zweite Nachtrag zum Doppelhaushalt 2020/21 beschlossen werden. Ein Überblick.
> Ausgaben: Die Ausgaben steigen in diesem Jahr auf die Rekordsumme von 60,5 Milliarden Euro, im kommenden Jahr werden es 52,6 Milliarden Euro sein. Damit hat der Doppelhaushalt ein Volumen von gut 113 Milliarden Euro. Die ursprüngliche Variante umfasste noch knapp 100 Milliarden Euro.
> Neuschulden: Der Anstieg der Ausgaben wird komplett kreditfinanziert. Im ersten Nachtrag hat das Land bereits 5 Milliarden Euro neue Schulden gemacht, nun kommen rund 8,5 Milliarden Euro dazu, sodass die Verschuldung um rund 13,5 Milliarden Euro anwächst. Das ist ein historischer Rekord für Baden-Württemberg, wird von anderen Ländern aber noch übertroffen. So ist Nordrhein-Westfalen bereit, sich infolge der Corona-Krise mit 25 Milliarden Euro zu verschulden, Bayern sogar mit bis zu 40 Milliarden Euro. In Baden-Württemberg nimmt die grün-schwarze Koalition den überwiegenden Teil der Kredite in diesem Jahr auf, einen kleineren im kommenden Jahr. Mit der neuen Kreditaufnahme in Höhe von 8,5 Milliarden Euro wird dreierlei bezweckt: Es werden erstens Steuermindereinnahmen in Höhe von 4,37 Milliarden Euro ausgeglichen, zweitens Rücklagen für weitere Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise in Höhe von 2 Milliarden Euro gebildet und drittens ein Stabilitätspakt für die Kommunen in Höhe von 2,19 Milliarden Euro finanziert.
> Investitionen: Von den kreditfinanzierten Rücklagen sind 1,2 Milliarden Euro für Maßnahmen reserviert, die die Regierung unter der Überschrift "Zukunftsland BW – Stärker aus der Krise" zusammengefasst hat. Weitere 800 Millionen Euro sollen als Reserve vorgehalten werden, um reaktionsfähig zu sein, falls die Pandemie heute noch nicht absehbare zusätzliche Ausgaben, etwa für die medizinische Versorgung, notwendig machen sollte. Größter Posten innerhalb des "Zukunftsprogramms" ist ein mit 300 Millionen Euro gespeistes branchenoffenes Innovations- und Investitionsprogramm. Konkret will das Land Anreize schaffen, damit Firmen ihre Forschungsaktivitäten erhöhen und vermehrt Innovationen bei Zukunftstechnologien wie Künstlicher Intelligenz auf den Markt bringen. Um die heimischen Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen, sollen zudem einzelbetriebliche Investitionen in neue Infrastruktur, Maschinen und Anlagen unterstützt werden. Ein weiterer Schwerpunkt des "Zukunftsprogramms" ist die Stärkung des Gesundheitsstandorts mit insgesamt knapp 300 Millionen Euro.
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> Schuldentilgung: Den Zeitraum für die Tilgung der neuen Schulden wollten CDU und Grüne, beginnend ab dem Jahr 2024, von bislang 10 auf 25 Jahre strecken. Hintergrund ist, dass die seit diesem Jahr wirksame Schuldenbremse den Ländern nur Ausnahmefällen die Aufnahme neuer Kredite zugesteht, diese dafür aber auch sofort einen Tilgungsplan vorlegen müssen.
> Kritik: Der Rechnungshof Baden-Württemberg sieht Teile des Investitionsprogramms kritisch, da nicht bei allen Maßnahmen ein Bezug zur Pandemie-Bekämpfung erkennbar sei. Dies gelte etwa für die Digitalisierung des Straßenbaus oder die Holzbauoffensive. Bei der Tilgungsfrist von 25 Jahren zweifeln die obersten Kassenprüfer des Landes sogar die Rechtmäßigkeit an. Sie halten maximal 15 Jahre für vertretbar.
> Klage: Die Oppositionsfraktionen im Landtag stören sich vor allem daran, dass Grün-Schwarz für die Ausnahme vom grundsätzlichen Schuldenverbot erneut eine Naturkatastrophe feststellen will. Das kann sie mit einfacher Mehrheit im Landtag tun. Dagegen wäre für die Feststellung einer Notsituation eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig. Die AfD hat deshalb bereits eine Verfassungsklage angekündigt. SPD und FDP wollen gemeinsam ein Gutachten in Auftrag geben, um sich ebenfalls für einen möglichen Gang vor den Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg zu munitionieren.