Kanzleramtsminister Peter Altmaier im RNZ-Interview

"Es gibt keinerlei Notwendigkeit für CDU-Wähler, der FDP eine Stimme zu leihen"

"CDU hat keine Stimme zu verschenken" - Digitalisierung soll nächste Legislatur "Chefsache" werden

18.09.2017 UPDATE: 19.09.2017 06:00 Uhr 4 Minuten, 56 Sekunden

"Unser Ziel ist es, die Arbeitslosigkeit bis 2021 noch einmal zu halbieren", sagt Peter Altmaier. Dafür müsse aber die Digitalinfrastruktur stehen. Foto: Pfeifer

Von Sören S. Sgries

Wiesloch. Wahlkampftermin im Wieslocher "Flora-Park": Das gefällt dem bekennenden Gartenfreund Peter Altmaier (59, CDU). Hier zeigt er auf ein Pflänzchen, dort auf einen Baum - kennt er alles! Der amtierende Kanzleramtsminister, der in der letzten Legislatur als Umweltminister noch die Energiewende verantwortete, hat aber auch einen scharfen Blick für die technischen Zukunftsthemen.

Herr Altmaier, Sie galten als einer der großen "Digitalkönige" der CDU – weil Sie früh Twitter nutzten. Inzwischen sind Sie digital etwas kürzer getreten. Präsentiert sich auch Ihre Partei, Ihre Regierung zu zurückhaltend?

Wir haben einiges erreicht, vor allem was die Versorgung mit schnellem Internet angeht. Aber wir müssen besser werden. Wir müssen erkennen, dass von der erfolgreichen Bewältigung der Digitalisierung die Zukunft des Industrie- und Wirtschaftsstandorts Deutschland abhängig ist. Unser Versprechen ist: Der Aufbau neuer Arbeitsplätze, die Schaffung von mehr Wohlstand und Gerechtigkeit geht dann weiter, wenn wir auch in der Digitalisierung erfolgreich sind.

Die Kanzlerin kündigt für ihr künftiges Kabinett einen eigenen Staatsminister für Digitales an. Klingt, als habe man Versäumnisse erkannt.

Die Zuständigkeiten sind derzeit auf drei Ressorts aufgeteilt – das Wirtschafts-, das Verkehrs- und das Innenministerium. Wir werden auch in Zukunft nicht alles zentral zusammenfassen können, dazu ist das Thema zu groß und zu vielfältig. Es muss aber eine bundesweite Koordinierung stattfinden, die auch die Länder und Kommunen mit einbezieht. Wir wollen die modernste öffentliche Verwaltung in Europa, einen radikalen Abbau von Bürokratie. Das wird nur gehen, wenn Digitalisierung Chefsache ist.

Wo muss sich die Bundesregierung zuerst reinknien?

Wir wollen bis 2025 einen bundesweiten Ausbau mit Glasfaserkabel. Wir wollen vorrangig alle Schulen ans schnelle Internet anschließen. Wir wollen eine Bildungs-Cloud für alle Schüler, weil die Bildungspolitik dringend verbessert werden muss. Wir wollen mehr Lehrerbildung. Und ein Bürgerportal, damit die Bürger alle Angelegenheiten – mit Ausnahme von Geburt, Eheschließung, Scheidung und Tod – digital vom Wohnzimmer aus erledigen können.

Wir sind in einem Wahlkreis, der weit in den ländlichen Raum ausgreift. Private Anbieter haben wenig wirtschaftliches Interesse, kleine Dörfer anzubinden.

Ja. Ich ärgere mich auch schwarz, wenn ich sehe, dass die Mobilfunkbetreiber mit dem steigenden Internet- und Handyverkehr nicht nachkommen. Das wird anders, wenn wir 5G-Internet haben. Wir werden auch erleben, dass ein weiteres wirtschaftliches Wachstum, nur geht, wenn wir verstärkt Arbeitsplätze in die Fläche bringen. Unser Ziel ist es, die Arbeitslosigkeit bis 2021 noch einmal zu halbieren. Das bedeutet noch einmal vier Millionen neuer Arbeitsplätze. Schnelles Internet muss dafür verfügbar sein.

Der Staat baut Glasfasernetze?

Er baut sie nicht, aber er finanziert. Wir haben in den letzten drei Jahren keine neuen Schulden gemacht und trotzdem rund 100 Milliarden Euro mehr investiert – beachtlich viel Geld davon für das schnelle Internet von 30 bis 50 Mbit. Wir werden mit den Bundesländern darüber sprechen, wie die weitere Förderkulisse dafür aussehen soll.

Welche Summen haben Sie dafür im Blick?

Natürlich habe ich Ideen. Aber klären muss es der neue Haushaltsgesetzgeber. Der Finanzminister hat  für Zukunftsaufgaben immer Geld zur Verfügung gestellt.  Es wird am Geld nicht scheitern.

Ihr zweiter Punkt, die Digitalisierung an den Schulen, ist eigentlich Länderaufgabe.

Wir haben mit Sicherheit die Möglichkeit, schnelles Internet für Schulen, Universtäten und Fachhochschulen zu finanzieren, weil es sich dabei um Kommunikationsinfrastruktur handelt. Wir können eine Bildungscloud finanzieren. Es ist Sache der einzelnen Länder, ob sie sich daran beteiligen und diese nutzen. Lehrerbildung ist in der Tat Ländersache.

Auffällig ist: Sie sprechen nicht vom Tablet-Klassensätzen für jeden Schüler.

Warten wir ab. Telefónica, das größte spanische Telekommunikationsunternehmen, verteilt Hundertausende von Tablets an Kinder in Süd- und Mittelamerika, in Afrika. Was dort als sinnvolles Mittel der Entwicklungszusammenarbeit gesehen wird, muss erst recht für unsere Schulen gelten. Die Ausstattung mit den modernsten Lernmitteln ist für mich selbstverständlich.

Die Länder-Kultusminister fürchten eines: Was müssen sie an Kompetenzen abgeben, um Geld zu bekommen?

Wir haben in der letzten Legislaturperiode enttäuschende Erfahrungen machen müssen. Die Finanzierung des Bafög komplett durch den Bund haben einige Länder genutzt, um ihre eigenen Anstrengungen für Universitäten zurückzufahren. Auch bei den zusätzlichen Mitteln für den sozialen Wohnungsbau hat das nicht die erwünschten Folgen gehabt. Wir werden also sicherstellen müssen, dass das Geld vor Ort ankommt und sinnvoll genutzt wird. Mit der von der SPD vorangetriebenen Lockerung des Kooperationsverbotes ist es jedenfalls nicht getan.

Bekennen Sie sich eigentlich zum Föderalismus.

Ich bin ein überzeugter Förderalist – ich komme aus dem großen Bundesland Saarland! Otto von Bismarck hatte Recht, als er sagte, dass der Föderalismus dann am besten funktioniert, wenn es große und kleine Bundesländer mit unterschiedlichen Voraussetzungen gibt. Wir rufen immer bei Problemen nach Zentralisierung. Im internationalen Vergleich sind aber föderale Staaten die erfolgreicheren.

Flüchtlingspolitik ist im Laufe der Legislatur, etwas überraschend, Ihr Thema geworden. Sehen Sie Deutschland auf dem richtigen Weg?

Wir haben in den letzten anderthalb Jahren in allen Bereichen der Flüchtlingskrise große Fortschritte gemacht – bei der Versorgung der Flüchtlinge in ihren Herkunftsländern, bei der Abarbeitung der Asylanträge. Jetzt steht die Rückführung derjenigen an, die kein Bleiberecht haben. Hier bin ich enttäuscht vom Koalitionspartner SPD. Mit der Einstufung der Maghrebstaaten Marokko, Tunesien und Algerien als Sichere Herkunftsländer hätte man erreichen können, dass weitaus weniger Menschen aus diesen Ländern zu uns kommen.

Und in der Integration?

Für diejenigen, die bleiben, ist es ganz entscheidend, dass sie Deutsch lernen, damit keine Parallelgesellschaften entstehen, und dass die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Viele von ihnen sind bereits in Arbeit, vielfach auch als ungelernte Kräfte, weil die Sprachkenntnisse für eine weitere Ausbildung noch nicht reichen. Andere haben beeindruckend schnell Deutsch gelernt. Wenn wir die Weichen richtig stellen, werden wir deutlich weniger Integrationsprobleme haben, als bei der Bewältigung des Gastarbeiter-Zuzugs in den 60er-Jahren.

Sie blicken also mit Zuversicht in die Zukunft?

Ja. Unter der Voraussetzung, dass man auch bereit ist, deutliche Erwartungen der Integration zu formulieren. Wir wollen zum Beispiel, dass von Wohnsitzauflagen Gebrauch gemacht werden, damit die Flüchtlinge nicht in die großen Städte ziehen und dort Parallelgesellschaften bilden. Sie brauchen einen intensiven Kontakt mit unseren Bräuchen.

Kritisch könnte man auf Kooperationen mit fragwürdigen Regimen schauen – nicht nur in der Türkei, auch in Libyen, im Maghreb.

Ich verstehe die Kritiker nicht. Dass wir uns weder vom türkischen Staatspräsidenten noch von irgendwem anderen abhängig machen, können Sie an den Handlungen der Bundeskanzlerin sehen. Wir haben die Aufnahme von Verhandlungen zur Zollunion gestoppt. Wir vertreten unsere nationalen Interessen auch gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten in jeder Situation.

Zum Abschluss ein Blick auf die kleineren Parteien: Gibt es noch irgendwelche Koalitionshindernisse?

Vor allen Dingen ist es so, dass wir dafür kämpfen, dass die CDU mit großem Abstand stärkste Partei wird. Wir leben in einer schwierigen internationalen Lage. Da brauchen wir eine handlungsfähige Regierung mit Autorität nach außen. Ein überzeugender Wahlsieg Angela Merkels wird die Position Deutschlands gegenüber der Türkei, gegenüber Russland, gegenüber den USA wesentlich stärken. Die CDU hat keine Stimmen zu verschenken. Wir kämpfen für beide Stimmen für die CDU – zumal die FDP sicher im nächsten Bundestag vertreten sein wird. Ebenso wie Grüne und Linke.

Haben Sie eine "Wunsch-Nr. 3"?

Nein. Ich halte diese Debatte für nebensächlich.

Zweitstimme für die FDP haben Sie …

Ausgeschlossen.

Also knüpfen Sie den Wahlkampf 2013 an, der die FDP aus dem Bundestag gestoßen hat?

Ich lege großen Wert darauf, dass nicht unser Wahlkampf die FDP aus dem Bundestag gekickt hat, sondern Fehler, die im eigenen Laden gemacht wurden. Es war damals sehr knapp. Dieses Mal ist es ganz sicher, dass die FDP im Bundestag vertreten sein wird. Deshalb gibt es keinerlei Notwendigkeit für CDU-Wähler, der FDP eine Stimme zu leihen.