Warum bei der geplanten Fusion der Unikliniken nichts gut ging
Längst hätten die Unikliniken fusionieren können. Das wissenschaftliche Potenzial ist so exzellent wie sonst nirgendwo in Deutschland.

Von Klaus Welzel
Heidelberg/Mannheim. Hochfliegende Hoffnungen im Oktober 2020. Eine Klinik "größer als die Berliner Charité" war geplant. Eine Allianz der besten Forschungseinrichtungen. "Wir wollen weltweiter Leuchtturm in den Lebens- und Gesundheitswissenschaften werden", frohlockte Heidelbergs Uni-Rektor Prof. Bernhard Eitel. Von 2022 an messe sich die Region nicht mehr mit Berlin, München oder London, sondern mit global führenden Standorten wie Boston oder Toronto. Wenn alles gut geht.
Nichts ging gut. Das wissen die Beteiligten heute.
Dabei schien die Vision vor 15 Monaten durchaus berechtigt. Schließlich hatte das von der Grünen Theresia Bauer geführte Wissenschaftsministerium im Sommer 2020 den Auftrag erteilt, ein Konzept zu erarbeiten. Ein Konzept, das zum einen hilft, das finanziell klamme Klinikum der Stadt Mannheim endgültig unter das Dach der Heidelberger Universitätsklinik zu führen – und ein Konzept, das die in der Kurpfalz vorhandene wissenschaftliche Kompetenz bündelt.
Und davon gibt es einiges. So beherbergt Heidelberg mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) das einzige Helmholtz-Zentrum in ganz Baden-Württemberg. Ein nationaler Player von weltweitem Rang, der unter anderem den Nobelpreisträger Harald zur Hausen hervorbrachte. Nicht minder renommiert das Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg und das ebenfalls hier ansässige Max-Planck Institut für medizinische Forschung. Mannheim wiederum weist das exzellente Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) aus, und die beiden Medizinischen Fakultäten in Heidelberg und Mannheim leisten hervorragende Forschungsarbeit. Heidelbergs Medizinfakultät belegte im "Times Higher Education World University Ranking 2020/2021" zum fünften Mal in Folge Platz 1 in Deutschland, die Lebenswissenschaften stehen auf Rang 5.
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Nach oben ist da kaum noch Luft. Es sei denn, es fließt viel Geld – und es gibt endlich eine Grundsatzentscheidung. Eine Entscheidung, ob das grün-schwarz regierte Land Baden-Württemberg bereit ist, den "Innovationscampus Rhein-Neckar" mit der damit einhergehenden "Heidelberg – Mannheim Health and Life Science Alliance" zu unterstützen und zu finanzieren. Aber diese Grundsatzentscheidung fällt und fällt nicht.
Wieso nicht? Darüber gibt es unterschiedliche Aussagen. Die RNZ hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Gespräche mit den Beteiligten geführt. Das Fazit ist ernüchternd. Im Oktober 2020 ging man in der Kurpfalz noch von einer Grundsatzentscheidung "in wenigen Wochen" aus. Doch passiert ist seither nichts. Heute lautet der einhellige Tenor: Das Projekt soll offensichtlich durch Nicht-Entscheidung ausgehebelt werden. Vor allem das Stuttgarter Sozialministerium, geführt vom Grünen-Minister Manne Lucha, steht unter Bremser-Verdacht.
Die Stimmung in der Kurpfalz erreicht ob der Aufschieberitis bereits Depressionsniveau: "Wenn diese Life Science Alliance zwischen Stuttgart und Tübingen geplant wäre, hätten wir schon nach zwei Monaten das Go bekommen", klagt einer der Initiatoren. Er steht mit diesem Urteil nicht alleine da: "Ich muss leider feststellen, dass man in Stuttgart die Kurpfalz oftmals ignoriert". Und das, so ein Weiterer, "mit System". Jahrzehntelang sei es mit den Schwarzen ein ewiger Kampf um Unterstützung gewesen, "jetzt verweigern die Grünen den Blick über den Spätzle-Äquator hinaus", sagt einer, der das politische Geschäft in beiden Landesteilen sehr gut kennt.
Vordergründig geht es erst einmal um die Fusion der beiden Unikliniken Heidelberg und Mannheim. Die Fusion gilt als "Booster" der gesamten Allianz. Ohne das künftige Großklinikum macht das Vorhaben kaum Sinn. Schließlich geht es um eine Spitzenstellung des Innovationscampus Rhein-Neckar. Und sowohl in der Forschung als auch im internationalen Wettbewerb gilt: "Big is beautiful" – die Größe ist der entscheidende Faktor!
Damit das Klinikum Mannheim endgültig unter das Heidelberger Dach schlüpfen kann (die Medizinische Fakultät ist bereits seit 2007 Heidelberg zugeordnet), bedarf es zahlreicher rechtlicher Hebel. Eine der Hürden: Das stark renovierungsbedürftige städtische Universitätsklinikum muss neu gebaut werden. Man solle in der Quadratestadt "mutig und groß planen", hieß es aus dem Sozialministerium. Gesagt, getan. Im Mai startet der Architektenwettbewerb für den Klinikcampus Neue Mitte. Die geschätzten Kosten belaufen sich jetzt auf knapp 900 Millionen Euro (ohne Inflationszuschlag und finanziellen Puffer). Das Land muss fördern. Rund 600 Millionen Euro aus dem Kommunalen Investitionsfonds wären drin. Doch wessen Haushalt wird im Falle einer Fusion belastet?
In Mannheim ging man irrtümlicherweise davon aus, das Sozialministerium würde sich freuen, für den geplanten Neubau im Falle der Fusion nicht mehr gerade stehen zu müssen. Doch statt Zustimmung kommen aus der Landeshauptstadt Bedenken. Und unglaublich viele Nachfragen, über deren Sinn sich die Initiatoren in Heidelberg und Mannheim nur wundern. Einer sagt zur RNZ: "Wir haben die Ferien durchgearbeitet. Aber es entstand bei uns der Eindruck, die vielen Anfragen sollten nur die Bürokratie am Laufen halten. Gebracht hat das alles nichts". Das Haus von Sozialminister Manne Lucha monierte: Es gebe schon so zu viele Krankenhausbetten im Raum Heidelberg-Mannheim.
Ein Einwand, auf den das Universitätsklinikum Heidelberg und die hiesige Medizinische Fakultät in einem zehnseitigen Papier eingehen. Es wurde an die Entscheidungsträger geschickt und liegt der RNZ vor. Das "Medizinische Zukunftskonzept zur Universitätsmedizin Heidelberg mit Campus Heidelberg und Campus Mannheim" schlägt eine Reduzierung der Mannheimer Klinikbetten von heute 1352 auf 890 bis maximal 1050 Betten vor. Grund: Heidelberg lebt bereits eine erfolgreiche Kooperation mit den Kliniken des Rhein-Neckar-Kreises – daran soll nicht gerüttelt werden.
Im Rahmen eines "Hub-and-Spoke-Modells", das man sich als ein Rad mit einer zentralen Nabe (Hub) und davon ausgehenden Speichen (Spoke) vorstellen muss, wäre die Universitätsmedizin Heidelberg der "Maximalversorger", also die zentrale Nabe. Doppelstrukturen innerhalb der beiden Universitätskliniken würden abgebaut (wobei man sich in Heidelberg wundert, dass die Mannheimer Fakultät munter Ordinarien nachbesetzt – als gebe es keine Fusionspläne). Die kleineren Partnerkliniken, von denen auch Mannheim einige hat, wären nach diesem Modell die Speichen. Motto: die schweren Fälle an das Uniklinikum, die Standardoperationen an die anderen Häuser. Die Autoren des Papiers sind vom Erfolg ihres Konzepts überzeugt: "Eine Blaupause für ganz Deutschland".
Doch was, wenn das Land Nein sagt – oder durch die ewige Verzögerung die Fusion verhindert wird?
Diese Gefahr ist groß. Mannheim geht das Geld aus. Das Klinikum erfordert jährlich hohe Zuschüsse; seit 2017 musste die Stadt rund 170 Millionen Euro aufbringen – mal, um Verluste auszugleichen, mal für Investitionen. Zuletzt schlug Corona ins Kontor, weshalb die Stadt in einem Brief an den Ministerpräsidenten darum bittet, dass das Klinikum, so wie die vier Landesunikliniken, unter den Schutzschirm darf.
Bisher verhandelte die Stadt Mannheim ausschließlich mit dem Land Baden-Württemberg, um die Klinikkosten in den Griff zu bekommen. Jetzt wird allmählich ein Punkt erreicht, wo auch ein privater Investor ins Spiel kommen könnte – oder besser: müsste. Als abschreckendes Beispiel gilt hier das Universitätsklinikum Gießen-Marburg – neben Mannheim bundesweit das einzige privatbetriebene Universitätsklinikum –, das 2006 von der Rhön-Kliniken AG übernommen wurde. Mit verheerenden Folgen.
Erst klagten 500 der knapp 10.000 Beschäftigten bis vors Bundesverfassungsgericht, dass ihnen der Status der öffentlich-rechtlichen Beschäftigung nicht einfach so genommen werden dürfte. Dann stellte der Deutsche Hochschulverband 2013 fest: "Die Privatisierung ist gescheitert". Das Klinikum mit seinen zwei Standorten und seinen 1146 Betten soll wieder an die öffentliche Hand gehen, so fordern es 18.000 Unterzeichner in einer Petition an das Land Hessen, die Anfang November übergeben wurde.
Keine schöne Vorstellung, dass auch Mannheim in private Hände ginge.
Doch wie steht nun Stuttgart zu dem Projekt Klinikfusion? Schwer zu sagen. Die RNZ klopfte beim Finanzministerium des Grünen-Ministers Danyal Bayaz an – dort machte man komplett dicht, lieferte aber die angefragten Zahlen, welche Landesuniklinik wieviel Geld erhalte. Die RNZ-Anfrage beim Sozialministerium lief dagegen völlig ins Leere. "Aus Datenschutzgründen" will man nicht einmal verraten, wieviel Geld jährlich ins Klinikum Mannheim fließt (wenig). Ein Sprecher verweist außerdem auf Gespräche "innerhalb der Landesregierung" und mit allen Akteuren, deren Ergebnis man "nicht vorgreifen" wolle. Wenigstens das ist glaubwürdig. RNZ-Informationen zufolge stimmen sich am heutigen Freitag das Sozialministerium, das Wissenschaftsministerium, das Finanzministerium und das Staatsministerium, das die Geschäfte von Ministerpräsident Winfried Kretschmann organisiert, zum Thema Klinikfusion ab.
Ob da viele Befürworter zusammenkommen, darf allerdings bezweifelt werden. In Mannheim wurde mit Schrecken notiert, dass aus dem Kretschmann-Umfeld bei einer Erörterung die Idee eines "Großklinikums Baden-Württemberg" in den Raum geworfen wurde. Eine Idee, die den Bedenken Rechnung tragen soll, dass bisher vier Unikliniken Landesgelder erhalten. Mit Mannheim käme zwar keine fünfte Uniklinik hinzu, doch Heidelberg hätte durch die Fusion Anspruch auf einen höheren Anteil. Es geht beim Mega-Projekt Klinikfusion samt "Health and Life Science Alliance" auch um "harte Verteilungsfragen", so sieht man das in Heidelberg und in Mannheim.

Die Autoren des Heidelberger Zukunftskonzepts werben deshalb mit Engelszungen, dass mit der Fusion alle vier Universitätsmedizin-Standorte im Land "entscheidend gestärkt werden". Aber nur Heidelberg hat mit seiner wissenschaftlichen Infrastruktur gemeinsam mit Mannheim die Potenz, international die Spitzenliga zu dominieren. Neben den erstklassigen Ranking-Positionen und wissenschaftlichen Preisen spielen die vielen Uni-Ausgründungen eine Rolle, die Großkonzerne SAP, Merck, Roche, BASF – und die spendablen Mäzene. Apropos: Beim "Kasse machen" kam heraus, dass Stuttgart regelmäßig in Heidelberg eingeworbene Drittmittel als Landesmittel ausweist, was buchhalterisch zwar zulässig ist, aber natürlich in die Irre führt. Die anderen Unikliniken wunderten sich, wieso "so viel Geld" von Stuttgart nach Heidelberg fließt. Von wegen.
Noch ein Heidelberger Pfund: Laut einer Arbeitsmarktanalyse der Unternehmensberatung McKinsey gehört die Stadt am Neckar zu den Top 46 in Europa, steht als "Superstar Hub" auf einer Stufe mit Metropolen wie Brüssel, Mailand oder Berlin. Oberbürgermeister Eckart Würzner kommentierte nicht ohne Stolz: "Die Studie bescheinigt dem Standort Heidelberg eine sehr gute Entwicklung seit dem Jahr 2007".
Theresia Bauer weiß um die wirtschaftliche und die wissenschaftliche Potenz der gesamten Region. Die Ministerin ist zugleich Grünen-Landtagsabgeordnete für Heidelberg. Bei der Vorstellung der Pläne im Oktober 2020 sagte sie deshalb kurzfristig ab – quasi, um nicht als befangen zu gelten. Und heute? Gegenüber der RNZ bestätigte die Ministerin in einer Stellungnahme, dass derzeit hinter den Kulissen beraten werde. Sie sei "überzeugt, dass der Gesundheits-Innovationcampus im Raum Heidelberg-Mannheim ein überragendes Potenzial hat". Und: "Eine ungewisse Zukunft der Universitätsmedizin mitten im Innovationscampus gefährdet die Strahlkraft des Vorhabens auf Dauer". Scheint so, als habe die Ministerin das Heidelberger Konzept nicht nur gelesen, sondern auch für gut befunden. Dann wäre ja alles in Butter – für den Fall, dass sich Bauer durchsetzt. Die letzten 15 Monate reichten dazu jedenfalls nicht.
Bei den Anfragen der RNZ wird klar, dass man in Stuttgart jeglichen Eindruck vermeiden will, der Nordwesten des Landes würde benachteiligt. Doch mitten in die Recherchen platzt die Nachricht, welche Universität eine Graduiertenförderung erhält: In Tübingen schaffen es vier Doktoranden in das Eliteprogramm, in Heidelberg einer – obwohl die hiesige Uni deutlich größer ist.
Womöglich alles Zufälle. Womöglich stimmt es aber, was einer der hiesigen Akteure sagte: "In Stuttgart sehen sie einfach nicht, wie großartig diese Region ist".



