Plus Aleida und Jan Assmann beim RNZ-Forum

Begegnen sich zwei kluge Köpfe auf Augenhöhe (plus Video/Podcast)

Aleida und Jan Assmann nutzten die Bühne des RNZ-Forums zur besten Unterhaltung. Es war eine Premiere für das Forscher-Paar.

04.04.2023 UPDATE: 04.04.2023 20:30 Uhr 3 Minuten, 38 Sekunden
Bis auf den letzten Platz ausgebucht war das RNZ-Forum im historischen Theatersaal: Aleida und Jan Assmann im Gespräch mit RNZ-Chefredakteur Klaus Welzel. Foto: Joe

Von Daniel Schottmüller

Heidelberg. Sie teilen sich einen Nachnamen, 55 Ehejahre, fünf Kinder, den Ruf als Koryphäen der Wissenschaft, das große Bundesverdienstkreuz mit Stern und sogar den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Was Aleida und Jan Assmann sich aber noch nie geteilt haben, ist eine Bühne, auf der sie von ihrem Leben zu zweit erzählen können. Höchste Zeit, das zu ändern! Und so begrüßt Chefredakteur Klaus Welzel die 76-Jährige und ihren acht Jahre älteren Ehemann am Montagabend umso herzlicher zum RNZ-Forum im Heidelberger Theater.

Kein unpassender Ort. Denn: "Ihre Geschichte ist zumindest in Teilen eine Heidelberger Geschichte", betont Welzel gleich zu Beginn des nicht nur in dieser Beziehung unterhaltsamen Abends. Aleida Assmann nickt zustimmend. Beide Familien seien ungefähr zeitgleich in der Neckarstadt angekommen, als Aleida und Jan noch Kinder waren. Kennen- und lieben lernen sollten sie sich aber erst an der Uni.



 

Sie brachte ihm die Beatles näher, er ihr die Mythen und Hieroglyphen des Alten Ägyptens. Dass sie in die Fußstapfen ihres Partners folgte, sei eher der Leidenschaft für ihn als der für die Ägyptologie geschuldet gewesen, gibt Aleida Assmann unumwunden zu. Die "Fron", in Mini-Seminaren mit nur zwei Teilnehmern zu sitzen ("man wurde ständig aufgerufen"), nahm sie allerdings nicht aus blinder Verliebtheit auf sich. Eher schwebte dem Paar eine Beziehung vor, wie sie Aleida Assmanns Eltern – zwei Theologen – vorgelebt hatten: ein intellektueller Austausch auf Augenhöhe, inspirierend für beide.

Und tatsächlich sorgt diese Dynamik bis heute dafür, dass Aleida und Jan Assmann "Meilensteine in der Wissenschaft setzen", wie Welzel es im Theatersaal treffend formuliert. Am Anfang ihrer Karrieren ist das mit den Steinen sogar wörtlich zu verstehen. "Es war das Grab der Chefsekretärin der Gottesgemahlin", erinnert sich Jan Assmann augenzwinkernd an die erste gemeinsame Ausgrabung in Ägypten. Aleida habe damals eine neue Technik entwickelt, die dabei half, das Grabfragmente-Puzzle zusammenzusetzen, erzählt er stolz. Selbst als Sohn Vincent auf die Welt kam, gab die junge Mutter dem Projekt noch entscheidende Impulse – über Tausende Kilometer hinweg, vom Heidelberger Wohnzimmer aus.

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Wie modern sie ihre eigene Beziehung einstufen würden, möchte Welzel von seinen Gästen wissen. "Irgendwo zwischen dem, was unsere Eltern uns vorgelebt haben und dem, was unsere Kinder heute mit ihren Partnern leben", verortet sich Aleida Assmann. Sie lobt ihren Mann, der ein Händchen für Grießbrei hat und früher auch mal hinterm Herd aushalf, um die siebenköpfige Familie mit Spaghetti zu versorgen. Dass der Ägyptologe aber aus Rücksicht gegenüber Frau und Kindern auf Kongresse oder Forschungsreisen verzichtet hätte: damals undenkbar.

Am liebsten arbeiten die Assmanns sowieso am gleichen Ort. "Beim Frühstück besprechen wir uns, danach schreibt jeder für sich", erklärt Jan Assmann den Prozess. Die roten Anmerkungen des anderen, die man später in der eigenen Textdatei wiederfindet, sind für Aleida Assmann, die längst auch die Anglistik, Literatur- und Kulturwissenschaft für sich entdeckt hat, Gold wert. Er – ganz der Gentleman – betont wiederum, seine Bewunderung für die eigene Gattin sei so groß, dass er kaum mehr als ihre Orthografie korrigieren könne.

Hintergrund

Aleida Assmann über ...

> ... die Heimat ihrer Kindheit: "Wenn ich mich in Heidelberg auf eine Parkbank setze, kenne ich höchstwahrscheinlich den jeweiligen Stifter, dessen Name dort eingraviert ist."

> ... alte Bekannte: "Ich

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Aleida Assmann über ...

> ... die Heimat ihrer Kindheit: "Wenn ich mich in Heidelberg auf eine Parkbank setze, kenne ich höchstwahrscheinlich den jeweiligen Stifter, dessen Name dort eingraviert ist."

> ... alte Bekannte: "Ich treffe mich regelmäßig mit acht Freundinnen, die zusammen mit mir die erste Volksschulklasse in Heidelberg besucht haben. Zuletzt sind wir in Konstanz und Halle an der Saale zusammengekommen."

> ... Vorbilder: "Ich hatte das Glück, drei große Heidelberger Persönlichkeiten näher kennenzulernen: Hans-Georg Gadamer, Hilde Domin und Helm Stierlin."

> ... die Arbeit mit ihrem Mann Jan: "Es ist unglaublich konstruktiv, was da zwischen uns passiert!"

> ... Israels Regierung: "Nicht jede Israelkritik muss eine Infragestellung des Existenzrechts Israels bedeuten."

> ... Putins Russland:"Eine Staatsmacht kann keine Kultur schaffen."

Jan Assmann über ...

> ... Papst Benedikts Kritik: "Man freut sich, dass man so ernst genommen wird."

> ... den Monotheismus: "Das Christentum ist mit seinen Ketzern ganz besonders brutal umgegangen!"

> ... den Polytheismus: "Polytheistische Religionen erkennen ihre Götter in den Göttern der anderen wieder."

> ... aktuelle Kulturdebatten: "Ich finde es nicht richtig, dass die Kritik an Putin auf die russische Kultur übertragen wird."

> ... junge Menschen: "Die Studierenden sind im Laufe der Zeit anspruchsvoller geworden. Diese kritische Form der Partizipation ist etwas Neues und Gutes."

> ... Mozarts berühmteste Oper: ",Die Zauberflöte‘ spielt gar nicht in Ägypten, sondern in einem Freimaurerpark, wie man ihn in Schönau, in der Nähe von Wien antrifft."

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Die zweite Hälfte des Bühnen-Talks ist dann ganz konkret den Inhalten gewidmet, die das mittlerweile seit 30 Jahren in Konstanz lebende Ehepaar weltweit berühmt gemacht haben. Für ihre Theorie rund um das kulturelle Gedächtnis entschlüsselten die Assmanns etwa, welche Rolle Rituale, Mythen, Bilder und Texte bei der Identitätsbildung von Gruppen spielen. Insbesondere die Schrift hat es Jan Assmann angetan. Beim RNZ-Forum freut er sich darüber, dass die "nur" aus 800 Zeichen zusammengesetzten Hieroglyphen so "einfach zu lesen" sind. Lacher im Publikum.

Trotz ihrer Liebe zum Geschriebenen verurteilt das Forscherpaar jedoch jene europäische Überheblichkeit, die oral geprägte Kulturen als minderwertig abtut. "Das ist ein rassistisches Vorurteil, das tief in die Forschungsgeschichte eingeschrieben ist", betont Aleida Assmann. Denn mit "Heiligen Schriften" , die die Offenbarungen des einen Gottes festhalten, kam auch die Ausgrenzung von Abweichlern. Historisch betrachtet habe der Monotheismus für "Heiden" meist nur Intoleranz und Abscheu übrig, so Jan Assmann. Der 84-Jährige glaubt, dass wir verlernt haben, so wertschätzend in die Welt zu blicken, wie es einst im Polytheismus üblich war. Seine Frau widerspricht: "Gerade im Umgang mit der Natur sind wir dabei umzulernen." Aleida Assmann beobachtet eine neue Sensibilität für den Wert unserer Umwelt.

Hintergrund

Abendessen bei Assmanns

Beim RNZ-Forum erzählen Aleida und Jan Assmann auch von einem besonders amüsanten Geschenk, das ihnen zum 25. Hochzeitstag beschert wurde: ein Film, in dem ihre Kinder sie genussvoll durch den Kakao ziehen. Als "Meisterwerk der

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Abendessen bei Assmanns

Beim RNZ-Forum erzählen Aleida und Jan Assmann auch von einem besonders amüsanten Geschenk, das ihnen zum 25. Hochzeitstag beschert wurde: ein Film, in dem ihre Kinder sie genussvoll durch den Kakao ziehen. Als "Meisterwerk der Karikatur und liebevoller Satire" beschreibt Jan Assmann das Werk, in dem eines der Mädchen ein Kleid der Mama trägt, während ein Sohn sich Papas Hemd und die charakteristische Fliege übergestreift hat. In dieser Kinder-Version des Assmannschen Abendessens unterhält sich das "Wissenschaftlerpaar" gedankenversunken und ausschließlich in Form von Zitaten aus ihren jeweiligen Büchern – während der Nachwuchs im Hintergrund lautstark Essen einfordert.

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Die kleine Meinungsverschiedenheit, ausgelöst durch die Nachfragen des Moderators, veranschaulicht, dass die Assmanns Konflikte aushalten. Spätestens seit er den Monotheismus als "intrinsisch gewalttätig" beschrieben hat, ist Jan Assmann Widerworte gewohnt. Von seinem prominentesten Kritiker, dem damaligen Papst Benedikt, habe er sich noch fair behandelt gefühlt. Viele in der Kirche hätten seine Arbeit aber ausschließlich als Attacke interpretiert. Leider.

„Eine wunderbare Veranstaltung“: Aleida Assmann im Theater. Foto: Joe

Ähnliches gilt für Aleida Assmanns Bemühungen rund um das Konfliktthema Antisemitismus. Als einzige Nicht-Jüdin wurde sie während der Corona-Lockdowns von israelischen Wissenschaftlern eingeladen. Ziel der Gruppe: Handlungshilfen formulieren, anhand derer sich Kritik an der Staatsmacht Israel von Antisemitismus unterscheiden lässt. Dass Loyalität zu Israel und Solidarität mit den Palästinensern nicht nur in Aleida Assmanns Augen zusammengehen, zeigt der Spontanapplaus im Saal.

Lebensthema der Assmanns ist das große Miteinander. Auch dafür wurde ihnen 2018 der Friedenspreis verliehen. Diesen Höhepunkt des gemeinsamen Schaffens empfindet Jan Assmann als "neuen Wind in unseren Segeln". Vielleicht hat dieser Wind die beiden ja sogar zurück in die Stadt ihrer Kindheit geweht: "Eine wunderbare Veranstaltung wie heute Abend ist sicher erst durch den Friedenspreis möglich", zeigt sich Aleida Assmann überzeugt. Wie dem auch sei: Der donnernde Schlussapplaus beweist, dass die Rückkehr nach Heidelberg zum Gewinn für alle Seiten geworden ist.

Der kurzweilige Abend hätte übrigens – theoretisch – noch viel länger gehen können. Denn als der Vorhang um 21.15 Uhr fällt, bleiben noch über die Hälfte der vorbereiteten Fragen offen. Die Drei hatten sich eben viel zu sagen.

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