Zwei Teufel in Ägypten
Jan Assmann sprach über Diabolisches in der Nilkultur

Von Heribert Vogt
Heidelberg. Weihnachten kündigt sich an, aber in Dieter Borchmeyers Reihe zur Kulturtheorie geht es weiter unter dem Leitthema "Der Teufel. Metamorphosen des Bösen". Erneut musste vom überfüllten Hörsaal 14 in den Hörsaal 13 gewechselt werden, als der Ägyptologe Jan Assmann zu Gast war mit dem Vortrag "Seth-Typhon: Die Karriere eines Teufels im alten Ägypten". Und Assmann stellte klar: "Einen Teufel als den zentralen Gegenspieler Gottes gab es im Alten Ägypten nicht. Eine Figur wie Satan kann es wohl nur in einer monotheistischen Religion geben."
In Ägypten finden sich zwei Verkörperungen des Bösen. Das sind Seth auf der Ebene des irdischen und Apophis auf der Ebene des kosmischen Königtums. Beide stehen für den Widerstand gegen das Gute. Assmann: "In Ägypten haben wir es mit dem mythischen Denken zu tun. Die große Leistung des Mythos besteht darin, komplexe Erfahrungen und kollektive Ängste in Bilder und Erzählungen zu fassen, die sie behandelbar machen."
Dabei geht es um die Ängste vor Tod und Verschwinden, vor dem Zerfall von Herrschaft und Ordnung sowie vor dem Stillstand der Sonne und dem Unbewohnbarwerden der Welt. Der Gott Seth spielt in allen drei Fällen eine Rolle, wenn auch nicht immer die eines Teufels. Die ersten beiden Ängste bearbeitet der Osiris-Mythos, die Angst vor dem Stillstand der Sonne der Mythos vom Sonnenlauf: Alles bleibt neu, weil der Lauf der Sonne nie angehalten wurde. Alles bleibt vollkommen, weil die Mysterien in Abydos niemals enthüllt wurden.
In der ägyptischen Religion ruht der Fortbestand der Welt auf dem Sonnenlauf und der Bewahrung der Mysterien von Abydos, die für die ägyptischen Kulte stehen. Die Gegenkräfte zur Weltordnung werden verkörpert durch den Sonnenfeind Apophis und den Osiris-Mörder Seth. Während sich Apophis dem Sonnenlauf in Himmel und Unterwelt entgegenstellt, bedroht Seth in der oberirdischen Sphäre die Mysterien von Abydos.
Seth ist der erste Mörder
"Es gibt zwei Teufel in Ägypten, einen kosmischen und einen politischen", stellte Assmann fest. Aber im Gegensatz zum christlichen Teufel hält die ägyptische Kultur beide durch Riten fest im Griff. Der Figur des Seth liegt zugrunde der Mythos vom Mord an Osiris und dessen Heilung durch Isis, die es durch Liebe und Zauberkraft vermochte, Osiris so zu bestatten, dass er in ihr noch den Sohn Horus zeugen und zum Herrscher des Totenreichs werden konnte. Die Urszene handelt von Seths Verbrechen, seiner Strafe und Verbannung, die Gegenwart steht im Zeichen seiner drohenden Wiederkehr, die den Untergang bedeuten würde.
Seth ist der erste Mörder und verkörpert den Tod, der mit ihm in die Welt kommt. Gegen den natürlichen Tod ist der Mensch machtlos, aber einen Mörder kann man bestrafen und so den Tod ein Stück weit wieder gut machen. Darin scheint die große Leistung des Mythos auf.
Der Osiris-Mythos wird nie zusammenhängend erzählt. Nur ein Hymnus aus der 18. Dynastie enthält eine Folge zu dem Thema. Demnach herrschte Osiris als König, wurde von seinem Bruder Seth erschlagen, von seiner Schwestergattin Isis gefunden, mithilfe der Schwester Nephthys verklärt und niedergelegt. Der von Isis noch empfangene Sohn Horus vermochte es, Seth vor Gericht zu stellen und den Thron für sich zurückzuerobern.
Im Kontext der Überlieferung thematisierte Assmann die Angst vor kolonialistischer Überfremdung im alten Ägypten. In der Spätzeit nimmt Seth die Züge eines Feindes an, der in Ägypten einbricht, um die Tempel zu zerstören und die Mysterien zu enthüllen. Im 7. Jahrhundert v. Chr. waren die Assyrer vier Mal in das Land eingefallen. Perser, Griechen und Römer folgten.
Aber erst die Christianisierung versetzte der ägyptischen Kultur den Todesstoß, so Assmann. Er schloss mit einer Verbindung zwischen dem alten Ägypten und dem heutigen Deutschland: "Wenn Fremde das Land Ägypten bevölkern, fühlt man sich an Heutiges erinnert. Aber unabhängig von Identitären, Pegida und AfD sollte man sich grundsätzlich fragen, ob der Teufel in den verschiedenen Kulturen vielleicht nichts anderes ist als eine Figuration kollektiver Ängste."



