Die Erinnerungskultur liegt Aleida und Jan Assmann am Herzen
Aleida und Jan Assmann erhielten den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - Für "Vogelschiss"-Thesen haben sie nichts übrig

Das Forscherpaar Aleida und Jan Assmann erhielt in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die beiden wurden für ihre Arbeiten zur Erinnerungskultur von Gesellschaften ausgezeichnet - vom alten Ägypten bis zur Gegenwart. Foto: Arne Dedert
Von Thomas Maier
Frankfurt am Main. Jan Assmann beginnt am Podium mit der ersten Passage der Dankesrede, seine Frau Aleida übernimmt dann ganz selbstverständlich wenige Minuten später. Selten ist bei einem Paar Privates und Berufliches so eng miteinander verknüpft wie bei den beiden Kulturwissenschaftlern.
Die abwechselnd gehaltene Rede ist ein höchst pointiertes zweistimmiges Werk des Ägyptologen und der Anglistin - genauso haben der 80-Jährige und seine neun Jahre jüngere Frau gemeinsam ihre international stark beachteten Thesen zum Gedächtnis von Nationen und Kulturen entwickelt.
Bücher und heilige Texte waren neben Mahnmalen wie den Pyramiden schon bei den alten Ägyptern wichtig, um Identität zu stiften. Doch so wichtig die Funktion eines nationalen Gedächtnisses ist: Es kann sich auch wie im Fall von Deutschland verändern.
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Frankfurt am Main. Vom "forschenden Power-Paar" Aleida und Jan Assmann war zu Beginn der ARD-Liveübertragung von der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die beiden eng mit Heidelberg verbundenen Kulturwissenschaftler die Rede. Aber das gerühmte geistige Spannungsfeld zwischen den beiden Eheleuten, die kürzlich Goldene Hochzeit feiern konnten, scheint sich aus gegensätzlichen Polen zu speisen. Ja, die Anglistin und der Ägyptologe wirken nicht selten wie Feuer und Wasser: Sie mischt häufig engagiert bis entflammt in kontroversen Debatten mit, während er stoisch immerfort die Kulturgeschichte von Jahrtausenden einfließen lässt.
Auch insofern wurde nun in der Frankfurter Paulskirche wahrlich ein "zweistimmiges Lebenswerk" geehrt, das aufs Vielfältigste mit dem geistigen Heidelberg verzahnt ist. Und man kann sicherlich sagen, dass das inzwischen in Konstanz wohnende Ehepaar Assmann selbst heute noch zu den Exponenten des intellektuellen Heidelbergs zählt. Laudator Hans Ulrich Gumbrecht umschrieb die praktizierte Lebensform der beiden als "Oszillation zwischen Heidelberg und Konstanz". Die bei der Frankfurter Festveranstaltung anwesenden fünf Kinder des Paares wurden in Heidelberg geboren.
Die große Heidelberger Geistestradition war aber auch in der gemeinsam von Aleida und Jan Assmann gehaltenen Dankesrede anwesend. Denn darin zählten der Heidelberger Philosoph und Psychiater Karl Jaspers sowie die jüdische Politiktheoretikerin Hannah Arendt zu den wichtigsten Bezugspersonen. Jaspers erhielt vor 60 Jahren den Friedenspreis, und Hannah Arendt, die bei ihm in Heidelberg promoviert hatte, übernahm 1958 die Laudatio. Auch den Schluss der Dankesrede bildete ein Jaspers-Zitat: "Wahr ist, was uns verbindet."
Nicht zuletzt atmet auch die Frankfurter Paulskirche - Monument und Wiege der Demokratie in Deutschland - Heidelberger Geschichte. Denn in der Revolutionszeit um 1848 spielten auch Professoren vom Neckar eine wichtige Rolle.
"Wir können nicht mehr nahtlos an alte Fantasien von Stolz und Größe der Nation anknüpfen", betonen die Assmanns. Das nationale Gedächtnis "ist eben nicht nur ein Sockel, der die Nation größer und mächtiger macht, sondern auch ein Spiegel der Selbsterkenntnis, der Reue und Veränderung".
Das ist eine klare Absage an alle Rechtsnationalen, die wie AfD-Chef Alexander Gauland gerne die deutsche Nation wieder verklären wollen. Hitler und die Nazis seien ein "Vogelschiss" in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte, hatte Gauland Anfang Juni gesagt.
Aleida und Jan Assmanns, die sich beispielsweise mit der Unterstützung für den Bau des Holocaust-Denkmals in Berlin oftmals auch politisch eingemischt haben, gehen in der Auseinandersetzung mit dem Populismus noch weiter. In ihrer Rede fordern sie einen Grundkonsens in der Demokratie für die Werte der Verfassung oder die Gewaltenteilung. Wer den nicht teile, der kann sich nach Ansicht der Assmanns auch nicht auf die Demokratie berufen.
"Nicht jede Gegenstimme verdient Respekt", sagen sie und erhalten viel Beifall der fast tausend Zuhörer. Wer die Meinungsfreiheit untergraben wolle, habe keinen Respekt verdient. Die beiden erinnern an die Pöbeleien in Chemnitz und kommen zu dem Ergebnis, dass solche Vorgänge die Demokratie lahmlegten.
Die vielfach geehrten Wissenschaftler, die an Universitäten in der ganzen Welt tätig waren, haben in ihrer Forschung auch immer den ausschließlichen Anspruch auf Wahrheit beklagt. Jan Assmann hat sich dabei kritisch mit den drei monotheistischen Religionen - Christentum, Judentum und Islam - auseinandergesetzt. Er trat damit in der wissenschaftlichen Debatte eine Lawine los.
In ihrer Dankesrede gehen sie auch auf die im Westjordanland liegende Stadt Hebron ein, in der alle drei Weltreligionen gleichermaßen geschichtlich präsent sind. Dennoch hat die von den Palästinensern initiierte Anerkennung der Stadt als Unesco-Weltkulturerbe zu großem Streit mit Israel und den USA geführt.
Das Ehepaar, das gemeinsam fünf inzwischen erwachsene Kinder hat, vergisst in seiner Rede aber auch nicht die globale Perspektive. In Anlehnung an die beiden schwedischen Friedensforscher Alva und Gunnar Myrdal, die 1970 ebenfalls den Friedenspreis des Buchhandels gemeinsam erhielten, fordern sie von Europa eine globale Solidarität im Umgang mit ökonomischen und natürlichen Ressourcen ein - "damit es eine Zukunft nachfolgender Generationen überhaupt noch geben kann".
Sie halten zugleich ein entschiedenes Plädoyer für diejenigen Menschen, die vor Krieg und Not flüchten müssen. "Es kann nicht angehen, dass es eine neoliberale Freiheit für die Bewegung von Kapital, Gütern und Rohstoffen gibt, während Migranten an Grenzen festhängen und wir die Menschen, ihr Leid und ihre Zukunft vergessen."
Folgerichtig haben sich die Assmanns dazu entschieden, das Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro an drei Initiativen zu geben, die mit Geflüchteten arbeiten. Zwei davon sind in Deutschland angesiedelt, eine in Kenia.



