Von Tobias Schmidt, RNZ Berlin
Berlin. Roland Weber ist Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Berlin. Der gebürtige Stuttgarter wurde im Jahr 2012 vom Berliner Senat zum Opferbeauftragten des Landes ernannt. Er kümmert sich ehrenamtlich um die Belange der Opfer von Straf- und Gewalttaten, koordiniert ihre Unterstützung und legt einmal jährlich einen Bericht vor.
Gestern hat Kanzlerin Angela Merkel Angehörige der Todesopfer und Verletzte des Berliner Anschlags empfangen. Wie wichtig war dieses Treffen ein Jahr nach dem Attentat?
Für die Betroffenen und Hinterbliebenen war das eine Begegnung von ganz enormer Bedeutung. Sie brauchten dringend das Gefühl, dass es auch von Seiten der Kanzlerin eine echte Anteilnahme gibt. Und sie wollten hören, warum sich Angela Merkel so lange nicht gemeldet hat.
Hätte die Kanzlerin eher auf die Betroffenen zugehen sollen?
Das sehen die Hinterbliebenen ganz unterschiedlich. Einige sind darüber sehr verärgert und enttäuscht, dass es erst jetzt zum Jahrestag zu dieser Begegnung gekommen ist. Für manche hat es gereicht, dass sie im Februar vom Bundespräsidenten empfangen worden waren. Viele haben sich auch auf das Treffen mit der Kanzlerin gestern gefreut. Für alle ist es nun entscheidend, dass es strukturelle Verbesserungen bei der Begleitung der Betroffenen geben wird.
Was heißt das konkret?
Die finanzielle Entschädigung der Betroffenen muss erhöht werden - übrigens auch für die Opfer krimineller Gewalt, die bislang deutlich weniger bekommen als Opfer eines extremistischen Anschlages. Wir brauchen eine Gesamtreform und Besserstellung von Gewaltopfern. Das Opferentschädigungsgesetz sollte so geändert werden, dass Angehörige von Extremismus-Opfern und Angehörige von Gewalt-Opfern gleichbehandelt werden. Die Entschädigungssätze müssen hochgesetzt werden. Derzeit gibt es rund 1700 Euro Soforthilfe, das reicht hinten und vorne nicht für eine Beerdigung. Wenn der Ernährer oder die Ernährerin gestorben sind und die Kosten weiterlaufen, kann durch eine Verdopplung die Ausnahmesituation in den ersten Monaten schon ein wenig abgefedert werden. Viele der Betroffenen vom Breitscheidplatz hatten akute Probleme, ihren Alltag in den ersten Wochen und Monaten zu finanzieren.
Was muss sich bei der Betreuung verändern?
Wir brauchen eine dauerhafte Stelle eines Opferbeauftragten beim Bund. Wenn es wieder einen großen Anschlag oder ein Unglück mit viele Betroffenen, auch aus anderen Ländern, gibt, sind Ansprechpartner auf Bundes- und Landesebene notwendig. Dass können die Städte nicht alleine bewältigen. Das hat sich in der Folge des Breitscheidplatz-Anschlags ganz klar gezeigt.
Inzwischen ist bekannt, dass der Attentäter Anis Amri vor dem Anschlag hätte festgenommen werden können. Was bedeutet das für die Hinterbliebenen?
Viele sind unglaublich frustriert und wütend über das Versagen des Staates im Fall Amri. Und wenn - wie zuletzt am Wochenende - immer neue Fehler ans Licht kommen, ist das jedes Mal ein neuer Schlag und wird die Wut noch mal gesteigert. Für einige ist es schier zum Verzweifeln, dass es zu viele Gefährder und zu weniger Ermittler gab, um Amri lückenlos zu überwachen, und dass die Behörden nicht Hand in Hand arbeiteten.
Wird es der heutige Gedenktag manchen Betroffenen ermöglichen, danach zur Ruhe zu kommen und ihren Frieden zu finden?
Nein, einen Schlussstrich kann es niemals geben. Der Jahrestag ist nur eine Zwischenetappe. Die meisten Hinterbliebenen sagen, sie werden auch morgen aufwachen und als erstes daran denken, wer ihnen fehlt. Es gibt nicht mehr als die Hoffnung, dass ihnen die Bewältigung des Verlustes ganz langsam etwas leichter fallen wird.