Der Bon-Müll zweier Tage: Ein Bäcker aus Südlohn (Westfalen) macht mit diesem Foto gegen die Reform mobil. Foto: M. Tenk/dpa
Von Rachel Boßmeyer
Berlin. Hohe Kosten, unnötiger bürokratischer Aufwand, Belastung für Umwelt und Gesundheit – die Kritikpunkte am "Kassengesetz" und der damit einhergehenden Bon-Pflicht sind zahlreich. Denn im Kampf gegen den grassierenden Steuerbetrug am Ladentisch sollen mit dem Jahreswechsel Kassen technisch aufgerüstet werden. Bei jeder Transaktion sollen Händler dann auch einen Beleg ausgeben – ob beim Bäcker oder am Tresen im Club. Nur: Die Kassentechnik ist noch nicht einmal verfügbar.
Der Staat verliert alljährlich hohe Summen, weil Unternehmen ihre Umsätze mit manipulierten Kassen, Schummelsoftware oder fingierten Rechnungen frisieren – vor allem in Branchen mit hohem Bargeldanteil. Den von der Steuergewerkschaft bezifferten Schaden von jährlich zehn Milliarden Euro hielt das Bundesfinanzministerium für übertrieben. Nach einer passenden Lösung suchten Bund und Länder viele Jahre, auch der Bundesrechnungshof forderte immer wieder Maßnahmen gegen Mogelkassen.
Jetzt soll es die Kassensicherungsverordnung richten – oder kurz: das Kassengesetz. Demnach sollen Kassen durch eine technische Sicherheitseinrichtung (TSE) fälschungssicher werden. Ursprünglich sollten Kassen bis Anfang 2020 die neuen Regeln einhalten, das Finanzministerium gibt ihnen Zeit bis Ende September. Die Bon-Pflicht gilt trotzdem schon ab Januar.
Der Handelsverband Deutschland (HDE) geht von erheblichen Summen aus. "Erste grobe Kostenschätzungen liegen einschließlich Installation zwischen 300 und 500 Euro pro Kasse", sagt HDE-Steuerexperte Ralph Brügelmann. In einzelnen Branchen können die Kosten aber noch weiter in die Höhe schießen – etwa bei Metzgereien. Dort sind Kassen und Waagen verbunden, so Gero Jentzsch vom Deutschen Fleischer-Verband. Pro Laden geht er von Kosten um 4000 Euro aus. Und nur etwa die Hälfte aller Systeme sei nachrüstbar. Ein neuer Kassen-Waagen-Verbund könne 30 000 Euro kosten, so Jentzsch. Gerade für kleine Betriebe könne das "in die Existenzbedrohung gehen".
Von etwa 1,85 Millionen Kassen in Deutschland im Einsatz könnten sogar nur 400 000 bis 500 000 umgerüstet werden, sagt Roland Ketel, Vorstand des Deutschen Fachverbands für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik. Die anderen müssten komplett neu produziert und ersetzt werden. Aber: "Es gibt noch keine Kasse, wir haben lediglich Feldtests gemacht", sagt Ketel. Für normale Kassen hätten bislang nur zwei Hersteller eine TSE im Angebot. Ob sie mit der hohen Nachfrage klarkommen – unbekannt.
Neben der technischen Umstellung sorgt vor allem die Bon-Pflicht für Unmut. "Wer im Einzelhandel einkauft, der hat selten Interesse an einem Kassenzettel", sagt Jürgen Benad vom Gaststättenverband Dehoga. Bei Bäckereien wollen nur weniger als drei Prozent der Kunden einen Beleg, so der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Der Verband HDE warnt vor mehr als zwei Millionen Kilometern zusätzlicher Kassenbons im Jahr, der DIHK vor erheblichen Mehrkosten für Papier, Druck und Entsorgung.
Wenn der Kunde den Kassenzettel nicht wolle, müsse er ihn nicht mitnehmen, erklärt das Finanzministerium. Nur der Händler müsse ihn aufheben. Es sei ausdrücklich vorgesehen, dass auch ein elektronischer Beleg erstellt und gemailt werden kann, wenn der Kunde zustimmt. Die Belegpflicht stärke Transparenz und helfe gegen Steuerbetrug, etwa weil Kassensystem und Bons miteinander abgeglichen werden könnten.
Sowohl die Bäcker als auch die Dehoga und der Umweltverband BUND erwarten eine "immense Menge an Papierverbrauch und zusätzlichem Müll" wegen der Pflicht zum Kassenzettel. Dies sei "klima- und ressourcentechnisch kein gutes Signal", so ein Sprecher des BUND.
Zuletzt gibt es gesundheitliche Bedenken gegen Kassenbons aus Thermopapier: Ab Januar ist zwar die Beschichtung mit hormonell wirksamem Bisphenol A verboten; doch bei einigen Alternativstoffen ist laut BUND die Wirkung nicht minder problematisch. Beim Umweltbundesamt heißt es vorsichtig, zu den Alternativen gebe es noch nicht genug Daten.
Das neue Gesetz soll Steuerbetrug eindämmen. Dazu sei es auch geeignet, sagt HDE-Experte Brügelmann. "Mit dem ersten Tastendruck beim Kassieren wird eine Transaktion eröffnet, die sich bei einer mit einer TSE ausgerüsteten Kasse nicht mehr ohne Spuren löschen lässt. Ob dann der Kunde einen Beleg bekommt oder nicht, ist unerheblich."