Von Christian Altmeier
Heidelberg. Als Noam Chomsky vor zwei Wochen in der Heidelberger Stadthalle auftrat, waren die 1000 Plätze binnen Minuten ausverkauft. Die RNZ sprach mit dem profilierten Kritiker der amerikanischen Politik nun noch einmal nach der US-Wahl.
Herr Professor Chomsky, nach der Wahl von Donald Trump beherrscht vor allem eine Frage die Debatten: Warum?
Trump hat einen rekordverdächtig hohen Anteil von Stimmen der weißen Amerikaner bekommen, quer durch alle Schichten, aber ganz besonders bei Menschen mit geringem Bildungsgrad und mit mittlerem oder geringem Einkommen. Es hat sich sehr viel Wut und Enttäuschung bei diesen Menschen angestaut über die neoliberale Politik, die die Eliten in der vergangenen Generation gemacht haben. Selbst auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsbooms im Jahr 2007 war die Kaufkraft des Einkommens der arbeitenden Bevölkerung in einfachen Jobs geringer als zu Beginn des Neoliberalismus. Außerdem herrscht dort die Überzeugung vor, dass die Regierung nur die Minderheiten unterstützt und die hart arbeitende weiße Arbeiterklasse benachteiligt wird und ihre Kultur verloren geht.
Um welche Kultur geht es dabei?
Die USA leben kulturell gesehen zu weiten Teilen in einer vormodernen Zeit. Nahezu die Hälfte der Bevölkerung geht etwa davon aus, dass die Erde erst einige tausend Jahre alt ist und dass der Klimawandel kein Problem darstellt, weil Jesus Christus in den kommenden Jahrzehnten zurückkehren wird. Wenn wissenschaftliche Erkenntnisse mit der Bibel kollidieren, muss die Wissenschaft in ihren Augen falsch liegen. Man muss sich klarmachen, dass die USA bis zum Zweiten Weltkrieg wissenschaftlich und gesellschaftlich rückständig waren, im Vergleich zu Europa. In Teilen hat sich dies nicht geändert.
Und Trump vertritt diese Werte?
Nein, aber ein ähnliches Phänomen hat es schon zuvor gegeben. Die Demokraten haben in den siebziger Jahren aufgehört, die Interessen der weißen Arbeiterschaft zu vertreten. Seitdem scharen sich diese hinter ihren Klassenfeinden von den Republikanern. Denn die Steuerpolitik der Republikaner dient allein den Interessen der Reichen und Mächtigen. Sie geben sich aber ein bodenständiges Image, wie auch George W. Bush, der sich als jemand inszenierte, mit dem man gerne ein Bier trinken gehen würde. Trump ist etwas ähnliches gelungen.
Welche Gründe gab es noch?
Weil viele Amerikaner ihre Jobs verloren haben, gibt es eine große Bereitschaft, nach Sündenböcken zu suchen – wie etwa den Einwanderern. Außerdem haben Befragungen ergeben, dass eine überwältigende Mehrheit der Wähler Wandel wollte. Sie waren unzufrieden mit dem status quo. Hillary Clinton aber stand genau für diesen status quo.
Glauben Sie, dass Trump sich als Präsident nun mäßigen wird?
In den Aspekten, denen die Öffentlichkeit derzeit große Beachtung schenkt, wird er sich wahrscheinlich moderater zeigen. Seine Rede nach dem Wahlsieg und sein Treffen mit Obama haben ein halbwegs normales Auftreten gezeigt. Er braucht die lauten Provokationen aus dem Wahlkampf jetzt nicht mehr. Aber das ist nicht relevant.
Sondern?
Die wichtigste Nachricht dieser Woche ist nicht die Wahl in den USA. Sondern ein Bericht von der Klimakonferenz in Marokko, der zeigt, dass sich die globale Erwärmung beschleunigt und die Eisfläche in der Arktis um 30 Prozent verringert hat. Zur gleichen Zeit hat das mächtigste Land der Erde eine Partei gewählt, die sich die Zerstörung der Menschheit zum Ziel gesetzt hat. Aber alle Medien berichten nur über die oberflächlichen Folgen der Wahl. Ich finde das schockierend.
Trump will die Unterschrift der USA unter das Pariser Klimaabkommen zurücknehmen.
Ja, und er hat jemanden ausgewählt, um die Umweltschutzagentur in den USA de facto abzuschaffen, der den Klimawandel offen bestreitet. Dieser Mensch ist sogar stolz darauf, dass er Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace zum Feind hat. Er wird dafür sorgen, dass die Umweltschutzagentur keinen Einfluss mehr haben wird.
Als zweite Gefahr für die Menschheit sehen Sie einen Atomkrieg. Ist diese Gefahr nun auch gewachsen?
Die Atomkriegsuhr des Berichtsblatts der Atomwissenschaftler steht bereits seit letztem Jahr auf drei Minuten vor zwölf. So groß war die Gefahr eines Atomkriegs seit den frühen achtziger Jahren nicht mehr. Die möglicherweise einzige positive Folge des Wahlsiegs von Donald Trump könnte aber sein, dass er dazu beiträgt, die Spannungen an der russischen Grenze zu verringern. Es könnten sich auch neue Spielräume für Deutschland ergeben, hier die Initiative zu ergreifen und die Beziehung zu Russland zu verbessern. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Osterweiterung der Nato zu der jetzigen Situation geführt hat.
Wird Trump tatsächlich eine isolationistische Politik betreiben?
Nein, das glaube ich nicht. Er hat will die Ausgaben für das Militär ja noch erhöhen. Und wenn er die Handelszölle erhöhen würde, würde es zu einer starken Erhöhung des Preisniveaus führen. Das würde bestimmt keine Jobs schaffen und seinen Wählern schaden.
Welche seiner Ankündigungen wird er denn umsetzen?
Das einzige, was er vermutlich umsetzen wird, ist das Infrastrukturprogramm. Das ist im wesentlichen auch eine gute Maßnahme, die schon Obama vorhatte. Dessen sogenanntes "stimulus programme" wurde aber von den Republikanern im Kongress gestoppt, weil sie gegen eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben waren.
Werden die Republikaner denn jetzt zustimmen?
Der frühere US-Vizepräsident Dick Cheney hat über die Haltung der Republikaner zu Staatsschulden einmal gesagt: Schulden spielen keine Rolle. Die Einschränkung, die er nicht gesagt hat, war: Solange Republikaner diese Schulden machen. Spätere Regierungen müssen sich dann um dieses Problem kümmern, wie etwa Bill Clinton, der den Schuldenberg von Ronald Reagan reduziert hat. Daher wird der Kongress Trumps Infrastrukturprogramm zustimmen.
Hat Trump die Republikaner im Kongress denn generell hinter sich?
Das wird spannend werden. Denn die Republikaner sind gespalten. Einige sind vor allem am Machterhalt interessiert, andere folgen ihrer Ideologie. In der Steuerpolitik stimmen Trump und die Republikaner aber überein.
Wie sollten Deutschland und die EU nun reagieren?
Die Europäer sollten als erstes die Spannungen mit Russland reduzieren, denn diese sind extrem gefährlich. Natürlich spielt dabei auch Russland selbst eine Rolle, aber es gibt durchaus Dinge, die der Westen tun kann. Dann sollte die EU dringend die Austeritätspolitik beenden und damit aufhören, Entscheidungen von den Nationalstaaten auf die Ebene der Brüsseler Diplomatie zu verlagern. Es gibt ja bereits hoffnungsvolle Ansätze dafür, ein demokratisches Europa zu schaffen, das auch unabhängiger von den USA wäre.
Nach dem Wahlsieg Trumps gibt es Sorge vor einem Erstarken des Populismus auch in Europa. Wie lässt sich das verhindern?
Indem man richtig darauf reagiert. Ein Weg wäre etwa die Initiative DiEM 25, die ich unterstütze und die sich für ein demokratischeres Europa einsetzt. Was Mut macht ist die Tatsache, dass die jüngeren Wähler mehrheitlich gegen Trump und gegen den Brexit waren. Es gibt also keinen Grund, zu verzweifeln.