Das laute Schweigen des Kanzlers

Scholz hat gute Gründe, Habeck auflaufen zu lassen

Warum Kanzler Olaf Scholz den Heizungsstreit bewusst laufen und Habeck im Regen stehen lässt.

26.05.2023 UPDATE: 26.05.2023 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden
Rügen
Olaf Scholz (r) und Robert Habeck. Archivfoto: dpa

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin

Berlin. "Wo ist der Kanzler?", fragte die Opposition am Mittwoch in der Bundestagsdebatte über das Heizgesetz. Auch am Donnerstag ist Olaf Scholz nicht da, als es um Energieeffizienz geht. Dafür sitzt da wie schon am Vortag Robert Habeck. Die Frage der Opposition ist natürlich nicht auf die physische Präsenz des Kanzlers gemünzt. Sie ist politisch gemeint. Dahinter steckt der Vorwurf, dass Scholz das Aufeinanderprallen seiner Koalitionspartner nicht verhindert, dass er im Heizstreit keine Führung übernimmt, weder Machtworte spricht, noch moderierend eingreift. Scholz müsse Ordnung in die Koalition bringen, fordert Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). Er sieht die Ampel "am Ende". Dass Scholz Gelegenheiten ausweicht, bei denen ihm dies vorgehalten werden könnte, ist bezeichnend. Der Kanzler verfolgt ein Kalkül. Und eine Strategie.

Offensichtlich ist, dass er Habeck nicht in Schutz nimmt. Selbst wenn Kameras und Mikrofone ausgeschaltet sind, spricht der Kanzler über das Gesetzgebungsverfahren, als ginge es ihn gar nichts an. Den Minister erwähnt er nicht. Schließlich tut bei jeder Gelegenheit so, als sei das alles gar nicht so schwer aufzulösen. Dabei erlebt Habeck seit Wochen das Gegenteil. Mit jeder Behauptung, dass man sich doch einig sei – etwa nach dem 30-stündigen Koalitionsausschuss – und jedem Tag, an dem dann Uneinigkeit demonstriert wird, beschädigt Scholz den Wirtschaftsminister.

Das wiederholte sich auch am Donnerstag. Da tauchte Scholz wieder auf, beim Besuch des Präsidenten von Zypern Nikos Christodoulides im Kanzleramt. Bei der Gelegenheit wurde Scholz gefragt, was er von den Wahlen in der Türkei erwarte, und ob der Ton in der Koalition nicht auf eine Regierungskrise hinweise. Während sein Gast zur Türkeifrage Stellung bezog, griff Scholz zu einem weißen Papierdeckel, der zum Glas vor ihm gehörte. Bald zwanzig Sekunden lang mühte sich der Kanzler, diesen Deckel draufzusetzen, am Ende hing er schief auf dem Glas. Als er an die Reihe kam, hatte Scholz die Türkeifrage vergessen.

Die Übersprungshandlung mit dem Deckel wirkte wie ein Kommentar zur Lage der Koalition. Deckel drauf? Eigentlich einfach lösbar. Klappt aber nicht. "Wir haben uns viel vorgenommen. Es stellen sich viele Fragen", sagte er. Und: "Ich habe in der Frage, die da intensiv diskutiert worden ist, alle sehr dringend gebeten, dass sie in den nächsten Wochen die konkreten Fragen, die alle lösbar sind, miteinander lösen." Wieder: alles lösbar. Aber lösen sollen es die anderen. Habeck vor allem.

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Es ist Scholz‘ Glück, dass die Bauministerin der SPD, Klara Geywitz, die großen Anteil am Gebäudeenergiegesetz hat, fast kaum damit konfrontiert wird. Geywitz wollte einmal mit Scholz zusammen den Vorsitz der SPD übernehmen. Es bleibt alles an den Grünen und Habeck hängen. Und Scholz haut noch drauf. Bei den Feiern zum 160. Jubiläum der SPD am Dienstag sagte er, dass die Klimapolitik kein Thema einer ganz bestimmten Partei sei, und führte weiter aus: "Manche fühlen sich verunsichert, überfordert, bevormundet und belehrt, ja auch angegriffen und gering geschätzt in ihrer Art zu leben, wenn von Aufbruch und Veränderung die Rede ist." Und dann: "Richtige Ziele und ein guter Plan sind nicht genug." Man müsse den Bürgern ein "Geländer", unter anderem den Sozialstaat, bieten: "Wer wüsste das wohl besser als wir Sozialdemokraten?" Eine Spitze gegen die Grünen und Habeck.

Dem Kanzler hat von Anfang an die Quasi-Verehrung missfallen, die dem Wirtschaftsminister in seiner Partei, in Teilen der Öffentlichkeit und der Medien entgegengebracht wurde. Anfangs machte er Habeck den Raum streitig. Als vor einem Jahr die Gasumlage fertig war, unterbrach Scholz sogar seinen Urlaub. Damit nicht Habeck das scheinbar gute Instrument vorstellen konnte. Als die Umlage dann in die Kritik geriet, ja scheiterte, ließ er den Minister allein dafür geradestehen.

Für Scholz hat es sich ausgezahlt, die Gasumlage gilt nicht als gescheitertes Projekt des Kanzlers, sondern allein des Wirtschaftsministers. Seither hat Scholz die Taktik geändert. Er tritt nicht mehr in Konkurrenz zu Habeck, er lässt ihn einfach auflaufen. Etwa auch im Streit mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) über den Industriestrompreis.

Scholz gibt wenig auf Umfragen, zumindest, solange keine Wahlen bevorstehen. Er denkt langfristig. Dabei fällt sein Blick weniger auf die Union. Die liegt derzeit meilenweit vor der SPD, aber Scholz hält die Konkurrenz-Situation im linken Lager für problematischer. Seine Hoffnung ist, dass die Union keine Koalitionspartner findet. Besonders, wenn sie zwei braucht, was ja nicht unwahrscheinlich ist. Starke Grüne, ein zu starker Minister, ja Kanzlerkandidat Habeck würde Schwarz-Grün möglich machen. Schwache Grüne machen die Ampel wahrscheinlicher. Und damit eine zweite Amtszeit für Scholz.

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