Alles ausgereizt
Die Ampelkoalition beschließt trotz des Karlsruher Urteils große Teile des neuen Haushalts und verstrickt sich dabei in Widersprüche.

Von Thomas Vitzthum, RNZ Berlin
Berlin. Um 4.19 Uhr am Freitagmorgen gingen die Haushaltspolitiker auseinander. Gegen 13 Uhr am Vortag hatten sie im Ausschuss begonnen, über den Bundeshaushalt 2024 zu sprechen. Eigentlich sollte es die finale Sitzung werden, die "Bereinigungssitzung". Doch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts vom Mittwoch hat sich der Rauch noch nicht verzogen. Es ließ sich nicht alles bereinigen.
Das Gericht hatte ein grundsätzliches Urteil zur Schuldenbremse gefällt und die Übertragung von Notkrediten für einen bestimmten Zweck – in dem Fall Corona – auf einen anderen für nicht zulässig erklärt. Damit wurde der Klima- und Transformationsfonds (KTF) in seiner bisherigen Gestalt obsolet: In ihm sind 60 Milliarden Euro Corona-Kredite aufgegangen. Auch der Wirtschafts- und Transformationsfonds (WSF), aus dem etwa die Strom- und Gaspreisbremse bezahlt werden, steht unter Verdacht, verfassungswidrig zu sein. Das hat Konsequenzen: Der KTF für das Jahr 2023 wurde gesperrt. Der WSF auf Eis gelegt.
Alle Posten, die mit diesen Fonds und weiteren Sondervermögen zu tun haben, beriet der Haushaltsausschuss gestern also gar nicht. Auch den Teil, in dem es um die Schuldenpflicht Deutschlands und alle Einnahmen geht, ließ man außen vor. Am Dienstag nächster Woche soll nun zunächst auf Wunsch der Union noch eine Expertenanhörung digital zu den Folgen des Urteils für den Haushalt stattfinden und dann am Donnerstag die finale Sitzung erfolgen.
Man habe das in dieser Woche nicht seriös machen, also abschließen können, teilten die Haushälter der Ampel am Freitagmittag in der Bundespressekonferenz mit. Warum sie es allerdings für seriös hielten, dennoch einen Großteil des Haushalts zu beschließen, das zu erklären, mühten sich Otto Fricke (FDP), Sven-Christian Kindler (Grüne) und Dennis Rohde (SPD) vergeblich.
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Die Union verlangte den Stopp des Etats, sieht schon jetzt die Notwendigkeit für einen Nachtragshaushalt wegen des 60-Milliarden-Lochs. Und sie droht, auch gegen den aktuellen Haushalt in Karlsruhe zu klagen. Die Ampel hingegen wiegt sich in Sicherheit. "Stand jetzt ist kein Nachtragshaushalt geplant", sagte Kindler.
Insgesamt reizt die Ampel alles aus. Die Schuldenbremse erlaubt in Zeiten einer schwachen Konjunktur mehr neue Schulden, auch hatte die Steuerschätzung ein höheres Steueraufkommen von fünf Milliarden Euro für 2023 in Aussicht gestellt. Auf 21,5 Milliarden summiert sich das. Damit werden nun einige Pläne umgesetzt, die so im Etatentwurf noch nicht standen. Für Humanitäre Hilfe erhält das Auswärtige Amt zusätzlich 700 Millionen Euro. Dem Entwicklungsministerium stehen 100 Millionen mehr für Krisenprävention und Wiederaufbau zur Verfügung.
Für die Bekämpfung von Antisemitismus und Rechtsextremismus gibt es eine Million Euro zusätzlich, für politische Bildung 20 Millionen. Für das Bafög stellten die Haushälter 150 Millionen Euro zurück. Für Integrationskurse sollen zusätzlich 188 Millionen Euro bereitstehen sowie 20 Millionen Euro für Migrationsberatung. Zur besseren Arbeitsintegration von Geflüchteten sehen die Haushälter 750 Millionen Euro vor.
Für die Erforschung von Long Covid stehen nun 150 statt 100 Millionen Euro zur Verfügung. Beschlossen ist auch, die niedrigere Mehrwertsteuer für Gas bis 29. Februar zu verlängern. Die Ampel hat auch Änderungen beim Elterngeld beschlossen: Der Bezug soll künftig bei einem Haushaltseinkommen von 150.000 Euro gedeckelt werden. Die Grenze des zu versteuernden Einkommens soll nun langsamer abgesenkt werden.
Kein Geld gab es für die Fortsetzung der niedrigen Mehrwertsteuer in der Gastronomie: Sie steigt damit zum 1. Januar wieder von 7 auf 19 Prozent an.