Steffen Rüth sprach mit dem 63-jährigen Sänger und Multiinstrumentalisten über Geisterauftritte, Easy Listening und das Erwachsenwerden.
Herr Alsmann, Sie haben neulich einige Livestream-Konzerte, im Feierabendhaus in Ludwigshafen und in der Essener Philharmonie gespielt. Wie hat Ihnen das gefallen?
Götz Alsmann: Es war schon sehr eigenartig, ja gespenstisch, so ganz ohne Publikumsresonanz zu spielen. Und ja, natürlich ist es schön gewesen, wieder mal als Band zusammen auf der Bühne zu stehen, aber ein Ersatz für das wirkliche Livespielen ist so ein Geisterkonzert natürlich nicht.
Aber vermutlich besser als gar nichts.
Das schon. Doch bei Lichte betrachtet ist das alles, auch diese kurzlebige Mode der Autokinokonzerte, natürlich Zinnober. Es entspricht weder dem, was das Publikum gerne möchte, noch dem, was die Künstler wollen. So ein Konzert ist wie Zichorienkaffee. Eigentlich gibt man sich nur gegenseitig ein Signal, dass man noch da ist und macht sich ein bisschen Mut.
Sorgen Sie sich aktuell um den Stellenwert der Kultur?
Natürlich. Seit Till Brönners Aufruf im Oktober wird ja überhaupt erst über uns gesprochen. Vorher hatte man das Gefühl, wir existieren gar nicht. Das ganze Jahr über ist sehr viel über Kneipen und über den Sommerurlaub diskutiert worden, aber sehr wenig über die Veranstaltungsbranche und die Kulturszene.
Was denkt man sich da als renommierter Kulturschaffender?
Dass viele Menschen in der Politik überhaupt keine Ahnung haben, was für ein gigantisches Geschäft mit seinen sehr vielen Freiberuflern und Zulieferbetrieben die Kultur- und damit auch die Unterhaltungsbranche tatsächlich ist. Es trifft ja nicht nur Musiker, sondern auch Kabarettisten, Zauberkünstler, Hundeflüsterer und Köche. Die letzten zehn Jahre waren in der deutschen Showindustrie die besten aller Zeiten. Anderthalb Millionen Menschen sind hier tätig. Für alle ist zur Zeit Feierabend.
Wenn draußen eh nichts los ist, kann man sich ja einfach ganz gemütlich "L.I.E.B.E." anhören. Die Lieder klingen sanft und unaufdringlich verspielt, mit sehr viel Liebe gemacht.
Danke, so ist es. Das war die intendierte Wirkung. Wir knüpfen mit "L.I.E.B.E." an die Tradition des alten deutschsprachigen Easy Listening an, die bis weit in die Sechziger hinein noch den Schallplattenmarkt mitbestimmt hat. Man ist ja in der Rückschau überrascht, was es damals für tolle Alben von großartigen Interpreten und Interpretinnen gab. Ich denke an Nana Gualdi, Greetje Kauffeld oder Margot Hielscher. Die fünfziger und sechziger Jahre waren eben nicht nur Rock’n’Roll und Beatmusik, sondern sehr viel facettenreicher. Da gibt es unheimlich tolle Musik zu entdecken.
Singen Sie gegen das Vergessen an?
Zumindest gegen den Untergang dieser Stilrichtung. Aber so schwer ist das nicht. Das Publikum ist da und der Zuspruch unvermindert groß. Ich mache mir keine Sorgen, dass klassischer Jazz-Schlager oder Easy Listening in Vergessenheit geraten.
Wann und wie haben Sie selbst diese Musik entdeckt?
Früh. Ich hatte als junger Mensch einen sehr breiten Zugang zu Musik. Jazz, Klassik, Schlager, Chanson – da die Rundfunklandschaft nicht so limitiert war wie heute, hatte ich als Kind und Jugendlicher die Chance, mir einfach durchs Radiohören einen sehr vielseitigen Geschmack anzueignen. Natürlich gibt es auch heute noch tolles Radio und tolles Fernsehen – es ist nur manchmal schwerer zu finden als früher.
Hatte sich Ihr Musikgeschmack in der Jugend schon gefestigt?
Er hat sich später noch ausgeweitet und vertieft, aber die Musik, die mich früh fasziniert hat, fasziniert mich heute immer noch. Der Jazz war und ist meine Lebensmusik.
"Wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen" singen Sie in "Man müsste Klavier spielen können", im Original gesungen von Johannes Heesters 1941. Ist dem so?
Naja, ich habe mit acht Jahren angefangen, da war das noch nicht die entscheidende Triebfeder. In meiner Pubertätszeit waren Gitarristen um Längen cooler als Pianisten. Ich habe versucht, gegenzusteuern und mit dem Banjo spielen angefangen. Damit habe ich mich dann endgültig ins Aus geschossen.
Nicht nur musikalisch, auch modisch hatten Sie schon in jungen Jahren Ihren eigenen Stil. Haben Sie sich früh erwachsen gefühlt?
Nein, ich sah nur so aus. Heutzutage laufen die Leute ja noch bis mindestens weit in die 50er so rum, als hätten sie sich für den Kindergarten angezogen. Wenn sich der Schritt ins Erwachsenenleben nur über die Kleidung manifestieren würde, dann hätte ich ihn früh genommen. Doch vom Äußeren abgesehen hatte ich sicherlich sehr lange denselben Kindskopf wie fast alle in meiner Generation. Wir haben uns schwergetan mit dem Start in den sogenannten Ernst des Lebens. Mit meiner Generation fing es an, dass man das Erwachsenwerden möglichst weit nach hinten schieben wollte.
Wie lange haben Sie geschoben?
Man fängt endgültig an, mehr Verantwortung zu übernehmen, wenn man Vater wird. Aber gerade als Musiker hält man noch lange an vielen seiner jugendlichen Attitüden fest. Um Restbestände meines Kindskopfs kämpfe ich jedenfalls heute noch heroisch.
Ihre vorherigen drei Alben hießen "In Paris", "Am Broadway" und "In Rom". Kommen Sie mit "L.I.E.B.E." zurück nach Hause?
Ein bisschen schon. Aber die Herkunft dieses jazzhaften Liedguts, das wir spielen, hat sich mit den Jahren sowieso immer stärker vermischt. Die französischen oder italienischen Lieder sind längst auch Teil unseres heimischen Schlagerkanons, genau wie viele Songs des American Songbook vom Ursprung her aus Deutschland stammen. Musik hat für mich immer etwas sehr Internationales gehabt, immer etwas die Kulturen Verbindendes. Das von mir auf dem neuen Album gesungene "So einen jungen Mann" zum Beispiel sang Ende der Sechziger die Französin France Gall, ursprünglich heißt das Lied aber "Samba de Verão" und ist ein 1965er Bossa Nova des Brasilianers Marcos Valle.