Nach fast 13 Jahren ist "Patricia Kaas" das erste Album, auf dem Sie wieder eigene Stücke singen. War es Zeit dafür?
Patricia Kaas: Zuletzt habe ich das Konzeptalbum "Kabaret" und eine Hommage an Edith Piaf gemacht. Mir war gar nicht bewusst, dass mein letztes Album mit eigenen Songs schon 13 Jahre her ist. Die Zeit vergeht so schnell, mein Gott! Ich wollte eine typische Patricia-Kaas-Platte machen mit allem, was man an mir liebt. Sie sollte sehr elegant klingen.
Welche Vision hatten Sie von der Platte?
Da ich meine Lieder von anderen schreiben lasse, entwickelt sich so ein Album von selbst mit den Liedern und Texten, die ich bekomme. Erst dann weiß ich, wo das Album genau hingeht. In den letzten zwei Jahren habe ich mehr Selbstvertrauen gewonnen. Nach einer 30-jährigen Karriere muss ich mir selbst nichts mehr beweisen. Ich wollte auf meinem Album nicht nur Liebeslieder haben, sondern auch engagiertere Songs. Ein Autor hat für mich zum Beispiel ein Lied über Inzest geschrieben. Ich singe es, weil so was praktisch überall hinter verschlossenen Türen passiert. Ich will mich thematisch nicht einschränken.
Wie haben Sie reagiert, als Ihnen "La Maison En Bord De Mer" angeboten wurde, das besagte Inzest-Lied?
Für mich war das überhaupt kein Problem. Mein musikalischer Leiter präsentierte mir das Lied "La Maison En Bord De Mer", aber er war nicht sicher, ob ich es singen wolle. Ich hörte es mir an und sagte ihm, dass ich es auf meinem Album haben will. Weil das Thema aktuell und wichtig ist. Insofern hat es auch nichts Mutiges, es zu singen. Warum sollte man es verschweigen? Manchmal habe ich das Gefühl, wir bewegen uns zurück in die Zeit, als man sich noch nicht traute, über Aids zu sprechen.
Die Platte wurde in Paris von den Briten Jonathan Quarmby und Fin Greenall alias Fink produziert. Wie kam es dazu?
Fink ist ein toller Künstler. Eines Tages habe ich ihn per Facebook kontaktiert mit dem Wunsch, mit ihm arbeiten zu wollen. Naja, er hat dann ein paar Songs für mich arrangiert. Ich wollte die Platte an einem Ort aufnehmen, an dem ich noch nie gewesen war. Auch weil mein Hund nicht mehr lebt, der im Studio stets dabei war. Daran wollte ich nicht erinnert werden. Ich war in meinem Kopf auf Neues eingestellt, ich brauchte eine neue Band und andere Leute um mich herum. Obwohl die Themen manchmal schwer sind, klingt die Platte für mein Empfinden leicht. Die erste Singleauskopplung "Madame Tout Le Monde" hingegen klingt eher so, wie man es von mir kennt. Es ist ein Lied fürs Radio.
Sie sind Anfang Dezember 50 geworden. War das Album ein Geburtstagsgeschenk?
Ehrlich gesagt nein. 50 ist eine hässliche Zahl, aber in meinem Kopf fühle ich mich gut. Diese Zahl begleitet mich jetzt neun Jahre lang.
Sie sind im lothringischen Ort Stiring-Wendel an der deutsch-französischen Grenze aufgewachsen. War Deutschland wichtig für Ihre künstlerische Entwicklung?
Für meine Karriere nicht, aber die Zeit in Saarbrücken war auf jeden Fall eine gute Schule für meine Charakterbildung, weil ich dort gelernt habe, auf einer Bühne zu stehen. Lothringen auf der französischen und das Saarland auf der deutschen Seite waren für mich ein und dasselbe Land. Meine Mutter war Deutsche und mein Vater Franzose.
2003 verlieh Ihnen der damalige Bundespräsident Johannes Rau das Bundesverdienstkreuz wegen Ihres Einsatzes für die deutsch-französische Freundschaft.
Darauf war ich sehr stolz. Vor kurzem hatte ich ein Fotoshooting, dafür sollte ich etwas von zu Hause mitbringen, was mir wichtig ist. Als ich dann das Bundesverdienstkreuz mitbrachte, meinte der Journalist, ein Preis interessiere ihn weniger. Er hätte lieber etwas Persönlicheres gehabt. Da sagte ich zum ihm: "Das ist für mich keine normale Trophäe, das ist mein Blut!" Als ich in Frankreich anfing zu singen, war es für mich sehr wichtig, auch in Deutschland Erfolg zu haben, obwohl man mir damals gesagte hatte, das könne ich vergessen. Ich wollte das aber selbst herausfinden. Heute habe ich in Deutschland ein Publikum. Und zwar, weil meine Mutter Deutsche und weil Deutsch meine erste Sprache war.
Musik kennt keine Sprachbarriere, sie ist Völker verbindend. Und dennoch keimt überall auf der Welt neuer Nationalismus auf. Wie denken Sie darüber?
Europa zerbricht! So denke ich darüber. Das, was früher zusammenhalten und stark sein sollte, zerfällt heute. Aber von der Musik her hat sich dadurch nicht viel geändert. Ich trete immer noch da auf, wo ich früher aufgetreten bin. Da sehe ich keinen Unterschied. Zum Glück! Die deutsch-französische Freundschaft ist immer noch intakt. Ich glaube, diese Verständigung ist einfach da. Und zwar auf ganz natürliche Weise. Oder es müsste den Beziehungen sehr schlecht gehen, dass ich mal den Mund aufmache und darüber etwas sage.
Werden Sie bei der Tour 2017 auch ein paar deutsche Lieder singen?
Man soll nie nie sagen, aber es ist nicht geplant. Damals habe ich "Ganz und gar" von Marius Müller-Westernhagen und ein originelles Lied von Rosenstolz auf Deutsch gesungen. Komischerweise waren das nicht die Titel, die man von mir am meisten verlangt hatte. Die Menschen lieben mich für die französische Musik, und ich glaube, sie sind schon sehr berührt, wenn ich mit ihnen ein bisschen auf Deutsch rede.
Wie setzen Sie das Album optisch um?
Ich muss sagen, ich bin ein bisschen spät dran mit all diesem. Ich nehme mir aber die Angst, indem ich mir sage, dass ich ja diese Lieder und diese Band habe. Das ist doch okay. Die Tour wird nicht so eine Show wie "Cabaret" oder "Chante Piaf" werden, sondern eher so wie ein Konzert. Ich denke da an ein kleines Bühnenbild ohne große Umbauten. Voilà!
Info:Tour-Daten 2017 von Patricia Kaas: 21. Februar, Stuttgart, Liederhalle (Restkarten); 23. & 24. Februar, Frankfurt, Alte Oper; 13. Juni, Mannheim, Rosengarten. Karten ab 71,35 Euro bei RNZ-Ticket