Ärger nach Plakat-Aktion gegen "Spaziergänger"
Gegner der Corona-Schutzmaßnahmen rufen dazu auf, Wieslocher Einzelhändlern negative Bewertungen im Internet zu geben.

Von Anja Hammer und Timo Teufert
Wiesloch. Sie demonstrierten auf dem Adenauerplatz gegen die "Spaziergänger", sie malten Kreidebotschaften auf die Straßen: Nun haben am vergangenen Montag die Jugendlichen, die in den letzten Wochen von der Polizei wegen ihrer Aktionen – im Gegensatz zu den "Spaziergängern" – immer wieder kontrolliert wurden, Wieslocher Geschäftsleute mit ins Boot geholt.
Sie verteilten rund 25 Plakate an Ladeninhaber, die damit Flagge zeigten und sie pünktlich zu den "Spaziergängen" in ihre Schaufenster hängten: "Impfen statt Schimpfen" oder "Nachdenken statt Querdenken" war darauf zu lesen. Diese Botschaften stießen bei den "Spaziergängern" aber auf wenig Gegenliebe und so wurden – per Aufruf im sozialen Netzwerk "Telegram" – seit Montagabend unzählige Geschäfte, die sich an der Aktion beteiligt haben, im Internet mit schlechten Bewertungen überzogen.
Der Schuss ging allerdings nach hinten los: Weil sich viele Menschen mit den Geschäften solidarisch zeigten und positive Rezensionen abgaben, waren am Ende des Tages die negativen Bewertungen deutlich in der Unterzahl.
Eine, die sich an der Plakat-Aktion beteiligt hat, ist Jutta Suchy. Seit fast 40 Jahren ist sie Inhaberin der Stadtapotheke. "Wenn die Apotheken nicht für den Erhalt der Gesundheit und fürs Impfen stehen, für was dann?", sagt die 68-Jährige auf RNZ-Nachfrage. Daher sei es für sie selbstverständlich gewesen, ein solches Plakat in ihr Schaufenster zu stellen. Die Jugendlichen hätten ihr ein paar Tage zuvor den Vorschlag gemacht und dann ein Poster vorbeigebracht. "Ich finde es toll, dass die jungen Menschen den Mut haben, sich gegen den Strom zu wenden", so Suchy. Dass sie damit ein gewisses Risiko eingehe, sei ihr klar gewesen, berichtet die Apothekerin: "Wenigstens haben die Querdenker mir nicht die Scheiben eingeschlagen."
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Hintergrund
Rezensionen bei Google kann jeder abgeben. Dazu braucht es lediglich ein Google-Konto. Dann kann man Orte, eben auch Geschäfte, bewerten: Die Skala reicht von einem Stern (sehr schlecht) bis fünf Sterne (sehr gut).
Dazu können Google-Nutzer ihre Erfahrungen noch mit
Rezensionen bei Google kann jeder abgeben. Dazu braucht es lediglich ein Google-Konto. Dann kann man Orte, eben auch Geschäfte, bewerten: Die Skala reicht von einem Stern (sehr schlecht) bis fünf Sterne (sehr gut).
Dazu können Google-Nutzer ihre Erfahrungen noch mit einem Text erläutern. Alle Rezensionen sind für jeden sichtbar. Was die Inhalte angeht, so hat Google einige Richtlinien erlassen: Demnach sind etwa terroristische oder sexuell explizite Inhalte verboten. Außerdem soll es "kein Forum für Nutzer sein, die sich zu politischen, sozialen oder persönlichen Themen äußern möchten". Inhalte, die diese Kriterien nicht erfüllen, würden laut Google entfernt, heißt es weiter.
Trotz allem waren am gestrigen Dienstag noch Bewertungen zu lesen wie: "Bei Denunzianten kaufe ich nicht. Hoffentlich gehen sie pleite. Einkaufen in Wiesloch nach dieser Aktion tabu." Oder: "Diese Apotheke betreibt Hetze und solche Menschen ,überstürze’ ich nicht." (aham)
Stattdessen haben sich die "Spaziergänger" einen anderen Weg gesucht, um ihr Missfallen an den Plakaten zum Ausdruck zu bringen und um den Läden zu schaden. Sie riefen in ihrem Netzwerk dazu auf, negative Bewertungen bei der Internet-Suchmaschine "Google" und im sozialen Netzwerk "Facebook" abzugeben (siehe auch "Hintergrund"-Kasten). So kam es, dass seit der Nacht auf Dienstag die Zahl der Rezensionen bei den teilnehmenden Geschäften schlagartig zugenommen hat.
Das hat auch Wolfgang Meny bewusst in Kauf genommen. "Das Thema ist mir zu wichtig", sagt der Inhaber der Buchhandlung Eulenspiegel. "Da muss man Farbe bekennen." Deswegen lasse er die Plakate auch noch hängen. "Der Witz ist: Ich habe schon seit Wochen Plakate in meinem Schaufenster", erzählt der 68-Jährige. Dazu habe er Bücher über Querdenker und Verschwörungstheorien gestellt. "Und da hat sich noch nicht einer von denen für interessiert", sagt er schmunzelnd. Sicherlich seien die Google-Bewertungen wichtig, meint Meny, der bei den Gegen-Demos zu den Montagsspaziergängen dabei war. Doch er lasse sich nicht einschüchtern. Zumal ihm Google schon zur Seite gesprungen ist. Gestern habe er einige E-Mails des Internet-Riesen erhalten, wonach bereits einige Bewertungen gelöscht wurden, weil diese gegen die Richtlinien verstoßen.
"Es war keine Frage, dass ich da mitmache", erklärte am Dienstag auch Michael Weiß, Inhaber von Panama-Outdoor. Er fand die Idee der Jugendlichen gut: "Hut ab, was die sich alles einfallen lassen." Er habe sich keine Gedanken über mögliche Auswirkungen gemacht, sondern gerne das Schild "Impfen, nicht schimpfen", in sein Schaufenster gestellt. Auch er hat bei Google schon die Löschung von besonders üblen Kommentaren beantragt: "Der Satz ,Kauft nicht bei Spaltern’ hat mich besonders erschrocken", so Weiß. Er freut sich aber auch über die entsprechende Gegenbewegung: "Ich habe als Folge der schlechten Bewertungen auch deutlich mehr positive erhalten." Ein Kollege von ihm sagt: "Die ,Spaziergänger’ sind sehr laut. Trotzdem darf man sich von ihnen nicht einschüchtern lassen. Aber wenn man gerade mitten in einem solchen ,Shitstorm’ ist, ist das nicht gerade einfach."
Bereits Dienstagvormittag hatte das "Bündnis für Demokratie und Toleranz" eine Gegenaktion ins Leben gerufen, um die betroffenen Wieslocher Unternehmer zu unterstützen, die "für ihr zivilgesellschaftliches Engagement mit negativen Google-Rezensionen abgestraft werden". Diese potenziell existenzbedrohenden Rezensionen verstoßen laut Bündnis gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen von Google und werden auf Antrag gelöscht. "Das Bündnis für Demokratie und Toleranz Wiesloch ruft daher dazu auf, offensichtlich nicht gerechtfertigte Rezensionen auf Internetplattformen zu melden und ihre eigenen Erfahrungen mit diesen Geschäften in Form von objektiven Rezensionen zu teilen."
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Castellucci, der in seinem Abgeordnetenbüro am Marktplatz ebenfalls ein Plakat der Jugendlichen aufgehängt hatte, erklärte zum Aufruf der "Spaziergänger": "Hier geht ja wirklich jedes Maß verloren. Coronaleugnerinnen und Coronaleugner beklagen sich darüber, in die rechte Ecke gestellt zu werden – denunzieren aber ihre Mitmenschen, die von ihrem Recht auf Meinungsäußerung und Haltung Gebrauch machen."
Info: Das Bündnis für Demokratie und Toleranz veranstaltet am 28. Februar um 18 Uhr auf dem Adenauerplatz eine angemeldete Gegendemonstration.
"Jetzt wurde der Anstand über den Haufen geworfen"
Die Fraktionsvorsitzenden positionieren sich gegen den Boykott von Gewerbetreibenden. Manche fordern eine Allgemeinverfügung.
Wiesloch. (stoy) Jetzt ist die Grenze überschritten: Dessen sind sich die Fraktionsvorsitzenden des Gemeinderats einig, angesichts der Anfeindungen von Seiten der "Spaziergänger" gegen Wieslocher Gewerbetreibende (siehe Artikel oben). Was die Stadt nun dagegen tun kann und soll, darüber herrscht im Rat, der am heutigen Mittwoch tagen wird, allerdings noch Uneinigkeit. Die RNZ hat sich bei den Fraktionsvorsitzenden umgehört.
CDU: "Wenn die Geschäfte aufgrund ihrer freien Meinungsäußerung boykottiert werden, dann geht das zu weit", stellt Fraktionsvorsitzender Markus Grimm klar. Zwar sei er dafür, dass weitere Schritte folgten. Welche genau, müsse man aber erst im Gremium abwägen. Ob sich die CDU für oder gegen eine Allgemeinverfügung aussprechen wird, verriet er nicht. "Das muss sehr gut abgewogen werden, weil es ein großes Konfliktpotenzial birgt."
Grüne: Die Fraktion der Grünen werde Oberbürgermeister Dirk Elkemann in der heutigen Sitzung dazu auffordern, eine Allgemeinverfügung zu erlassen, kündigte deren Vorsitzender Gerhard Veits an. Als das Gremium vor wenigen Wochen schon einmal über eine Verfügung diskutierte, sei der rechtliche Rahmen ein anderer gewesen, so Veits. "Das hat sich jetzt geändert: Der Verwaltungsgerichtshof hat Karlsruhes Verfügung als rechtens erklärt." Nun könne sich Wieslochs Verwaltung nicht mehr hinter diesem Argument verstecken.
Freie Wähler: "So etwas ist nicht tolerabel, das ist kindisch", sagt Fraktionsvorsitzender Fritz Zeier. "Ich dachte, dass das Ignorieren der ,Spaziergänger’ ausreicht – scheinbar aber nicht." Zeier erachtet eine Allgemeinverfügung zwar für sinnvoll, aber für die Polizei sei das schwierig zu kontrollieren. "Dafür bräuchte man eine Hundertschaft."
SPD: Fraktionsvorsitzender Richard Ziehensack erklärte, dass er der heutigen Sitzung nicht vorausgreifen möchte. Bisher sei die Strategie gewesen, die "Spaziergänge" nicht hochkochen zu lassen – und die ist Ziehensack zufolge auch aufgegangen: "Es sind erheblich weniger ,Spaziergänger’ geworden." Nach Angaben der Polizei waren es diese Woche 185 Personen, die Woche zuvor 260. "Wenn das aber diese Ausmaße angenommen hat, ist das natürlich geschäftsschädigend."
WGF/AWL: "Ich bin geschockt, dass man so etwas macht", so Fraktionsvorsitzender Stefan Seewöster. Wenn eine Allgemeinverfügung möglich sei, werde man dem nicht widersprechen. Eigentlich sei er auch der Meinung gewesen, die "Spaziergänger" zu ignorieren, sei die beste Taktik. "Aber jetzt wurde der Anstand über den Haufen geworden."
FDP: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Wiesloch ein rechtsfreier Raum sei, so FDP-Rat Thorsten Krings. "Wir müssen uns Wiesloch zurückholen." Die Stadt müsse nun hart durchgreifen. Krings wird ebenfalls eine Allgemeinverfügung fordern. "Meine spontane Assoziation zu den Aufrufen waren Bilder von SA-Leuten mit Schildern um den Hals, auf denen steht ,Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei Juden’."