Eröffneten die SAP-Kunstausstellung: (unten v.li.) Prof. Martin Liebscher, Andreas Schlaegel, Alexandra Cozgarea und Günter Pecht. Foto: Pfeifer
Walldorf. (seb) "Seit über 180 Jahren täuscht uns die Fotografie." Mit diesen Worten leitete Alexandra Cozgarea, Kuratorin und Kunstsachverständige, die Ausstellung "Fail Early and Often" im internationalen Schulungszentrum der SAP ein. Damit meinte sie noch nicht einmal absichtliche Verfälschungen des Bilds, sondern schlicht die etwa durch Blickwinkel, Wahl des Bildausschnitts oder Eigenschaften der Kamera gegebenen Verzerrungen, wo in "trügerischer Plausibilität" eine objektive Wiedergabe der Realität vorgespiegelt wird.
Doch nicht nur mit den Möglichkeiten und Grenzen des fotografischen Handwerks, sowohl traditionell als auch digital, experimentieren, spielen, kokettieren und räsonieren die Künstler: Studierende der Klasse Fotografie bei Professor Martin Liebscher an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main. Sie feiern auch das Scheitern als essenziellen Bestandteil des kreativen Prozesses, daher der Ausstellungstitel ("fail" ist Englisch für scheitern).
Es "macht widerstandsfähig und führt zu Innovationen", ist Alexandra Cozgareas Erfahrung. Das unterstrich ihr Kollege Günter Pecht ("Future of Work"-Team bei SAP), der in dieser "Kultur der Fehlertoleranz" Parallelen zur Software-Entwicklung sah. "Misserfolge gehören dazu", wenn man sich nicht entmutigen lasse, spornten sie die Weiterentwicklung an.
"Ohne Fehler lernen wir nichts Neues": Das machte Kritiker, Kurator und Künstler Andreas Schlaegel (Kunsthochschule Berlin-Weißensee) deutlich, als er die Arbeiten der einzelnen Künstler näher erläuterte. Professor Liebscher selbst zeigt ein in dreijähriger Arbeit entstandenes Foto des Steffi-Graf-Stadions in Berlin. Es offenbart laut Schlaegel seine Leidenschaft für Selbstvervielfältigung: tausende Zuschauer, Spieler, Balljungen, Schiedsrichter, alle sind Liebscher (siehe großes Foto).
Student Paul Pape durfte bei SAP in den riesigen, streng gesicherten Server-Hallen fotografieren. Er wählte eine selbst gebaute Lochkamera und machte die Luftströme der Kühlanlage mit einer Art Segel sichtbar, sie erscheinen im Bild als komplexe Linienzeichnung. Ebenfalls mit Lochkamera unterwegs: Lea Kulens. Sie bohrte aber nicht nur eines oder zwei, sondern drei Löcher hinein für eine dreifache Belichtung. Annika Grabolds Bilder werden zu filmischen Erzählungen, emotionale Prozesse werden auf betont nüchterne Raumstrukturen übertragen. Mit etwas, das sie "verdichtete Leere" nennt, setzt sie auf die Teilnahme des Betrachters, einen Moment übers moderne Bildkonsumverhalten nachzusinnen.
Zoé Hopf verwischt Schlaegel zufolge die Grenzen zur Malerei, verwendet das alte Edeldruckverfahren Cyanotypie, trägt lichtempfindliche Chemikalien auf Stoff auf und fängt ihre Motive dann ein - ganz ohne Kamera. Auch Tatiana Vdovenko nutzt das malerische Potenzial der (analogen) Fotografie, "entfesselt die Chemikalien" und fügt präzise konturierte Motive wie Gesichter oder Pflanzenstrukturen ein.
Eine "Forensikerin der Finsternis" ist Svetlana Mijic, so der Referent: Was passiert, wenn man per Sofortbildkamera absolute Dunkelheit fotografiert und das Bild dann künstlich aufhellt? Wo sind die Grenzen dieses Verfahrens, die Fehler, der "blinde Fleck"? Einem mathematischen Problem aus dem Schachspiel widmet sich Jana Bissdorf: Wie kann man acht Damen auf dem Brett platzieren, ohne dass sie einander schlagen können? Passenderweise ein Fall für Hochleistungscomputer.
Dennis Haustein erforscht das Verhältnis von Mensch und Natur, "Funktionalisierung", "Verwertung" und "Verbrauch" unserer Lebensgrundlagen. Die Natureindrücke von Janine Bächle wiederum erinnern an klassische Fotoreportagen, sie kontrastiert Realität und Sehnsucht nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Autobiografisch motiviert sind Asli Özdemirs Arbeiten: ganz alltägliche Gegenstände, genau beobachtet, aber aus ihren "normalen" Bezügen gelöst. Ausgangspunkt dafür ist das türkische Trauerritual "Taziye".
Modernen Stillleben gleichen Joschua Yesni Arnauts Bilder, Ergebnisse seiner "Zeuganalyse", die erst, wenn der Betrachter Geduld hat und mitdenkt, "ihr poetisches und assoziatives Potenzial entfalten". Widersprechende Begriffe von Sinnlichkeit begegnen einem in Robert Schittkos Arbeiten, der in Anlehnung an die erotische Fesselkunst aus Japan kalte, harte Keramik mit rauen Seilen an warme, menschliche Leiber bindet.
Laura Brichta untersucht laut Schlaegel in surreal wirkenden Szenen, wie die menschliche Form mit den Elementen der Bauwerke des spanischen Architekten Ricardo Bofill korrespondiert. Patrick David Brockmann thematisiert und problematisiert die Einflüsse von Technologie, von Verzerrungen und Störungen, auf unser Leben, gerade auf Dialog und Verständnis - in diesen Zeiten keine akademische, "sondern eine politisch brisante Frage".
Yama Rahimis Biografie prägt sein Arbeiten: Im "Kriegsland Afghanistan", im dauerhaften Ausnahmezustand" aufgewachsen, so Schlaegel, studierte er an der Kunsthochschule Kabul zunächst Regie. Jetzt sind seine Fotos durchtränkt von existenzieller Unsicherheit und üben Kritik an allen, die sich blind den Machtgierigen unterwerfen.
Für Musik bei der Vernissage sorgte Johnny Capredy.
Info: Die Ausstellung ist im internationalen SAP-Schulungszentrum (Gebäude 5) bis 13. September zu sehen, montags bis freitags, 10 bis 18.30 Uhr.