Passgenaue Beratung und Unterstützung: Das ist das Ziel des Familienzentrums, zu dem sich der Rettigheimer Kindergarten St. Nikolaus weiterentwickeln will. Mühlhausens Gemeinderat befürwortete das Projekt. Foto: Helmut Pfeifer
Mühlhausen. (seb) Wichtig war, dass das Projekt der gesamten Gemeinde zugute kommt. Und dass es dem Bedarf gerecht wird. So konnte Mühlhausens Gemeinderat in der jüngsten Sitzung eine Weiterentwicklung des Rettigheimer Kindergartens St. Nikolaus zum "Familienzentrum" einhellig begrüßen.
"Es begann als Vision und ist ein Herzensprojekt", erzählte Heidi Meyer, Leiterin des Kindergartens St. Nikolaus und Initiatorin des Familienzentrums. Sie sei über 30 Jahre in der Kinderbetreuung tätig, 20 Jahre Leiterin des Kindergartens und habe selbst zwei Kinder: Sie wisse, wie sehr sich die Arbeit eines Kindergartens mit der Zeit verändert habe und welchen Herausforderungen Familien sich heute gegenübersehen.
In der Lebensphase, in der neben dem Beruf auch Familiengründung und das Eigenheim große Themen sind, stehe den Eltern kaum noch die Großfamilie zur Seite, so Meyer: Was einst das tragfähige Netzwerk vor Ort war, sei heute in ganz Deutschland oder weltweit verstreut. Da nehme es nicht Wunder, dass Elternabende so wenig besucht werden und Helferlisten derartige Lücken haben. "Die Eltern haben keine Kraft mehr." Zudem stellt man ihr zufolge mehr Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern fest. Und schließlich gehe es um Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
"Der Bedarf an Beratung und Unterstützung ist stark gestiegen", so Heidi Meyer. Das könne der Kindergarten in dieser Form aber nicht auffangen, "das ist nicht unsere Hauptaufgabe", da fehle es an Zeit und Personal. Andererseits sei man in permanentem Austausch mit einem großen Netzwerk an Akteuren in Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, könne wie ein Seismograf die veränderten Bedürfnisse in der Gesellschaft erspüren. "Das Familienzentrum ist nicht nur etwas für Großstädte oder soziale Brennpunkte", betonte Meyer: "Es ist genau, was wir brauchen, um Familien zu unterstützen: niederschwellig, bedarfsorientiert, vor Ort präsent."
Neben Betreuung und Beratung gebe es drei weitere "Bs", so Heidi Meyer: Begegnungsräume für den Austausch der Familien verschiedener Nationalitäten, Glaubensrichtungen oder sozialer Schichten; Bildung, etwa in Sachen Erziehung, Ernährung oder auch Computer und soziale Medien; sowie Begleitung, beispielsweise bei Trennung oder Tod. Als Beispiele nannte sie Babysittervermittlung, Beratung der Eltern zuhause – dazu qualifiziere sie sich selbst beim Bundesfamilienministerium weiter – oder Hausaufgabenbetreuung: "Passgenaue Angebote, damit Familien ihren Alltag gut bewältigen können."
Der Kindergarten befindet sich im Rettigheimer Gemeindezentrum, "gut erreichbar und bekannt", wo auch Ortsverwaltung, Post und Bücherei sind, und stellt damit für die Leiterin "den idealen Ort" dar. Zudem gebe es da noch nutzbare Räume – und natürlich beabsichtige man, möglichst auch in Mühlhausen und Tairnbach präsent zu sein. "Das ist eine Chance für die ganze Gemeinde", zeigte Heidi Meyer sich überzeugt.
Familienzentren sind ihr zufolge von der katholischen Kirche und der Politik gewollt: Daher gibt es Zuschüsse, jeweils 10.000 Euro in den ersten beiden Jahren vom Land, einmalig 10.000 sowie jährlich 7500 unbefristet von der Erzdiözese. "Wir sind ausgewählt", betonte Meyer, "das Familienzentrum ist für die ersten zwei Jahre kostenneutral für die Gemeinde." Zumal man weitere Zuschusstöpfe suchen und um Spenden bitten werde. Das Familienzentrum kann ihr zufolge leider coronabedingt nicht wie geplant in diesem Sommer starten, aber Schritt für Schritt will man es angehen.
"Wir wollen eng zusammenarbeiten", meinte Bürgermeister Jens Spanberger: Die Gemeinde stelle gerne einen selten genutzten Raum im Rettigheimer Gemeindezentrum sowie ein wenig Büro- und andere Ausstattung zur Verfügung.
Zwar lobte Hans Becker (CDU) das Engagement der Kindergartenleiterin, äußerte aber auch Zweifel, ob ein Familienzentrum die richtige Antwort auf die Bedürfnisse der Eltern sei und angenommen werde. "Aber die Kinder sollten es uns wert sein." Einen Versuch könne man starten, zumal er die Gemeinde kaum etwas koste, aber eine Evaluation des Erfolgs in zwei Jahren sei "zwingend notwendig"."Das Familienzentrum schließt eine Lücke", sagte Judith Kreiter (Grüne). Schließlich seien die Stärkung von Familien, Bildung der Kinder und Förderung der Lebensqualität allgemein wichtige Aufgaben der Gemeinde. Ein solches Angebot könne man immer individuell entwickeln, ganz nach dem Bedarf vor Ort.
"Das ist der richtige Weg", meinte Martina Krause (Freie Wähler): So könne man Familien beistehen, die in der Gemeinde keine Verwandten zur Unterstützung haben. "Gut durchdacht" nannte sie Heidi Meyers Konzept, plädierte aber auch für eine Prüfung nach zwei Jahren, "um eventuell nachzujustieren, damit alles passt".
"Begeistert" zeigte sich Holger Schröder (SPD): von der Idee selbst und von Leidenschaft und Engagement Heidi Meyers. Das Familienzentrum werde "ein wichtiger Baustein", hob er "Nutzen und dringende Notwendigkeit" hervor. Doch seien nicht nur der Kindergarten St. Nikolaus, sondern auch Gemeinde "und wir alle gefragt, das Familienzentrum bekannt zu machen".