Erntete herzlichen Applaus: Dieter Degreif in Mühlhausen. Foto: Pfeifer
Mühlhausen. (rka) 2015 verstarb im Alter von 96 Jahren Mühlhausens Ehrenbürger, der Schriftsteller, Dichter und Herausgeber Hans Bender. In einem Nachruf würdigte ihn damals sein Freund und Kollege Arnold Stadler als einen "Mann der Worte". Hans Bender blieb zeit seines Lebens mit seiner Heimatgemeinde verbunden, auch wenn er seinen Lebensmittelpunkt Ende der 50er Jahre nach Köln verlegte. In Benders Denken und schriftlichem Wirken spielten seine Heimat Mühlhausen und der Kraichgau eine wichtige Rolle. Auch in einer Zeit, als der Begriff "Heimat" einen unangenehmen Beigeschmack hervorrief, hat sich der Schriftsteller zu seiner Verwurzelung im Kraichgau bekannt.
Als Glücksfall erwies sich jetzt, dass es in unserer Region mit Dieter Degreif einen Rezitator gibt, der wie kein anderer die Geschichten und Gedichte von Hans Bender lebendig werden lässt, sodass die Bilder wie in einem Film am Zuhörer vorüberziehen. So geschehen bei einem literarischen Abend der Bücherei Mühlhausen im Bürgerhaus. In seinem Buch "Geschichten aus dem Kraichgau" erzählt Hans Bender von seiner Kindheit in Mühlhausen und er erlebte hier trotz der schweren Zeit zwischen den beiden Weltkriegen "eine fast paradiesische Zeit und Umgebung: Gasthaus, Nachbarhaus, Kirche, Schule, Höfe, Garten, Felder, die der Landschaft zwischen Odenwald und Schwarzwald den Charakter und die herbe Schönheit verleihen".
Die Geschichte "Die Wallfahrt" erzählt über eine damals durchaus beschwerliche, motorisierte Pilgerreise zum Schrein vom kostbaren Blut in Walldürn. Benders waches, feines Beobachten, sein gelassenes Erzählen und seine Menschenkenntnis beeindrucken. Recht kritisch geht er mit der Tatsache um, "dass wir im Auto eine Wallfahrt machen, wo doch die anderen Pilger zu Fuß gehen". Auch an der Gestaltung der Wallfahrt scheiden sich die Geister. Während die Mutter nach alter Tradition das Religiöse in den Mittelpunkt stellt, bevorzugt der Vater den Besuch im Gasthaus und einen engen Kontakt zum Servierfräulein. Mutter betet in der Kirche, "dass auch Vater die Gnade bekommt". Doch der junge Hans weiß mit dem Wort "Gnade" nichts anzufangen.
Sehr spät kommt auch der Vater zum Wallfahrtsgottesdienst. "Am Schluss hab’ ich noch den Segen mitgekriegt." Mit einem Augenzwinkern beschreibt Bender das bunte Treiben danach: Picknick der Pilger, Wallfahrtsmarkt, Karussell, Schiffschaukel, Wundertüte. Auf der Heimfahrt beginnt das Auto zu streiken, der Benzintank explodiert und Vater meint: "Jetzt werden wir noch richtige Pilger." Am Schluss der Geschichte erfährt Hans doch noch, was "Gnade" bedeutet, wenn Mutter meint: "Vater flucht nicht einmal. Das ist die Wirkung der Wallfahrt. Die Gnade."
Hans Bender hat aber nicht nur Geschichten geschrieben, auch Gedichte. Dieter Degreif hatte fünf poetische Werke ausgewählt, die von Benders Heimatverbundenheit zeugen: "Mein Dorf", "Im Schwetzinger Garten", "Im Sinkflug durch Südbaden", "Guten Morgen". Bender schreibt hier überwiegend in freien Versen, ohne starres Metrum. Es folgen Auszüge aus Benders "Aufzeichnungen"; ein Tagebuch zu führen, konnte er sich nicht vorstellen, denn "Aufzeichnungen bewahren vor der Geschwätzigkeit der Tagebücher". Auch hier klingt immer seine Sorge durch: "Nie wieder Krieg", wenn er schreibt: "Etwas haben wir Älteren gelernt. Furcht vor einem Krieg." An anderer Stelle äußert sich Bender über seine selbstgefällige, schreibende Zunft, so über eine Schriftstellerin, die ihm ihr Manuskript mit dem Hinweis überreicht, sie habe ein "gutes Gefühl". "Ich bin skeptisch, bevor ich zu lesen beginne", so Bender.
Den zweiten Teil des Abends widmete Degreif einem seiner literarischen Lieblingsgebiete, der Ballade, jenen Erzählgedichten, die von einem besonderen Ereignis berichten, beginnend mit Schillers "Teilung der Erde" und "Der Handschuh", Goethes "Sänger" und "Die Legende vom Hufeisen". Es folgten Theodor Fontane mit "Archibald Douglas" und Gustav Schwab mit dem "Mahl von Heidelberg", Ludwig Uhland mit "Des Sängers Fluch" und "Graf Eberstein". Überzeugend war die Darbietung der Texte, da passte alles nahtlos zusammen: die Textsicherheit, die Sinn gebende Vortragsweise, die Verständlichkeit der Aussprache, die Lautstärke und deren Differenzierung, das Tempo, die Pausen, die Betonung, Körperhaltung, Gestik und Mimik und schließlich der Kontakt zum Publikum, das den Rezitator mit herzlichem Applaus verabschiedete, während dieser sich mit zwei Zugaben bedankte.