Das Unternehmerpaar Diana Sommer und Oliver Seipel versuchte, durch eine Sortimentserweiterung eine Öffnung ihrer Modegeschäfte zu ermöglichen – eine Neuregelung der Coronaverordnung verhinderte dies. Das stieß nicht nur bei ihnen auf massive Kritik. Foto: A. Dorn
Von Agnieszka Dorn
Dielheim/Wiesloch. Zwischen T-Shirts, Kleidern, Hosen und modischen Accessoires waren auf einmal Toilettenpapier, Haushaltsrollen sowie regionaler Wein zu finden. Das Bekleidungsgeschäft Stadter in Dielheim hatte versucht, als "systemrelevant" zu gelten und geöffnet zu bleiben, obwohl der Inzidenzwert – also die Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen – im Rhein-Neckar-Kreis über 100 gestiegen war. Neben der Erweiterung des Sortiments um Artikel für den täglichen Bedarf mussten spezielle Regelungen beachtet werden, die Ladenfläche für die neuen Waren etwa musste über 60 Prozent betragen.
"Die Regierung hat diese Regelung am Montag letzter Woche geändert", teilte Oliver Seipel mit, der zusammen mit seiner Frau Diana Sommer das Geschäft betreibt. Zu dem Familienunternehmen gehört auch das Modegeschäft Nara mit Filialen in Wiesloch, Weinheim und Eberbach. Auch diese hatten eine Zeit lang offen. Jetzt aber gilt: Um als systemrelevant zu gelten und somit geöffnet bleiben zu dürfen, müssen Einzelhändler anstatt 60 Prozent der Ladenfläche nun 60 Prozent des Umsatzes mit Artikeln für den täglichen Bedarf aufweisen. Ausgeschlossen von der Regelung wiederum sind Baumärkte und Blumenläden.
Mit der neuen Vorschrift schloss die Regierung quasi ein sogenanntes "Schlupfloch".Denn um wirtschaftlich überleben zu können, hatten nicht nur Oliver Seipel und Diana Sommer, sondern weitere Einzelhändler in der Region ihr Geschäftsmodell kurzfristig geändert (die RNZ berichtete). Mit Toilettenpapier und Co., so die Hoffnung, sollte auch der Verkauf des ursprünglichen Sortiments, insbesondere natürlich Kleidung, wieder angekurbelt werden.
Die Hoffnung hat sich jetzt zerschlagen: Die wenigsten Geschäfte können die neuen Vorgaben bezüglich des Umsatzes erfüllen. Mittlerweile sind Stadter und Nara wieder zum Konzept "Click & Collect" übergegangen, das heißt: Bestellungen werden per Internet oder Telefon entgegengenommen und für die Abholung vor Ort bereitgestellt.
Das Wieslocher Ordnungsamt hatte gleich am ersten Tag nach dem Erlass der neuen Regelung kontrolliert, ob man die Anforderungen erfülle, berichtete Diana Sommer. Es sei ihnen bewusst gewesen, dass die Regierung das Schlupfloch schließe, so Sommer weiterhin. Für sie und Oliver Seipel sind die Regelungen aber nicht verständlich, zumal die Coronazahlen etwa in Wiesloch laut Gesundheitsamt verhältnismäßig niedrig seien.
Das Ministerium hat laut Oliver Seipel zudem eindringlich darauf hingewiesen, dass eventuelle Geschäftsummeldungen ohne Weiteres nicht akzeptiert würden. Das Unternehmerpaar empfindet die Vorgehensweise der Regierung als äußert befremdlich. Viele Betriebe, auch in der Hotellerie und der Gastronomie, kämpften gerade um ihre Existenz, da dürfe man ihnen keine Steine in den Weg legen, lautet die Kritik.
Selbst die Fachleute vom Robert-Koch-Institut (RKI) weisen Seipel zufolge über die eigene Internetseite darauf hin, dass etwa im Einzelhandel, aber auch in der Gastronomie, ein äußerst geringes Infektionsrisiko bestehe. Die Regierung schließe wissentlich Geschäfte trotz geringen Ansteckungsrisikos, sagte Oliver Seipel kopfschüttelnd – und nehme somit Insolvenzen und Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf, anstatt sich auf ein schlüssiges und nachvollziehbares Konzept zur Pandemie-Bekämpfung zu konzentrieren und Arbeitsplätze zu retten.
"Je weniger Menschen Möglichkeiten haben, auszugehen, desto geballter werden sie sich woanders treffen", kritisiert Diana Sommer das Vorgehen der Regierung in der Corona-Pandemie. Anstatt die Menschenansammlungen zu entzerren, passiere gerade das Gegenteil. Die Folge seien Treffen im privaten Bereich, dort, wo die meisten Ansteckungen laut dem RKI passieren: Der seit November andauernde "Lockdown" ziehe sich zu lange hin und werde immer weniger akzeptiert, ist das Unternehmerpaar der Meinung.
Das Modehaus Stadter hatte zuvor unter anderem 21 Paletten Toilettenpapier, etliche Haushaltsrollen und Wein in seine Regale aufgenommen, das gleiche Sortiment findet sich auch nach wie vor in den erwähnten Nara-Geschäften. Die Kundinnen und Kunden fanden die Aktion klasse und griffen bei den Artikeln des täglichen Lebens beherzt zu – trotzdem war die nötige Umsatzsteigerung nicht möglich.
Indes beteiligen sich Oliver Seipel und Diana Sommer an einer Massenklage, an der bisher den beiden zufolge 800 Betriebe nicht nur aus dem Einzelhandelsbereich mitwirken. Die Unternehmen fordern eine gesonderte Entschädigung oder eine Öffnung.
Modegeschäfte beispielsweise bekommen weder durch Land noch Bund eine Entschädigung für die bereits gekaufte Frühlings- oder Sommerware, die ihnen jetzt die Kundschaft nicht abnimmt, weil die wenigsten das Sortiment im Internet kaufen.
Der Internetmarkt liegt fest in den Händen von anderen, weitaus größeren Unternehmen, die kaum von der Corona-Krise gefährdet sind.