Von Tim Kegel
Sinsheim-Hoffenheim. Sie folgen dem Rauschen des Ursenbachs. Zum Gewässer hin mit vollen, zurück in den Wald mit leeren Bäuchen. Zwei Tage lang sind sie unterwegs. Nur wenige wissen von der großen Wanderung der Feuersalamander. Immer im Frühjahr setzt sie ein auf dem Verbindungsweg zwischen Hoffenheim und Daisbach, wohl seit Urzeiten. Ein einzigartiges Naturschauspiel in großer Gefahr.
Diese Wesen sind unfassbar sympathisch. Das sagen alle, die ihnen seit Jahren helfen. Prall und rundlich, mit oft über 50 Jungtieren im Bauch, purzeln die Salamanderweibchen aus dem Wald, kullern die Böschung hinunter, schleppen sich über den Beton der schmalen Verbindungsstraße, erklimmen Erdschollen und rollen sich in den Morast. Im Bett des Ursenbachs, an ruhigen Stellen, bringen sie lebende Nachkommen zur Welt - kleine, stämmige Junge mit lustig aussehenden Kiemen-Büscheln. Sofort erfolgt der Rückweg. Die Böschung hinauf; Ackerschollen erklimmen; über den Beton. So verschwinden sie wieder im Wald.
"20 tote Salamander" - als Angelika Huber beim Spaziergang am Karfreitag 2017 dieses Trauerspiel entsetzt hat, fasste sie einen Entschluss: Jetzt hilft sie selbst dem halben Dutzend Salamanderhelfern um Anja Hoffmann und Günther Rasig. Sie sind Mitglieder des Nabu-Sinsheim und Daisbach oder auch einfache Salamanderfreunde aus den beiden Orten. Und sie machen das seit Ende der 1990er-Jahre, als Günther Rasig mit der "betreuten Salamanderwanderung" angefangen hat. Schon als er ein junger Bub war, "in den 70ern", fielen ihm die vielen Salamander am Ursenbach auf. Vermutlich trägt sich das Schauspiel schon seit alter Zeit dort zu.
Doch inzwischen sind da die vielen Autofahrer, die den Verbindungsweg Hoffenheim/Daisbach nutzen. Viele von ihnen gäben sich unwissend über die Salamander; viele hielten die Sperrung in den Abend- bis in die Morgenstunden, welche die Naturschützer durchgesetzt haben, für völlig überzogen - da hilft auch das liebevolle "Lurchi"-Plakat wenig, mit dem die Tierretter auf ihre Aktion aufmerksam machen. Manche Kraftfahrer entwickelten einen regelrechten Ehrgeiz, die Sperrung zu umgehen, koste es, was es wolle. Regelmäßig finde man Radkappen und abgerissene Frontspoiler: "Die fahren sogar übers Feld", sagt Anja Hoffmann und zeigt auf Reifenspuren im Grünland. Günther Rasig und etliche der Helfer seien schon von Autofahrern beschimpft oder provoziert worden. "Manche", sagt Rasig, "treten aufs Gas, wenn sie an uns vorbei sind."
Die Einsätze laufen so ab: Gemeinsam geht es durch den Lichtkegel der Taschenlampen. Schwarz-gelbe Lurchkörper tauchen auf, "hoffentlich lebendig", wie es oft heißt. Dann werden die Tiere in die Nähe des Orts gesetzt, auf den sie Kurs nehmen. Pralle Matronen in Richtung Bachufer, erschlankte "Mädchen" wieder zum Waldrand, von wo sie gekommen sind. Die Salamander wirken verblüffend zutraulich, lassen sich ohne Panik hochheben und absetzen, krabbeln danach zielstrebig los. Fast so, als hätten sie das alles schon einmal erlebt, letztes oder vorletztes Jahr. Dass sie die Hilfsprozedur am Ende schon kennen? "Gut möglich", schätzt Günther Rasig.
Und während die meisten Menschen die besonders geschützten und inzwischen extrem seltenen Salamander nur aus Filmen und Büchern kennen, sind sich die Daisbacher Naturschützer sicher, dass sie ein phänomenales Kleinod hüten: In feuchten, milden Frühlingsnächten zählen sie bis zu 60 Tiere, manchmal mehr, manchmal weniger. Wie groß diese Salamanderpopulation ist, keiner kann es genau sagen: Es könnten Hunderte sein, es könnten Tausende sein. Mit Sorge erfüllt es die Helfer, dass "meistens große, ausgewachsene Tiere gesichtet" werden, die genauso "die letzten ihrer Art sein" könnten.
Das Ordnungsamt der Stadt Sinsheim unterstützt die Sperrung und auch die Polizei kontrolliert stichprobenartig. Angesichts der Besonderheit der Salamanderwanderung wünschen sich Anja Hoffmann und Günther Rasig jedoch eine Vollsperrung des Verbindungswegs für die Zeit der Wanderung, deren Zeitpunkt und Dauer am besten die Helfer selbst abschätzen könnten. Denn irgendwann, wenn keiner mehr die Straße sperrt, wanderten auch die noch winzigen Jungen in den Wald zurück. Fest installierte Schranken wären die beste Lösung.
Glück im Unglück hatten die Salamander in der Nacht des Gründonnerstag. Die Dorfjugend feierte eine Fete und nutzte hierzu die Grillhütte der Gemeinde, die genau im Salamanderbiotop liegt. "Zum Glück war es kalt und trocken", sagt Anja Hoffmann. "Sonst hätten wir wieder die Toten zählen müssen."