Eppingen

Jetzt haben alle Toten auf dem jüdischen Friedhof wieder einen Namen

In einer außergewöhnlichen Zeremonie zwei Grabsteine für zwei längst Verstorbene aufgestellt - Ihre Würde zurückgegeben

26.09.2019 UPDATE: 01.10.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 34 Sekunden

Eine außergewöhnliche Zeremonie: Gabriel Albilia, Bürgermeister Timo Wolf, Landesrabbiner Moshe Flomenmann, Oberbürgermeister Klaus Holaschke und Heinrich Vogel (v.l.) enthüllten auf dem Jüdischen Verbandsfriedhof in Eppingen Grabsteine für zwei jüdische Bürger, die hier vor 80 Jahren namenlos bestattet wurden. Foto: Armin Guzy

Von Armin Guzy

Eppingen. Als Heinrich Vogel den selbstgezimmerten Sarg mit dem Leichnam Leopold Dreifus’ den Hügel hinauf zum Friedhof fährt, wird er von Eppinger Bürgern angepöbelt, Steine fliegen. Vogel wird, so ist es überliefert, sogar verletzt, lässt sich aber nicht davon abhalten, den Verstorbenen zu bestatten. Es ist der 31. Mai 1939, und Leopold Dreifus war Jude.

Seit 1933 regieren die Nationalsozialisten, und ihre aus Rassenwahn geformten Gesetze treffen selbst die Toten: Sie verhindern, dass für Juden ein Grabstein aufgestellt werden darf. Weil Dreifus’ Witwe Elsa wenige Monate später deportiert und in Auschwitz ermordet wird, sein Sohn Alfred das KZ zwar überlebt, aber wenig später stirbt, und Dreifus’ Tochter Paula verschollen ist, gibt es jahrzehntelang nichts, was noch auf den in Richen geborenen Viehhändler hinweist. Die Nazis nehmen ihm so seinen Namen und seine Würde und verhindern zudem das Erinnern an einen Menschen, der lange Zeit ein Teil dieser Stadt war.

Nicht anders erging es Ricke Rosa Eisemann aus Stebbach. Wer die unverheiratete und kinderlose Jüdin am 25. März 1940 auf ihrem letzten Weg zum Friedhof auf dem Hellberg begleitete, und ob sich ähnliche Szene wie bei Dreifus abspielten, ist nicht bekannt. Sicher ist jedoch, dass sie die letzte Jüdin ist, die seither dort bestattet wurde. Und auch ihr wurde ein Grabstein verwehrt.

Bis zum Mittwoch, als eine kleine Delegation im strömenden Regen um zwei Grabsteine versammelt steht, die so gar nicht zu ihren moosbewachsenen, teils verwitterten Nachbarn ringsum zu passen scheinen. Die jüngsten Grabmäler hier sind 80 Jahren alt, das erste Grab wurde vor 200 Jahren ausgehoben. Längst haben alle eine Patina. Die zwei neuen, vom Mühlbacher Bildhauer Manfred Holz angefertigten Steine sind hingegen noch hell und makellos. Gerade wurden sie bei einer außergewöhnlichen Zeremonie enthüllt.

Auch interessant
Eppingen: Jüdische Friedhof auf dem Hellberg zählt zu den größten in Nordbaden

Die Namen darauf sind gut lesbar, und über beiden glänzt ein kleiner goldener Davidstern. Badens Landesrabbiner Moshe Flomenmann spricht in singendem Ton ein Gebet. Danach werden Steinchen gesucht und auf die neuen Gräber gelegt. Kleine Symbole der Ewigkeit. Die Rührung, aber auch die Freude vieler Anwesender sind nicht zu übersehen.

"Indem wir Ricke Rosa Eisemann und Leopold Dreifus einen Grabstein geben, setzen wir ein wichtiges Zeichen gegen das Vergessen", sagt Gemmingens Bürgermeister Timo Wolf, und Eppingens Oberbürgermeister Klaus Holaschke spricht von einem "guten und wichtigen Zeichen", von einem Zeichen dafür, "dass jüdisches Leben in Eppingen unvergessen bleibt" und "uns jüdische Bürger willkommen sind".

"Der Friedhof spielt eine herausragende Rolle für die jüdische Gemeinde", erläutert Rabbi Flomenmann: "Bevor man eine Synagoge baut, braucht man eine Mikwe (ein rituelles Bad) und einen Friedhof." Beide haben in Eppingen das Nazi-Regime überlebt; die große Synagoge in der Kaiserstraße hingegen, die von der jahrhundertelangen jüdischen Tradition in der Fachwerkstadt zeugte, wurde bei den Novemberpogromen 1938 durch Brandstiftung zerstört und zwei Jahre später abgerissen.

Der Rabbiner spricht an den beiden Gräbern von einem "ganz besonderen Moment", von zurückgegebener Würde und einem guten Miteinander. Er erinnert aber auch an die wieder steigende Zahl der Angriffe auf Juden in Deutschland.

Damals, bei der Bestattung von Leopold Dreifus, hatte Heinrich Vogel Mitmenschlichkeit und enormen Mut gezeigt. Heute steht sein Sohn, Heinrich (Heiner) Vogel junior, stolz genau an der Stelle, an der sein Vater dem jüdischen Mitbürger die letzte Ehre erwies. Und auch sein Enkel, Reinhardt Ihle, wird als Stadtrat und Heimatfreundevorsitzender nicht müde, vor rechten Tendenzen zu warnen.

Es mache Hoffnung, sagt Gabriel Albilia, der bei der israelitischen Religionsgemeinschaft Zuständige für jüdische Friedhöfe in Baden und Südfrankreich, "wie viele nicht-jüdische Menschen sich mit dem Judentum beschäftigen". Er hatte sich gemeinsam mit Elisabeth Hilbert vom Verein "Jüdisches Leben Kraichgau" vor zwei Jahren gefragt, ob man die untersagte Grabsteinaufstellung eigentlich nachholen kann. Weil das Ansinnen so neu und ungewöhnlich war, mussten sich erst der Oberrat und der Landesrabbiner mit der theologischen Seite der Frage befassen. Beide gaben schließlich ihre Zustimmung, und auch die beiden Kommunen Eppingen und Gemmingen zogen sofort mit.

Ort des Geschehens

Der jüdische Verbandsfriedhof in Eppingen wird in diesem Jahr 200 Jahre alt. 744 Menschen sind hier bestattet. Nun haben sie alle wieder einen Namen.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.