Neckarbischofsheim. (fro/guz) Ist die Stadt aufgrund der Bürgermeisterwahl gespalten? Nicht nur der teilweise auch mit harten Bandagen geführte Wahlkampf der Kandidaten vor dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag lässt darauf schließen. Auch unsere Redaktion haben in den vergangenen Tagen zahlreiche Leserbriefe erreicht, deren Verfasser sich allesamt für die amtierende Bürgermeisterin Tanja Grether und gegen die Mitbewerber Thomas Seidelmann und, als er noch kandidierte, gegen Harry Hack, aussprechen. Und auch dabei fallen mitunter deutliche Worte.
Das wiederum liegt in der Natur der Sache, da die Anhänger eines (bislang) unterlegenen Kandidaten – wie berichtet, rangiert Amtsinhaberin Grether von der Zahl der Stimmen nach dem ersten Wahlgang hinter Seidelmann auf Platz zwei – mehr Gründe für Unmutsbekundungen haben, als die Anhänger des besserplatzierten. Hinzu kommt die besondere Situation durch die corona-bedingten Beschränkungen, die eine direkte Diskussion der Kandidaten vor Publikum und damit auch ein stückweit die Meinungsbildung unmöglich macht. Und selbst der Meinungsaustausch der Neckarbischofsheimer an Stammtischen, bei Vereinstreffen oder im Gespräch auf der Straße ist aktuell kaum möglich.
Dass sich die Wahlkämpfer und ihre Anhänger nun notgedrungen andere Kommunikationswege suchen, ist zwangsläufig und auch wichtig. Anders als Soziale Medien kann die RNZ schon aus Gründen der Neutralitätspflicht vor der Wahl diese Meinungsbeiträge allerdings nicht abbilden, zumal in einigen Zusendungen Behauptungen zur Persönlichkeit der jeweiligen Kandidaten aufgestellt werden, die nicht ohne Weiteres zu verifizieren sind. Vorwürfe, die RNZ würde für einen der Kandidaten Partei ergreifen, haben unsere Redaktion mehrfach erreicht – übrigens aus beiden "Lagern".
Dennoch haben nahezu alle Zusendungen eines gemeinsam: die Angst, dass die Stadtgesellschaft durch die Wahl nachhaltig gespalten werden könnte. Wiederholt ist in den Zusendungen von Unwahrheiten, Diffamierungen, mangelnder Fairness, von einem beschämenden ersten Wahlgang und von einem unter der Wahl leidenden Gemeinschaftssinn die Rede – nicht nur in Neckarbischofsheim, sondern auch in den Stadtteilen. Angst vor "verbrannter Erde" äußert beispielsweise Holger Nopirakowsky, die Sorge vor einer Spaltung der Stadt in zwei Lager haben Manuela und Matthias Beck.
Dass im Vorfeld des ersten Wahlgangs auch "Privates ausgeschlachtet" worden sei, gefällt offenkundig ebenfalls nicht jedem, dies äußert Klaus Christian. "Begeben wir uns als Erwachsene mal wieder auf ein normales Niveau", fordern die Becks aus Helmhof, und Christian wünscht sich "Respekt und Sachlichkeit", damit jeder sich morgens mit gutem Gewissen im Spiegel ansehen könne.
Wer am Ende Stadtoberhaupt wird, wird am 24. Mai mit einfacher Mehrheit zwischen Amtsinhaberin Grether und Unternehmer Seidelmann entschieden. Ob der Wahlkampf bis dahin oberhalb oder unterhalb der Gürtellinie geführt wird, liegt nicht nur bei den beiden Kandidaten, sondern auch bei ihren Unterstützern.
Update: Donnerstag, 14. Mai 2020, 18.30 Uhr
Harry Hack tritt nicht mehr an und unterstützt nun Thomas Seidelmann
Neckarbischofsheim. (fro) Es läuft auf einen Zweikampf hinaus: Jetzt heißt es beim zweiten Wahlgang der Bürgermeisterwahl Tanja Grether gegen Thomas Seidelmann. Harry Hack gab am Mittwochabend bekannt, dass er zum zweiten Wahlgang am 24. Mai nicht mehr antreten wird. Der vierte Bewerber, Dauerkandidat Samuel Speitelsbach, wird wohl keine Chance haben – das zeigen die sieben Stimmen, die er im ersten Durchgang erhielt.
In einer Mitteilung bedankte sich Hack, der rund 22 Prozent der Stimmen erhalten hatte, bei seinen Wählern, die gezeigt hätten, dass sie sich "einen Neuanfang im Neckarbischofsheimer Rathaus" wünschten. Dies sei das Ziel seiner Bewerbung gewesen. Er könne Seidelmanns Vorsprung nicht mehr einholen, weshalb er nun dazu aufrief, seinen Mitbewerber zu wählen.
Die amtierende Bürgermeisterin Grether, die im ersten Wahlgang rund 32 Prozent erhielt und somit 13 Prozentpunkte hinter Seidelmann lag, gibt sich in einer Mitteilung laut eigener Aussage "kämpferisch": Im Wahlkampf seien "Unwahrheiten und Behauptungen in die Welt gesetzt" worden, sie habe auf Facebook niemanden "geblockt noch gesperrt". Dass darauf "herumgeritten" werde, dass sie nicht mehr mit Feuerwehrkommandant Thomas Ernst auf dem sozialen Netzwerk befreundet sei, bezeichnet sie als "scheinheilig". Zudem müsse man die Frage stellen, "ob es in Ordnung ist, dass Herr Ernst in diesem Wahlkampf den Titel ,Feuerwehrkommandant‘ von einem Kandidaten für seine Zwecke benutzen" lasse. Hacks Vorwürfe, er sei während seiner Zeit im Rathaus gemobbt worden, seien falsch. Der Vorwurf sei "allerdings schwerwiegend", was "juristisch zu überprüfen" sei. Ihr zweiter Konkurrent Seidelmann könne "für unsere Stadt kein Geld drucken", sagte Grether. "Angesichts der jahrzehntelangen schwierigen finanziellen Situation unserer Stadt konnten und können nicht alle Wünsche erfüllt werden." Sie könne nicht alles versprechen, sondern müsse mit dem Geld der Bürger "verantwortungsvoll umgehen". Dennoch gebe es "auch einige Punkte", die man nicht habe umsetzen können oder die verbesserungsfähig seien: Hier wolle sie "die Ärmel hochkrempeln".
Seidelmann, der am vergangenen Sonntag knapp 45 Prozent erhalten hatte, war "sehr, sehr erfreut, aber auch traurig" über Hacks Entscheidung, sagte er am Telefon. Es wäre spannend gewesen, was bei einem Dreikampf passiert wäre. Er habe "großen Respekt" vor Hack und sich bei ihm für die Wahlempfehlung bedankt. Hack und er verfolgten ein "ähnliches Ziel", weshalb die Entscheidung, nicht mehr anzutreten, aus Hacks Sicht "konsequent" sei. Jetzt wolle er sich allerdings nicht zurücklehnen, trotz des Vorsprungs. Er wolle weiterhin Wahlkampf machen und in der Kernstadt und den beiden Ortsteilen unterwegs sein. Er finde es nicht gut, dass "sehr mit Dreck geschmissen" worden sei, das wolle er ignorieren. Eine kritische, harte, aber faire Auseinandersetzung sei okay. Nach der Wahl müsse man schließlich wieder zusammenarbeiten können. "Wir gucken auf uns." Er wolle "mehr Gemeinschaft, mehr Wertschätzung" und "mehr Transparenz" in Neckarbischofsheim, er habe auch gehört, dass sich seine Wähler "mehr Nähe und mehr Service" wünschten. Dies sei "die Klaviatur, die ich spiele". Deshalb gehe er optimistisch in diese Wahl.
Update: Mittwoch, 13. Mai 2020, 21 Uhr
Kein klarer Sieger im ersten Durchgang - Dämpfer für Amtsinhaberin Tanja Grether
Von Friedemann Orths und Tim Kegel
Neckarbischofsheim. Es gibt noch keinen klaren Sieger der Bürgermeisterwahl. Allerdings kristallisierte sich bei der Verkündung des Wahlergebnisses am Sonntagabend ein Favorit heraus: Thomas Seidelmann. Der Fraktionssprecher der "Aktiven Liste" (AL) erhielt 44,9 Prozent der Stimmen.
Tanja Grether. Foto: zgAuf Rang zwei folgt Amtsinhaberin Tanja Grether, die 31 Prozent erhielt. Bei der Wahl vor acht Jahren hatte sie noch 78 Prozent erhalten. Harry Hack kam auf 22,5 Prozent. 0,36 Prozent der Stimmen entfallen auf "Dauerkandidat" Samuel Speitelsbach. Ebenfalls 0,36 Prozent entfielen auf eine andere Person, die von Wählern auf den Stimmzettel geschrieben wurden. Die Wahlbeteiligung lag bei 62 Prozent.
Jetzt wird am Sonntag, 24. Mai, neu gewählt. Die Kandidaten, die sich bislang beworben haben, müssen sich nicht erneut bewerben. Allerdings können sich bis Dienstag, 12. Mai, noch weitere Kandidaten bewerben. Bei diesem Wahlgang zählt dann eine einfache Mehrheit – Seidelmann ist also Favorit.
Bei der Bekanntgabe des Ergebnisses im Adolf-Schmitthenner-Gymnasium war Seidelmann allerdings nicht vor Ort. Er sei "mit gutem Beispiel vorangegangen" und aufgrund der Corona-Pandemie zu Hause geblieben, erklärte er am Telefon. Er sprach von einem "wahnsinnigen Ergebnis", das ein "relativ großer Zwischenschritt" sei.
Harry Hack war ebenso erfreut über das Ergebnis, es sei viel besser als bei der letzten Wahl. Er wolle jetzt mit Seidelmann telefonieren. Seidelmann betonte, dass beide das gleiche Ziel hätten, man wolle einen Neuanfang. Wenn Hack mehr Stimmen als er bekommen hätte, hätte er zurückgezogen, weshalb es "logisch" wäre, Hack ziehe nun zurück.
Tanja Grether musste die 31 Prozent erst mal verdauen. Sie wollte noch nicht sagen, ob sie zurückziehen wird. Sie wolle das Ergebnis erst mal analysieren und überlegen. Sie habe fair gespielt.
In den drei Wahllokalen herrschte fast "normaler" Betrieb, auch wenn wegen der hohen Briefwahlbeteiligung weniger Bürgerinnen und Bürger erschienen. In der Zehntscheune, dem einzigen Lokal in der Kernstadt, war der Zutritt nur von der Schlossparkseite aus gestattet. Ein Mitarbeiter der Stadt, mit Mundschutz, achtete darauf, dass immer nur drei Personen eintraten. Die drei Wahlhelfer saßen an jeweils eigenen Tischen hinter Plexiglasscheiben, Desinfektionsmittel stand auf einem Tisch am Eingang bereit.
"Es kommen immer wieder Leute", berichtete Wahlhelferin Marina Steck von der Stadtverwaltung am Vormittag. Die Leute würden alle Regeln einhalten. Ein Mann war jedoch kurz verärgert, als er darauf hingewiesen wurde, den Ausgang in Richtung der Straße zu nutzen. "So Leute gibt’s auch", sagte Rüdiger Knapp, der die Wahlurne "bewachte". Eine Wählerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, erklärte, warum sie auf die Briefwahl verzichtet hat: Sie sei bei dem schönen Wetter sowieso unterwegs, "das kann man verbinden".
Am Gemeinschaftshaus in Helmhof warteten am Sonntagvormittag vier Wähler am Eingang. Hier wurden Pylonen aufgestellt, die den Abstand kennzeichneten. Dennis Laber wohnt "eh gleich ums Eck", da könne er hinlaufen und auch sicher sein, dass seine Stimme abgegeben wird. Sein Nachbar Robin Scherer hatte es ihm gleichgetan: Man laufe "immer gemeinsam zum Wählen". Vor dem Kindergarten in Untergimpern erklärte eine weitere Bedienstete der Stadt den Bürgern, wie sie sich zu verhalten hatten. Hier durfte, wie auch in Helmhof, jeweils nur eine Person ins Lokal. Auch hier mussten die Hände desinfiziert werden. Gemeinderat Stefan Rödler teilte hinter seiner Plexiglasscheibe mit, dass das Lokal bislang "gut besucht" sei. Vor dem Kindergarten wartete Raimund Bauer: "Persönlich ist persönlich", antwortete er auf die Frage, warum er seinen Wahlzettel selbst in die Urne wirft.
Das Wahlergebnis muss auch vor dem Hintergrund der Grabenkämpfe betrachtet werden, die sich in den letzten Tagen im Internet abgespielt haben: Dort erhoben unter anderem Konkurrent Harry Hack und die Aktive Liste, die sich für Thomas Seidelmann einsetzt, schwere Vorwürfe: Hack, der bereits vor acht Jahren gegen Grether antrat, dann aber eine zeitlang Amtsleiter unter der Bürgermeisterin blieb, schreibt wörtlich über "Mobbing". Er habe in der Folgezeit drei Abmahnungen von der Verwaltungsspitze erhalten. Hack unterstellt Grether Kritikunfähigkeit, sie reagiere "wie ein HB-Männchen". Eine Mitgliederversammlung der SG Untergimpern nennt er als Beispiel.
In eine ähnliche Richtung geht ein Kommentar von Neckarbischofsheims Feuerwehrkommandant Thomas Ernst auf der Facebook-Seite der Aktiven Liste. Ernst habe sich zu Grether geäußert und sei daraufhin von ihr "entfreundet" worden. Darauf schrieb Ernst in Form eines offenen Briefs an Grether, dass diese sich "in einem Rundumschlag" auf dem Sozialen Netzwerk vieler ihrer politischen Gegner "entledigt" habe. Der Chef der Gesamt-Feuerwehr teile "den Großteil" von Grethers Ansichten "und die Art ihrer Amtsführung" nicht, habe aber "loyal und lösungsorientiert" mit der Verwaltungsspitze gearbeitet. Nun sprach er Grether in dem Schreiben in Anlehnung an deren Wahlkampfmotto "Herz, Leidenschaft und Kompetenz" für Neckarbischofsheim und dessen Stadtteile ab. Bei ihrem Handeln hätte sie auch "eine Zeit nach der Wahl" bedenken sollen.
Grether selbst sagte am Sonntag, sie sei "die Einzige gewesen, die nicht mit Schmutz um sich geworfen" habe. Seidelmann sagte, er hoffe, dass "die nächsten zwei Wochen nicht dreckig werden". Dies fand auch ein Bürger auf Facebook, der vor der Wahl kommentierte: "Reißt euch jetzt mal alle am Riemen."
Update: Sonntag, 10. Mai 2020, 22.30 Uhr