Von Tim Kegel
Sinsheim. "Fette Tags hingebombt", wie man in der Szene vielleicht sagen würde, haben kürzlich über Nacht einige offensichtlich fußballbeflissene Graffitifreunde, vielleicht auch umgekehrt: Die himmelblaue Spur - Teile davon sind bereits wieder entfernt worden - zieht sich durch die ganze Innenstadt. Die Aussage der Schmierereien ist deutlich und einfach: "Nur die TSG."
Wer bei der Ecke Foto Burkhardt seine Zigaretten zog, der hat’s gesehn: "Nur die TSG"; oder am Automat vor der Alten Scheune: "TSG". Nicht vergessen wurden auch das altehrwürdige "Drei Könige", wo einst Goethe einkehrte und sein "heiteres Landstädtchen" besang, die Parkautomaten am Kirchplatz, ein privates Garagentor, die Holzgeländer am Bachdamm und mehrere Stromverteilerkästen, bis hin zum Karlsplatz und Elsenzbogen und über die Allee zum Finanzamt. Manchmal wurde statt des Vereinskürzels auch "BBB07" oder "YB07" hingesprüht. Was macht man daraus? Der Fall bleibt mysteriös.
Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Der oder die Sprüher waren, gelinde gesagt, leichtsinnig. "Ganz schön blöd", nennt es ein Geschäftsinhaber aus der Nähe des Kirchplatzes. Dort und bei den Anwohnern der umliegenden Gassen sind die Graffiti Stadtgespräch. Namentlich zitiert werden will, wie so oft, keiner, weil man sich’s ja "mit den neuen Nachbarn" unter denen ja auch "einige nette junge Leute sind", nicht verscherzen will.
Neue Nachbarn? Wie jetzt? Ist der Hintergrund, wie es zu den Schmierereien kam, bei Anliegern eine Art offenes Geheimnis?
Es scheint so. Und es scheint auch so, als würden die Urheber der blauen "Bombings" keinen Hehl aus der Sache machen, die inzwischen Polizei und Ordnungsamt beschäftigt: Denn wer sich nur ein bisschen in der 1899-Fanszene umtut, der kommt über die blauen Schriftzüge in der Innenstadt schnell zum Fanclub "11hoch3", eine Art Sammelbecken aus fünf verschiedenen Fangruppen: "BBB" heißt "B-Block-Brigade", "YB" sind die "Young Boys" - und feinsäuberlich werden auf der Homepage der Gruppe, die mancher in den Bereich der sogenannten Ultra- und auch der "Problemfans" steckt, dann auch Schriften, Symbole und Logos gezeigt, wie sie im Stadtgebiet verschmiert sind. Fairerweise zeigt die Seite aber auch auf, dass sich in den Reihen der "Young Boys" talentierte Graffitisprayer befinden, die sich auch schon in legaler Weise im Stadion verewigt haben. Oder dass Fußball ohne Choreografien, Fahnenmeer und Südkurven-Symbolik nicht dasselbe wäre. "Siggi", "Alex" und "Carsten" unterzeichnen die anonym gehaltene Homepage.
Wie das Histörchen weitergeht, und wie mehrere Anlieger glaubhaft berichten, musste die Gruppe ihr altes Domizil verlassen, unter anderem, weil nach einem Heimspiel vor wenigen Wochen ordentlich mit gegnerischen Fans gerauft und ein Dönerladen in der Rosenpassage dabei mittelstark ramponiert wurde. Die neuerlichen Schmierexzesse seien die aus dem Ruder gelaufene Einweihungsparty, heißt es im Kirchplatzviertel: Nachdem man den neuen Räumlichkeiten einen Anstrich verpasst, war offensichtlich noch etwas übrig vom Himmelblau ... .
Nun sind einige im Quartier stinksauer; andere finden, dass man die Sache vielleicht nicht ganz so hochhängen sollte. Und auch im Rathaus entsteht der Eindruck, als hätte man es dort lieber mit Vandalismus zu tun, der nicht so direkt der 1899-Fanszene zuzuordnen ist. Vor der Amtsleiterrunde am Montag, nach dem Anruf der RNZ, glühten die Drähte heiß zwischen Ordnungsamt und Dezernat 2. Ohne interne Abstimmung drang kein Ton nach außen. Schließlich war es Andreas Uhler, Leiter der Stadtwerke, der als Verantwortlicher für die städtischen Parkuhren öffentlich Stellung bezog. Ein nicht geringer Teil der besprühten Örtlichkeiten ist öffentliches Eigentum.
"Richtig großer Schaden", sagt Uhler, "richtig ärgerlich; aber wir wissen noch nicht, wer’s war." Anzeige sei erstattet worden, die Polizei habe Dutzende Fälle aufgenommen. Uhler geht davon aus, dass eine Gruppe von Personen sich bei ihrem Streifzug "regelrecht überboten hat." Selbst wo kein Platz für Großflächiges war, seien nur blaue Striche auf Geländer, Laternenmasten und ähnlichem aufgebracht worden. "In dieser Masse haben wir so etwas selten gesehen", sagt der Stadtwerke-Chef.
Überraschend wirkt dann doch Uhlers Aussage, die "B-Block-Brigade" habe inzwischen über die Polizei Kontakt zur Stadt aufgenommen: Zwar distanziere sich der Fanclub von den Taten, so Uhler. Das Bündnis stelle das Ganze gar "als Versuch dar, von Gegnern in Misskredit gebracht zu werden - dass ihnen jemand reingrätscht", wie Uhler zitiert. Allerdings habe man angeboten bei der Beseitigung der "leider sehr hartnäckigen Farbe" freiwillig mitzuhelfen, "um Imageschaden abzuwenden", so Uhler. "Darüber sind wir sicher froh." Von einer ausufernden Einweihungsfete wusste Uhler gestern nichts: "Die Polizei ermittelt weiter."
1899-Fanbetreuer Michael Pisot in Fanhaus an der Rhein-Neckar-Arena äußerte sich gestern ähnlich, räumt auch die Möglichkeit des "Reingrätschens" ein. Als Verein habe man jedoch bereits beim Stuttgart-Spiel mit den betroffenen Fanclubs geredet "und klargestellt, dass das der gemeinsamen Sache schadet".