Sichtbar in Stein: die Tränen des Kindes, das sexuell missbraucht wurde. Foto: privat
Von Ursula Brinkmann
Mosbach. Im Juni wurde in einer ökumenischen Feier auf der Gemarkung der katholischen Kirchengemeinde in Mudau ein Gedenkstein gesegnet. Er ist den Opfern von sexuellem Missbrauch in der Kindheit gewidmet. "Unerhört" fanden das manche, die meinten, dass ein solches Thema nicht in die Öffentlichkeit gehöre. Unerhört ist aber, dass es sexuellen Missbrauch von Kindern gab und nach wie vor gibt - überall. Und ungehört bleiben die Betroffenen oft mit sich und ihrer Not allein. Auch wenn sie versuchen, von diesem Missbrauch zu sprechen, werden sie oft nicht gehört, nicht verstanden, wird ihnen nicht geglaubt. Und wirklich zuhören, was passiert ist und welche Folgen das für das ganze weitere Leben hat, das wollen nur wenige.
So ist aus einer persönlichen Initiative von Betroffenen etwas geworden, das sichtbar ist und greifbar, das mahnt und erinnert. Ein Gedenkstein mit einem zärtlich gestalteten Kindergesicht, das übergroße Tränen weint und folgende Aufschrift zeigt: "Du siehst mich lachen, doch das ist nur Schein, in Wahrheit vergieße ich Tränen und schreie Nein."
Im Neckar-Odenwald-Kreis gibt es seit mehr als zehn Jahren eine therapeutisch begleitete Selbsthilfegruppe von Frauen, die in ihrer Kindheit sexuell missbraucht wurden. Eine Fragestellung dort hieß: Wann hast Du zum ersten Mal darüber gesprochen und wie ist es Dir dabei ergangen? Erschreckende Antworten, nochmalige tiefe Erschütterung bei den Betroffenen: "Ich war schon über 50." "Nur bei meiner Therapeutin." "Man hat mir nicht geglaubt." "Die Antwort hieß: Du wirst schon selber daran schuld sein." "Die Antwort war: Das ist doch schon so lange her, das spielt doch keine Rolle mehr."
Betroffene Menschen hören einander zu. Therapeutinnen haben gelernt, zuzuhören. Gute Freunde, Freundinnen und Familienangehörige können zuhören. Doch das reicht nicht, meint Elisabeth Sandel, Beraterin bei der Diakonie mit einem fachlichen Schwerpunkt in Traumatherapie: "Wir arbeiten für eine Kultur der Menschlichkeit, der Achtsamkeit, der Geduld und des Verständnisses, der Kunst des Hörens. Jeder und jede wünscht sich diese Art des Umgangs und sehr oft können wir es selber nicht. Als Therapeutin schaffe ich es stundenweise, mit ganzer Aufmerksamkeit für einen Menschen da zu sein, mehr oft auch nicht."
So bleibt viel menschliche Not, aber auch viel menschliche Hoffnung, Sehnsucht und Freude ungehört. Das gehört sich nicht! Das ist unerhört! Was unserer Zeit am meisten fehlt, sei Stille, meint Sandel, denn sie sei die Voraussetzung für das eigentliche Hören. An vielen Stellen üben Menschen das Sprechen und Hören, in Familien, Freundeskreisen und an Arbeitsplätzen. Professionelle Hilfe gibt es bei der psychologischen Beratungsstelle der Diakonie (pb@diakonie-nok.de) und bei der Anlaufstelle gegen sexuellen Missbrauch beim Caritasverband für den Neckar-Odenwald-Kreis.
Info: Weitere Informationen zu den Beratungsangeboten der Diakonie gibt es unter www.diakonie-nok.de.